Ein „rechtes“ Deutschland? Oder Rückkehr des Klassenkampfes?
Die letzten Monate brachten Militarismus, Sparpolitik und eine AfD auf 17 Prozent. Aber auch die größten Streiks seit drei Jahrzehnten. Lest in unserem neuen Editorial, wie die Arbeiter:innenbewegung den Rechtsruck stoppen kann.
Heidi Klum machte in den letzten Tagen Schlagzeilen, nicht nur mit zweifelhaften Fotoshootings und Spott für die unglückselig dreinblickenden Bosse des FC Bayern. Mit ihrem Ehemann Tom Kaulitz und dessen Bruder Bill von der Band Tokio Hotel ging sie auch durch ein paar Schnappschüsse mit der Polizei Sachsen viral.
Die Szene könnte ein geeigneter Aufmacher für die Klatschpresse sein. Das Recht, so mit einem Artikel einzusteigen, wollen wir uns auch herausnehmen, wenngleich etwas kritischer. Denn die Polizei ist keine normale Arbeitgeber:in, wie Bill und Tom meinen – und leider auch zwölf Prozent der Jugendlichen, die dort am liebsten arbeiten würden. Die Fotos mit der Sächsischen Polizei sind mehr als nur peinlich.
Sie passen perfekt in ein Land, in dem Polizeigewalt, dauernd präsente Bundeswehr-Uniformen, Abschiebeoffensiven, eine AfD bei 17 Prozent, Angriffe auf das Streikrecht, Demonstrationsverbote, Haft für Klimaaktivist:innen und Sozialarbeiter:innen sowie Hetze von der CDU gegen gegenderte Sprache, trans Personen und Kita-Mitarbeiter:innen immer alltäglicher werden.
Selbst die Nachricht, dass die Bundesregierung den Wert der Waffenlieferungen an die Ukraine verdoppelt hat, sorgt allenfalls für müdes Interesse. Nun haben sich Scholz und Lindner zusammengesetzt, um auszutüfteln, wie sie 20 Milliarden Euro einsparen können. Betroffen sein werden alle Bereiche, außer der Bundeswehr.
Seit letztem Sommer haben wir aber auch einige große Streikbewegungen gegen die Inflation gesehen, wie etwa an den Häfen, die seit 40 Jahren erstmals wieder in den Kampf getreten sind. Die Metall-Industrie, Post und zuletzt der öffentliche Dienst brachten die größten Streiks seit Jahrzehnten hervor. Es laufen weiter Kämpfe an den Flughäfen, dem Einzelhandel und im Herbst bei den Bediensteten der Länder (TV-L) und den studentisch Beschäftigten (TVStud). Auch wenn die Streikbewegungen von den Gewerkschaftsbürokratien gebremst wurden, zeigen sie die Rückkehr des Klassenkampfes auch in Deutschland an.
Christian Lindner meinte beim FDP-Parteitag im April, er wolle ein „nicht-linkes Deutschland“. Wir meinen, ein „rechtes“ Deutschland lässt sich vor allem durch den Klassenkampf verhindern. Um ihn voranzutreiben, braucht es eine unabhängige revolutionäre Kraft der Arbeiter:innen, die der Verschleppungsstrategie der reformistischen Bürokratien eine Alternative entgegensetzt und auch weitergehende Forderungen erhebt: darunter eine automatische Anpassung von Löhnen, Gehältern, Renten und Sozialleistungen an die Inflation; ein Ende der rassistischen Migrationspolitik und Kriminalisierung; einen Stopp von Sanktionen, Waffenlieferungen und Militäreinsätzen; einen sozialen und ökologischen Umbau der Industrie; und 100 Milliarden je für Bildung, Soziales, Gesundheit und Klima statt Aufrüstung.
Die Aushebelung von Grundrechten
„Polizei Berlin, ihr Süßen“, sagt Bill in seinem Podcast. „Polizei Berlin, Versammlungsverbot“,sagt die Realität. Als wäre es das Normalste auf der Welt, untersagte die Polizei unter Führung der neuen schwarz-roten Berliner Koalition sämtliche Demonstrationen in Solidarität mit Palästina rund um den Nakba-Tag. Schon vor einem Jahr hatte der rot-rot-grüne Senat die Demos verboten. DIE LINKE gab lediglich ein dünnes Statement ab, dass sie damit nicht einverstanden wäre, ebenso dieses Jahr. In ihrer diesjährigen Pressemitteilung erklärte sie, dass statt eines allgemeinen Verbots die Polizei „gezielt“ gegen „Antisemitismus und Israelhass“ vorgehen solle. So begründete die Polizei das Verbot mit der bloßen Erwartung, dass es zu antisemitischen Äußerungen und Volksverhetzung kommen könnte. In einer offensichtlichen Instrumentalisierung dieser Begriffe wird Antizionismus präventiv mit Antisemitismus gleichgesetzt, ein Narrativ, das von der LINKEN Berlin übernommen wird. Die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden ausgehebelt. Bei den dennoch stattfindenden Demonstrationen machte die Polizei auch keinen Halt davor, Teilnehmer:innen der Demonstration der „Jüdischen Stimme für einene gerechten Frieden in Nahost“ zu verprügeln – im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus.
