Ein paar Fragen für die Diskussion…

08.06.2014, Lesezeit 8 Min.
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// Der Marxismus – wie jede Wissenschaft – lebt von Debatten, Kontroversen, Polemiken, Streit. Toll, dass 500 Menschen beim „Marx Is Muss“-Kongress mit diskutieren. Wir möchten aber ein paar Fragen aufwerfen, die unserer Meinung nach zu kurz kommen… //

1. Was ist der Charakter der Linkspartei?

Die Linkspartei will laut ihrem Programm die Überwindung des Kapitalismus. Doch wie möchte sie das erreichen?

Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi möchte Teil einer rot-rot-grünen Bundesregierung werden – am liebsten wäre er Außenminister. Parteichef Bernd Riexinger wirbt bei jeder Gelegenheit für eine Koalition mit den Sozialdemokrat*innen und den Grünen. Auch die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler (Mitglied bei Marx21) sagte in Bezug auf die Landesregierung: „Wir wollen mitregieren, wenn die Bedingungen stimmen.“ (Interview in der FAZ)

Was rot-rot-grün oder eine andere „linke“ Regierungskonstellation bedeutet, kann man heute in Brandenburg sehen, wo die Linkspartei – entgegen ihres Parteiprogramms – den Kohlebau unterstützt. In Berlin hat die „rot-rote“ Regierung in ihren zehn Jahren an der Macht 150.000 Wohnungen verkauft, Schulen und Jugendzentren geschlossen, Löhne im öffentlichen Dienst gesenkt und öffentliches Eigentum verkauft.

Das liegt nicht daran, dass die Vertreter*innen der Linkspartei in den Regierungen schlechte Menschen seien. Das ist die gleiche Erfahrung mit reformistischen Projekten seit über 100 Jahren. Reformistische Parteien wie die Linkspartei versuchen, den Kapitalismus „menschlicher“ zu machen, aber am Ende verwalten sie nur dieses unmenschliche System. Das liegt am Wesen des kapitalistischen Staates.

2. Wie stehen Marxist*innen zur Regierungsbeteiligung?

Karl Marx nannte den Staat „ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“ (Kommunistisches Manifest). Nach der Erfahrung der Pariser Kommune im Jahr 1871 kam Marx zum Schluss, dass die Arbeiter*innen nicht einfach die fertige Staatsmaschinerie übernehmen können. Vielmehr muss der bürgerliche Staat zerschlagen werden, um den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu ermöglichen. W.I. Lenin verallgemeinerte diese Ideen im Buch „Staat und Revolution“. Die Russische Revolution von 1917 schuf einen neuen Staat auf der Grundlage von Arbeiterräten.

Als die Arbeiter*innenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts erstmals die Möglichkeit hatte, Teil einer bürgerlichen Regierung zu werden, polemisierte Rosa Luxemburg vehement gegen dieses Vorhaben. Der Eintritt „in die Regierungen [kann] nur Korruption und Verwirrungen in den Reihen der Sozialdemokratie zum Ergebnis haben“, schrieb sie. „Als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.“ (Eine taktische Frage.)

Die Linkspartei dagegen beteiligt sich an jeder Regierung, in die sie gerufen wird. Die Bilanz jeder dieser Regierungsbeteiligungen ist verheerend: nicht nur wird mehr oder weniger die gleiche Politik wie bei den Konservativen umgesetzt, sondern die Tatsache, dass die Angriffe von „Genoss*innen“ durchgeführt werden, kann auch den Widerstand dagegen lähmen. Dies gilt umso mehr für internationale Beispiele „linker“ Regierungen.

3. Wie gehen wir mit der Gewerkschaftsbürokratie um?

Gewerkschaften sind die elementarsten Organisationen der Arbeiter*innen zur Verteidigung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Aber in ihnen herrschen nicht die Mitglieder, sondern eine mächtige Bürokratie. Ein einfache*r Gewerkschaftssekretär*in kann schon ein vielfaches von den Menschen verdienen, die sie vertreten sollen. Ein Gewerkschaftsbonze wie Ver.di-Chef Frank Bsirske kommt auf mindestens 17.000 Euro im Monat!

Wir denken, dass Revolutionär*innen die Kämpfe der Arbeiter*innen unterstützen müssen (und wir haben uns riesig gefreut, dass wir mit verschiedenen linken Gruppen wie Marx21, Linke.SDS, Blockupy usw. gemeinsame Erfahrungen der Solidarität mit dem Streik im Einzelhandel gemacht haben). Aber diese Kämpfe werden allzu oft von der Bürokratie gebremst. Die Bürokrat*innen leben als „professionelle“ Vermittler*innen zwischen Arbeit und Kapital – sie müssen ihre Kontrolle behalten und ihre eigenen Privilegien verteidigen.

