Left Voice mit Leandro, einem Arbeiter von Petrobas in Duque in Caxias (Rio de Janeiro). Auch wenn dieses Interview vor Ende des Streiks stattfand, ist es ein wichtiger Einblick in den Streik sowie dessen breitere Bedeutung." /> Left Voice mit Leandro, einem Arbeiter von Petrobas in Duque in Caxias (Rio de Janeiro). Auch wenn dieses Interview vor Ende des Streiks stattfand, ist es ein wichtiger Einblick in den Streik sowie dessen breitere Bedeutung." /> Ein Unwetter bricht ein über Petrobas

Ein Unwetter bricht ein über Petrobas

25.11.2015, Lesezeit 6 Min.
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Der historische Streik der Arbeiter*innen des brasilianischen Ölkonzerns Petrobras ist vorerst beendet, nachdem vergangenen Freitag auf Druck der Gewerkschaftsbürokratie auch die letzten Streikstandorte den Arbeitskampf beendet haben. Wir dokumentieren hier ein Interview der englischsprachigen digitalen Tageszeitung Left Voice mit Leandro, einem Arbeiter von Petrobas in Duque in Caxias (Rio de Janeiro). Auch wenn dieses Interview vor Ende des Streiks stattfand, ist es ein wichtiger Einblick in den Streik sowie dessen breitere Bedeutung.

Wie wurde Petrobas von der ökonomischen Krise und dem Korruptionsskandal betroffen?

Petrobas wurde von beiden getroffen und hat ebenso seinen Beitrag zur ökonomischen Krise in Brasilien geleistet. Das Hauptproblem von Petrobas sind Schulden, die durch einen übermäßigen Investitionsplan verursacht wurden. Dieser Investitionsplan wurde in Frage gestellt, weil viele der Ausgaben viel größer als nötig waren und in Verbindung zum Korruptionsskandal stehen. So gibt es nun ein großes Schuldenproblem bei Petrobas, kombiniert mit einem Anstieg des Dollars gegenüber der brasilianischen Währung – dem real. Das macht die Handelsdefizite umso schlimmer, da Brasilien einen Teil des Öls importiert, welches es konsumiert. Ein weiteres Problem für Petrobas ist der Ölpreis, welcher sich auf einem Rekordtief befindet. Es ist ein riesiges Unwetter, das über Petrobas hinein bricht: Korruptionsskandale, Schuldenkrise, Währungsprobleme und ein Rekordtief des Ölpreises. Das alles kombiniert, hat Petrobas in eine schwierige Situation gebracht. Das wurde von der Dilma-Regierung dafür benutzt, um die Löhne und Vorteile der Arbeiter*innen zu kürzen und ihre Idee von einer Privatisierung voranzutreiben.

Welche Gewerkschaft repräsentiert die Petrobas-Arbeiter*innen und welche Rolle spielt sie in der Arbeiter*innenbewegung? Wie ist die Beziehung zur Regierungspartei PT?

Die Petrobas-Arbeiter*innen sind tief gespalten. Zunächst gibt es eine große Spaltung zwischen Petrobas-Vetragsarbeitenden und offiziellen Petrobas-Arbeiter*innnen. Bei Petrobas sind wir 72.000 Arbeiter*innen und dazu noch ungefähr 200.000 Vertragsarbeiter*innen. Diese 200.000 Vertragsarbeiter*innen sind verteilt auf hunderte von Gewerkschaften. Die offiziellen Petrobas-Arbeiter*innen sind gespalten in 17 lokale Gewerkschaften. Diese 17 lokalen Gewerkschaften sind unterteilt in zwei Föderationen. Die größere, die Federação Unica dos Petroleiros (FUP), repräsentiert zwölf der 17 Gewerkschaften. Und die kleinere, die Federação Nacional dos Petroleiros (FNP), repräsentiert die anderen fünf. Die FUP ist verbunden mit der PT; sie hat eigene Direktor*innen und Manager*innen im Unternehmen, seit die PT an der Regierung ist, und verteidigt die PT, verteidigt diese Regierung sogar während des Privatisierungsprozesses.

Was sind die Hauptforderungen des Streiks und wie begann der Streik? Wie hat die Gewerkschaftsbürokratie versucht, den Streik anzuführen und welche Art von Aktionen haben die Arbeiter*innen an der Basis unternommen?