Unter dem Vorwand des Antisemitismus soll Migrant:innen auch eine Einbürgerung verwehrt werden können. Die Ampel einigte sich auf ein neues Staatsbürgerschaftsrecht. Es enthält einige Verbesserungen, wie dass der deutsche Pass unter Umständen schon nach drei, zumindest aber nach fünf Jahren vergeben werden kann. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft soll wieder möglich sein. Diese Fortschritte sind im Sinne von „Zuckerbrot und Peitsche“ jedoch gekoppelt mit Disziplinierungsmaßnahmen von Migrant:innen. Empfänger:innen von Sozialhilfe bekommen keinen Pass, ebenso wenig wie Personen, die eine Verurteilung zu mehr als 90 Tagessätzen erhalten haben. Bei „antisemitischen“ oder „rassistischen Straftaten“ gibt es gar keine Einbürgerung – eine Teilnahme an einer Palästina-Demo kann auch auf dieser Ebene bestraft werden. Gleichzeitig will die Ampel schnellere Abschiebungen, während sie den Fachkräftemangel durch Anwerbung von billigen Arbeitskräften bekämpfen will. Justizminister Buschmann brachte die Logik auf den Punkt: „Fleißige Leute sind in Deutschland willkommen“ – oder anders ausgedrückt: angeblich „faule“ Migrant:innen oder „Sozialschmarotzer:innen“ nicht.
Der rechte Kampf gegen das Klima
Die Kriminalisierung trifft derzeit auch die Klima-Bewegung. Zuletzt gab es bundesweite Razzien bei der Letzten Generation, inklusive der Beschlagnahmung (sprich: Diebstahl) von Geldern und dem Abschalten der Website (sprich: Verbot der freien Meinungsäußerung). Olaf Scholz nannte die Aktionen der Klimagruppe „völlig bekloppt“. In Brandenburg wird die Organisation als „kriminelle Vereinigung“ verfolgt. Auch in Berlin lässt die parteilose Justizsenatorin Felor Badenberg nun prüfen, ob die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung einzustufen ist. Unterstützung erhält sie dafür – wie könnte es anders sein – von der sogenannten „Gewerkschaft“ der Polizei. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) fordert bis zu fünf Tage Präventivhaft – eine Praxis, die in Bayern bereits gängig ist, wo Aktivist:innen ohne das Begehen einer Straftat bis zu 30 Tage weggesperrt werden können. Dort ermittelt gar die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus der Generalstaatsanwaltschaft.
So werden die härtesten Geschütze der Kriminalisierung aufgefahren, statt auf die doch recht minimalen Forderungen der Letzten Generation nach einem 9-Euro-Ticket, einem Tempolimit auf Autobahnen sowie eines „Bürgerrats“ einzugehen. Ganz im Interesse der Autoindustrie sabotiert die FDP aktiv eine Verkehrswende und setzt beispielsweise auf den Ausbau von Autobahnen. Vor einigen Jahren hatte noch die Fridays-For-Future-Bewegung den Diskurs vorgegeben. Nun drehen Rechte und Auto-Lobby das Rad zurück.
Mit dafür verantwortlich: Die Grünen, die die Umweltbewegung von den Straßen an die Wahlurne umgeleitet haben, um sie dann in Kompromissen mit der FDP und RWE zu verraten. Auch sie bedienen letztlich die umweltzerstörerischen Interessen der Industrie mit ihren Vorschlägen des „Grünen Kapitalismus“, etwa der Förderung von E-Autos und Habecks Flüssiggasdeals mit Katar. Währenddessen macht die CDU Stimmung gegen das Heizungsgesetz der Grünen – ein Projekt das in der Regierung hochgradig umstritten ist und eine sich vertiefende Krise der Ampel zeigt. Die FDP legt ihren ganzen Widerstand dagegen ein, womöglich, um auf anderem Gebiet, wie Sozialkürzungen, Zugeständnisse zu erzwingen. Derweil kommen die Grünen nicht auf die Idee, die klimatisch notwendige Erneuerung von Heizungen durch Vermögensabgaben zu finanzieren.
