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Ein sächsischer Leuchtturm

28.07.2018, Lesezeit 7 Min.
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Es ist nicht irgendein Arbeitskampf. Es ist ein sechswöchiger Streik von 700 Beschäftigten in der Kernindustrie der deutschen Wirtschaft. Die Beschäftigten von Neue Halberg Guss (NHG) in Leipzig haben entschlossen ihre Kampfkraft bewiesen – auch wenn jetzt durch die Schlichtung der Streik pausiert wurde. Mit nahezu 100%-iger Organisierung hatten sie seit dem 14. Juni gestreikt. Ein Beispiel, das Mut macht. Nicht nur den Halberg Guss Kolleg*innen in Saarbrücken.

Oskar Lafontaine forderte jüngst die Enteignung von Halberg Guss. Wenn Lafontaine von Enteignung spricht, so meint er eine Verstaatlichung im Sinne einer Entschädigung der*des Eigentümer*in durch Steuergelder. Das kann man schon machen, es wäre eventuell ein Fortschritt zur jetzigen Situation. Eine nachhaltige Lösung kann das aber nicht sein. Denn wessen Steuergelder müssen für das missratene Geschäftsmodell der*des Eigentümer*in herhalten? Genau, die der Arbeitenden. Nach solch einer Verstaatlichung wird die Regierung wieder erzählen, dass Schwimmbäder geschlossen bleiben müssen und dass die Rentenkassen leerer werden. Kontrolle über ihren Betrieb und ihre Arbeitsbedingungen hätten die Beschäftigten darüber hinaus auch kaum. Denn der Staat, der den Betrieb verwalten würde, ist genau der Staat, der den Konzernen Steuergeschenke macht und den Arbeiter*innen Hartz4 aufs Auge drückt.

Die Forderung nach Enteignung kann aber auch ganz anders aussehen. Wenn wir von Enteignung sprechen, meinen wir: die Betriebe unter die Kontrolle der Arbeiter*innen stellen. Ohne Ausbezahlung der Eigentümer*innen. Gleiche Löhne für alle. Sitzungen, in denen jede*r das gleiche Mitspracherecht hat. Keine Bosse, keine Vorgesetzten. Hierarchie im Sinne der gegenseitigen Verantwortlichkeit. Das sind keine Utopien. In den letzten Jahren machten durch Arbeiter*innen kontrollierte Betriebe weltweit Schule. Mitunter auch in Deutschland.

Strike Bike

So zum Beispiel im thüringischen Nordhausen. Im Jahr 2007 wurde das dortige Fahrradwerk der „Bike Systems GmbH“ geschlossen. Das ehemalige Fabrikgelände des „VEB IFA Motorenwerk“ kam über die Treuhand nach einer Reihe von Übernahmen 2005 an die amerikanischen Fondsgesellschaft „Lone Star“. Nach nur zwei Jahren musste „Bike Systems“ trotz des amerikanischen Investors einen Insolvenzantrag stellen. Mit der abrupten Stilllegung Ende Juni 2007 war die Belegschaft schlagartig mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert. Es folgte ein Aufruf zur Betriebsversammlung auf dem Werksgelände – für 115 Tage. Dadurch konnte zunächst der vollständige Abbau der Fertigungsanlagen verhindert werden. In dieser Zeit entschlossen sich die Angestellten für den Plan, die Fabrik in Eigenregie weiterzuführen und das rote „Strike Bike“ zu fertigen. Design, Aufträge, Materialbestellung, Fertigungsketten, Schichtpläne, Versand: alles ohne Bosse. Zum ersten Mal verdienten die Angestellten in etwa das, was sie an Arbeit leisteten. Bis nach Panama, Amerika und Island wurden die Fahrräder verschickt. Trotz der weltweiten Solidarität war Ende Oktober des gleichen Jahres Schluss. Was blieb, war für Deutschland dennoch historisch: ein kompletter Betrieb in Arbeiter*innenhand und die Erkenntnis, dass die Arbeiter*innen sich selbst organisieren können.