Es geht immer noch weiter. Die zwei größten Ziele während des Streikes waren die Denunziation des Privatisierungsprozesses und die Aufrechterhaltung der Arbeiter*innenrechte, da das Unternehmen die Reduzierung vieler sozialer Vorteile wollte und sich weigerte, die Löhne der Inflation anzupassen. Zu diesem Zeitpunkt [am 18. November, Anmerkung der Redaktion] sind immer noch acht lokale Gewerkschaften im Streik: Drei von ihnen missachteten den Befehl der FUP, den Streik zu beenden. Der Streik geht nun vor allem weiter, um auf dem Papier das Versprechen zu bekommen, dass es keine Bestrafung des Streiks geben wird, seit es ein paar radikale Aktionen gegeben hat während des Streiks (z.B. Fabrikbesetzungen) und um die Streiktage bezahlt zu bekommen. Die FUP versuchte vorigen Freitag, den Streik zu beenden, aber fünf lokale Gewerkschaften verteidigten, dass die Arbeiter*innen den Streik nicht beenden wollen.

Meine lokale Gewerkschaft wurde am vorigen Freitag bei der Vollversammlung geschlagen. Sie schafften es aber nur mit der Hilfe des Managements und einer Menge von Streikbrecher*innen bei der Versammlung am Montag, den Streik zu beenden. Etwas Ähnliches passierte in Serra, einem nördlichen Staat in Brasilien, wo die FUP-Führung von der lokalen Gewerkschaft am Freitag und Samstag geschlagen wurde; aber am Montag beendeten sie genauso den Streik. Insofern gab es also so etwas wie eine antibürokratische Rebellion bei einigen der FUP-Lokalgewerkschaften. Aber die Tendenz ist, den Streik zu beenden – wobei die Geschäftsführung mit der FUP zusammenarbeitete, um den Streik zu beenden. Dies führte dazu, dass die Arbeiter*innen die Gewerkschaft besonders anzweifeln, aber ebenso die Rolle der PT im Unternehmen und in der Privatisierung.

Welche Reaktionen und welche Anteilnahme hast du unter den Co-Arbeiter*innen bzgl. des Streikes gesehen?

Die Anteilnahme der Arbeiter*innen am Streik war viel größer als im letzten Streik der Ölarbeiter*innen. Dies war der längste Streik, er betraf viel mehr Sektoren und hatte eine größere Anteilnahme: Es ist der Streik mit der größten Beteiligung seit 1995. Es war nicht so radikalisiert wie 1995 und auch nicht so massiv. Die Streikposten waren in der Regel etwas klein. Die meisten Arbeiter*innen gingen in den Streik, aber nahmen nicht teil an den täglichen Entscheidungen. Einige Sektoren hatten einige radikale Aktionen, so z.B. in der nördlichen Stadt Macae. Hier wurde der Terminal für etwa zehn Tage von den Arbeiter*innen besetzt. Auch gab es es einige Ölbohrplattformen, die ebenso besetzt waren. Die Beteiligung war nicht so groß, wie ich es schon sagte, aber es konnte gesehen werden, um wie viel größer die Beteiligung im Vergleich zu früheren Streiks war.

Gab es einen substantiellen Wandel im Bewusstsein der Ölarbeiter*innen über die letzten Jahre?

Das Bewusstsein der Ölarbeiter*innen entwickelt sich klar und schnell weiter. Wie ich schon sagte, waren die Ölarbeiter*innen wahrscheinlich die größten PT-Unterstützer*innen innerhalb der Arbeiter*innenklasse in Brasilien. Und es ist sehr erstaunlich, in einen Streik zu sehen, der als einer seiner Forderungen die Denunzierung der wahrscheinlichen Privatisierung von Petrobas seitens der PT-Regierung hat. Das ist sehr erstaunlich. Aber was am meisten beim Streik gesehen werden konnte, war nicht das Bewusstsein gegen die PT-Regierung, welches irgendwie auftauchte – eine Mischung zwischen Kritik an der Regierung und tatsächlicher Gegnerschaft –, sondern die breite Unzufriedenheit mit der Gewerkschaftsbürokratie, weil sie den Streik aufgab.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit einer Privatisierung von Petrobas und wie sind die Reaktionen der Arbeiter*innen auf diese Möglichkeit?

Wenn sich die Arbeiter*innen nicht wiederum in einem Streik organisieren; in einem Streik, der stärker, einheitlicher, radikaler mit der Unterstützung anderer Sektoren der Arbeiter*innenklasse zu den Ölarbeiter*innen durchgeführt wird, dann wird aller Wahrscheinlichkeit ein großer Teil von Petrobas privatisiert werden. Es ist in der Bilanz des Unternehmens festgeschrieben – dass sie planen, Anteile im Wert von 16 Milliarden dieses Jahr und andere Anteil im Wert von 41 Milliarden 2017 zu verkaufen. Diese Summe von ungefähr 57 Milliarden entspricht rund 40 Prozent der Gesamtanteile des Unternehmens. So werden 40 Prozent des Unternehmens weg sein. Und diese werden nicht in Aktien verkauft werden. Sie werden es Stück für Stück verkaufen, sie werden Teile des Unternehmens verkaufen. Das ist der vorgeschriebene Plan.

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