Der Aufstieg der AfD
Die AfD kommt indes in bundesweiten Umfragen auf 17 Prozent, womit sie drittstärkste Partei vor den Grünen (14 Prozent) wäre. Bei den jüngsten Wahlen in Bremen konnte sie aufgrund interner Streitigkeiten nicht antreten, aber ihr Abziehbild, die „Bürger in Wut“, erreichten mit Slogans wie „Autofahrer wehrt euch“ und „Messerstecher konsequent ausweisen“ zehn Prozent, in Bremerhaven gar 20. Die AfD kann ihrerseits vor allem davon profitieren, dass sie sich als einzige Partei scheinbar gegen den Krieg positioniert und mit einer Wiederaufnahme der deutsch-russischen Beziehungen die Rückkehr zum business as usual verspricht.
In ihrer sozialen Demagogie behauptet sie, eine Antwort auf die Inflation zu geben, ohne aber die Profite der Kapitalist:innen anzutasten. Tatsächlich ist sie eine zutiefst neoliberale Partei, die für Sozialkürzungen und ein Herumtrampeln auf den Schwächsten der Gesellschaft steht. Sie wird gerade auch für diese ultrarechte Haltung gewählt, weil sie den Ausländer:innen und den Klimaaktivist:innen mal richtig Saures geben will. Damit treibt sie den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts, wie sich auch an Aussagen von Scholz zur Letzten Generation und Buschmann zu „fleißigen“ Migrant:innen zeigt.
An dieser Stelle sehen wir es als notwendig an, mit dem Mythos der Friedenspartei aufzuräumen: Die AfD ist für Aufrüstung. Sie ist explizit für das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Bei der Abstimmung über das Sondervermögen stimmte sie etwa zur Hälfte dafür und dagegen. Ihre Kritik bezog sich nicht auf die Ausgaben für die Bundeswehr, sondern auf die Umgehung der Schuldenbremse. Sie will einfach, dass der Bevölkerung die Kosten noch stärker aufgelastet werden. Ihre pro-russischen Tendenzen kommen nicht aus der Überzeugung einer Friedenspartei, sondern weil die AfD die Bundeswehr an anderen Fronten besser aufgehoben sieht.
Militarisierung für Jahre des Krieges
Nun sind all diese Phänomene, Demoverbote, restriktive Migrationspolitik, Kriminalisierung und Aufstieg der Rechten keine zufälligen Entwicklungen. Sie stehen im Zusammenhang mit der Militarisierung des deutschen Imperialismus nach innen und außen. Kürzlich hat Olaf Scholz angekündigt, den Wert der Waffenlieferungen an die Ukraine zu verdoppeln. Derweil wollen NATO-Staaten ukrainische Pilot:innen an westlichen Kampfjets ausbilden, um sie in einigen Monaten gegen Russland fliegen lassen zu können. Verteidigungsminister Pistorius kündigte an, Deutschland werde „jede Hilfe leisten, die es leisten kann – as long as it takes“.
Die neue Realität ist ein Land im Krieg. Es geht nicht mehr nur darum, das Überleben des ukrainischen Staates zu sichern, es geht darum, Russland zurückzuschlagen. Es gilt, Aufrüstung, Militarisierung und Krieg als neue Normalität im Bewusstsein der Massen zu verankern. Dazu gehört auch, dass die Freiheit zu demonstrieren unter bestimmten Umständen ausgehoben werden kann, wenn es darum geht, die deutsch-israelische Partnerschaft zu stärken und migrantische Jugendliche in der Großstadt zu kriminalisieren. Oder wenn man auf dem Rücken von Klimaaktivist:innen das Image der Autoindustrie erneuern möchte. Die dauerhafte Präsenz von Bundeswehruniformen in jedem Zug und auf jeder Werbetafel sind ebenso Teil der Militarisierung wie Instagram-Posts des Klum-Kaulitz-Clans mit der Sächsischen Polizei. Der deutsche Imperialismus braucht eine Gesellschaft, die stramm steht, um sich zur größten Militärmacht Europas aufzuschwingen.