Vio.me

Ortswechsel: Thessaloniki, Griechenland. 2011 zeigte sich hier die Finanzkrise der vorangegangenen Jahre in ihrem ganzen Ausmaß. Massenhafte Arbeits- und Obdachlosigkeit, Arbeitslosengeld für maximal ein Jahr. Wer kein Arbeitslosengeld mehr bekam, verlor automatisch das Recht auf Krankenversicherung. Die Löhne waren stark gesunken, zahlreiche Betriebe mussten Insolvenz anmelden. Noch heute sind rund 20% der Griech*innen arbeitslos. Von diesem Schicksal betroffen waren auch die Arbeiter*innen von Vio.me, bis 2011 eine Tochterfirma des Fliesenproduzenten „Philkeram Johnson“. Die Unternehmer*innenfamilie Philippou, die „Philkeram Johnson“ 1962 aufgebaut hatte, ließ die Arbeiter*innen zu Beginn der Krise mit ihrem Schicksal allein. Während sie mit mehreren Millionen Euro, also mit den Löhnen der Arbeiter*innen, sowie Steuern und Sozialabgaben für den Staat, verschwanden. Damit sich die Bosse nicht auch noch die Maschinen aneigneten, besetzten die ehemaligen Beschäftigten die Fabrik und fingen selbstorganisiert an, Seife und Kosmetikartikel zu produzieren. Diese Selbstorganisation verfolgen sie bis heute nicht nur innerhalb der Fabrik, sondern auch in der Gesellschaft. In einer Arte-Dokumentation sagt ein Arbeiter von Vio.me dazu passend:

Wir werden unseren letzten Blutstropfen geben, denn das hier ist nicht nur eine Fabrik, das ist die Gesellschaft. Es ist ein anderes Leben, wir sprechen hier von einer neuen Gesellschaft und die soll nicht nur für wenige sein, sondern für alle. Dafür kämpfen wir und darum sind wir hier.

Fabrica sin Patrones (FaSinPat, ehem. Zanon)

Gegen ähnlich Zustände wie in Griechenland mussten die Menschen in Argentinien ankämpfen. Auch dort zeigte sich eine schwere Krise, die 2001/2002 mehr als 50% der Menschen in die Armut trieb. Mehr als 20% wurden arbeitslos. Viele Bosse wollten ihre Firmen und Fabriken daher möglichst schnell loswerden, um eine Stilllegungsprämie zu erhalten. Das Wohl der Arbeiter*innen kümmerte sie wie immer wenig. Bei Zanon, wie FaSinPat vor 2009 hieß, zeigten sich diese untragbaren Zustände von Beginn an. Die Fliesenfabrik wurde 1979 von Luigi Zanon gegründet, mit bester Unterstützung durch das diktatorische Obristenregime. Jedes Jahr gab es rund 300 Arbeitsunfälle, manche*r Arbeiter*in starb sogar. Als Zanon im Zuge der Krise geschlossen werden sollte, traten die Beschäftigten in einen Streik und besetzten die Fabrik, wobei sie große Unterstützung aus der Bevölkerung erhielten. Nur ein Jahr später, also 2002, konnten sie bereits die ersten Produkte unter Selbstverwaltung ausliefern. Der ehemalige Chef, Luigi Zanon, versuchte daraufhin seine Ansprüche auf die Fabrik wieder geltend zu machen. Doch die Arbeiter*innen kämpften gemeinsam und machten deutlich, dass sie die arbeiter*innenfeindlichen und neoliberalen Zustände nicht mehr ertragen wollten. Es war ein langer Kampf, doch 2009 wurde Luigi Zanon die Fabrik endgültig genommen. Seither untersteht sie auch formell der Kooperative und heißt „Fabrica sin Patrones“: Fabrik ohne Bosse.

Die Perspektive bei NHG

Die Erschütterungen der letzten Krise sind noch gar nicht vorbei, da rollt die nächste schon heran. Weltweit werden die Rechte von Frauen, von Geflüchteten und von Arbeiter*innen angegriffen. Ob das die innere Militarisierung Deutschlands durch die neuen Polizeiaufgabengesetze ist, der 12-Stunden-Tag der der schwarz-blauen Regierung in Österreich oder die Rücknahme der sogenannten „Obamacare“, der gesetzlichen Krankenversicherung in den USA. Der Rechtsruck ist vor allem in seiner sozialpolitischen Dimension erkennbar. Kommt es in Zukunft zu einer ähnlichen Situation wie 2007, was wird dann die Antwort der Eigentümer*innen sein? Entlassungen, Insolvenz, Werksschließungen. Und die Folgen? Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, eine Teuerung von Waren und eine wahrnehmbare Inflation. Ähnlich wie jetzt die Kolleg*innen bei NHG, werden tausende Menschen sich in einer ähnlich ausweglos scheinenden Situation wiederfinden.

Wenn wir also von Fabriken in Arbeiter*innenhänden sprechen, dann schlagen wir eine Perspektive vor. Eine Perspektive, bei der wir nicht länger der Spielball der Bosse bleiben. Bei der wir selbst über unsere Lebensbedingungen entscheiden können. Neue Halberg Guss in Leipzig ist – mit ihrer Kampfmoral, mit ihrem Organisationsgrad – ein Leuchtturm, der uns den Weg weisen könnte. Einen Weg, der aus der Erfahrung zahlreicher Arbeiter*innen vor uns schon mehrmals begangen worden ist.

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