Unsere Antwort: Streiken wie in Frankreich
Die Arbeiter:innenbewegung hat die Macht, sich dieser Militarisierung entgegenzustellen und auch Antworten auf die soziale Frage und die Klimakrise zu geben. 500.000 Menschen streikten zuletzt im öffentlichen Dienst für eine Inflationsausgleich – es war die größte Streikwelle seit Jahrzehnten, inklusive eines „Mega-Streiks“ gemeinsam mit dem Verkehrssektor. Doch der Streikfrühling wurde gebremst durch die Bürokratien der Gewerkschaften, die wie ver.di im öffentlichen Dienst ein Ergebnis unter Inflationsniveau abgeschlossen haben, ähnlich wie zuvor bei den Streiks der IG Metall und der Post. Bei der Eisenbahn einigte sich die EVG vor Gericht auf einen Vergleich zum Stopp der Streiks – ein extrem undemokratischer Vorgang, der sich nahtlos an eine Stimmung im Land anschließt, in der die Opposition gegen die Interessen des deutschen Imperialismus schnell auf politische Restriktionen und rechte Hetze trifft. Von vornherein haben die Gewerkschaftsbürokratien nicht die geringsten Versuche unternommen, die Streiks mit einer Position gegen den Krieg zu verbinden, dabei wäre dies anhand der Inflation, der anstehenden Spardiktate und der Aufrüstungs-Milliarden so naheliegend wie notwendig.
In Frankreich, Griechenland und Großbritannien haben Millionen von Menschen in großen Mobilisierungen und Generalstreiks gezeigt, dass Widerstand möglich ist. Während die Gewerkschaftsführungen in Frankreich nur auf vereinzelte Aktionstage setzten, organisierten zahlreiche Branchen wie Eisenbahn, Nahverkehr, Reinigung, Müllabfuhr, Raffinerien und Atomkraftwerke Streiks aus der Basis heraus. Der Klassenkampf ist zurück in Europa und er macht auch vor Deutschland nicht Halt. Trotz der bremsenden Rolle der Bürokratien wurden die Streiks nicht von der Regierung geschlagen. In einigen Branchen gehen sie weiter. Und die Arbeiter:innenbewegung kann aus ihren Erfahrungen lernen. Zuletzt waren 1.700 Menschen bei der Konferenz für Gewerkschaftliche Erneuerung in Bochum – der größten Gewerkschaftskonferenz seit Jahrzehnten. Sie zeigt das Bedürfnis der kämpferischen Sektoren an, auf die Bühne des Klassenkampfes zu treten.
Die Bürokratien wollen diese Phänomene kontrollieren und in Kompromisse mit Regierung und Konzerne überführen. Die reformistischen Parteien versprechen, die Interessen der Beschäftigten durch die Parlamente umzusetzen. Doch beide halten die Arbeiter:innenbewegung unmündig. Um zu siegen, braucht die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Partei, die unabhängig von den Institutionen des Staates die Selbstorganisierung in den Betrieben und Ausbildungsstätten vorantreibt und den Einfluss des Reformismus und der Bürokratien bekämpft.
Nur so kann die Arbeiter:innenbewegung eine Antwort auf den Rechtsruck und die Militarisierung finden. Die Antwort kann nicht darin bestehen, sich an die Bürokratien der Gewerkschaften oder der Partei DIE LINKE anzupassen. Diese Kräfte zeigen wiederholt, dass sie nicht bereit sind, die Kriegspolitik der Regierung ernsthaft in Frage zu stellen, teilweise stellen sie sich gar hinter Sanktionen, Waffenlieferungen und die NATO.
Wir brauchen eine unabhängige Kraft der Arbeiter:innen, die sich sowohl gegen die Auswirkungen der Inflation und die angekündigte Sparpolitik wendet, als auch für ein Ende der autoritären Maßnahmen und einen Stopp von Sanktionen und Waffenlieferungen. Die AfD ist nur deshalb so stark, weil sie sich als scheinbare Opposition darstellen kann. Das dürfen wir ihr nicht durchgehen lassen.Wir brauchen die Einheit der Arbeiter:innen gegen rassistische und sexistische Spaltung und gegen die Migrationspolitik der Regierung, um den Rechten das Wasser abzugraben.
Vom 26. bis 29. Mai findet in Berlin der Marx-Is-Muss-Kongress statt, an dem wieder hunderte Linke aus ganz Deutschland teilnehmen werden. Dort wollen wir dafür werben, sich unabhängig von der Partei DIE LINKE zu organisieren. Unsere Kritik richtet sich auch an die Veranstalter:innen des Kongresses, Marx21, die tief verankert in der Linkspartei sind und keinerlei Perspektive für eine unabhängige Alternative aufstellen. Mit unserer Hochschulgruppe Waffen der Kritik und unserer Arbeiter:innengruppierung KGK Workers wollen wir dazu beitragen, eine solche Kraft aufzubauen. Wir laden alle Interessierten ein, zu unseren Veranstaltungen zu kommen.
Bundesweites Treffen von KGK Workers
Wann? Mittwoch, 24. Mai, 18 Uhr
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Klassenkämpfe in Europa: Ein Potential gegen die Krise
Gemeinsame Veranstaltung von Waffen der Kritik und KGK Workers
Wann? Donnerstag, 25. Mai, 18 Uhr
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