Das sah man besonders beim Streik bei der Verpackungsfabrik Neupack in Hamburg, wo ein achtmonatiger, heldenhafter Streik von den eigenen Gewerkschaftssekretär*innen regelrecht sabotiert wurde. Das sah man aber auch im Einzelhandel, wo die schlagkräftigen Streiks in der Weihnachtszeit fast komplett abgeblasen wurden. Gegen diese bürokratische Hindernisse sind wir für die Selbstorganisation der Arbeiter*innen: Mit demokratischen Streikversammlungen, die alle Entscheidungen selbst treffen. Das bedeutet gezwungenermaßen ein Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie.

4. Welche Strategie brauchen wir gegen den Kapitalismus?

In Deutschland erleben wir gerade reaktionäre Zeiten. Die Arbeiter*innen und die Unterdrückten lassen – bis auf kleinere, heroische Kämpfe wie die der Refugees – nicht viel von sich hören. Das kann dazu führen, dass Revolutionär*innen sich in den großen reformistischen Apparaten – Linkspartei, Gewerkschaftsbürokratie, Stiftungen usw. – „einnisten“. Doch die Geschichte zeigt, dass ein solcher „langer Marsch durch die Institutionen“ diese Apparate kaum verändert – während sich die Revolutionär*innen immer mehr anpassen.

Wir denken, dass Revolutionär*innen ein eigenes Banner brauchen. Wenn die „Regierungssozialist*innen“ (Reformist*innen) wieder in einer Regierung ihre eigene Basis verraten, dann müssen wir eine Alternative dazu aufzeigen. Die Bürokrat*innen von Linke, DGB und sogar SPD müssen wir immer wieder zu Einheitsfronten auffordern, wenn sie Einfluss über Teile der Arbeiter*innen haben. Aber genauso brauchen wir eine klare politische Alternative, die keineswegs mit Namen wie Dietmar Bartsch oder Stefan Liebich vermischt wird.

Eine revolutionäre Alternative kann sich – gerade wenn Kämpfe stattfinden – Gehör verschaffen. So hat die revolutionäre Linke in Argentinien ihre Unabhängigkeit von linksbürgerlichen und reformistischen Varianten bewährt – und bei den letzten Wahlen bekam sie als FIT (Front der Linken und der Arbeiter*innen) 1,2 Millionen Stimmen (5%).

Vor 95 Jahren begann die deutsche Revolution. Die Arbeiter*innen waren bereit, sich für den Sozialismus aufzuopfern. Doch sie hatten keine revolutionäre Führung – die Spartakusgruppe von Liebknecht und Luxemburg bildete nur eine diffuse Masse innerhalb der reformistischen Partei und konnte das Geschehen nicht entscheidend beeinflussen. Die Lehren daraus zu ziehen, heißt, für eine klar revolutionäre Partei zu kämpfen.

5. Was schlagen wir an konkreten Aktionen vor?

Die revolutionäre Linke heute ist so schwach, dass manche meinen, dass Debatten zwischen den verschiedenen Gruppen die Menschen nur abschrecken können. Wir denken genau das Gegenteil: Wir brauchen gute – ernsthafte und solidarische – Debatten, um eine richtige Politik zu finden. So ist dieses Flugblatt gedacht.

Gleichzeitig brauchen wir auch eine möglichst enge Zusammenarbeit der revolutionären Linken – auch um politische Differenzen in der Praxis auszutesten. Bei den Kämpfen der Refugees, bei Streiks der Arbeiter*innen, bei Protesten der Studierenden brauchen wir breite Bündnisse, die alle Gruppen und unorganisierte Aktivist*innen umfassen.

Wir unterstützten gerade den „Refugee Schul- und Unistreik“ am 1. Juli und rufen alle Schüler*innen und Studierenden auf, diese Aktion zu unterstützen, um ein starkes Zeichen der Solidarität für die Geflüchteten zu senden. Genauso wollen wir breite Solidaritätskomitees an den Universitäten für die Arbeitskämpfe an der Charité, bei Amazon und an anderen Orten.
Unsere internationale Strömung ist dabei, neue revolutionäre Fronten und Organisationen aufzubauen – so die bereits erwähnte FIT in Argentinien, die MTS in Mexiko oder die PTR in Chile. Wir denken, dass Revolutionär*innen eine internationalistische Strategie brauchen, um den Kapitalismus zu zerschlagen, und deswegen haben wir zu einer Bewegung für eine Internationale der Sozialistischen Revolution aufgerufen. Langfristig wollen wir eine revolutionäre und klassenkämpferische Strömung an den Universitäten aufbauen. So wollen wir das Bündnis zwischen Arbeiter*innen und Studierenden schmieden, das schon im Pariser Mai 1968 die Herrschenden in arge Bedrängnis brachte. Dafür laden wir alle interessierten Studierenden ein.

Wo findet man uns?

Wir durften leider keinen Infotisch beim Kongress aufstellen. Aber wir laufen mit diesem Flyer und den Zeitungen „Klasse Gegen Klasse“ und „Waffen der Kritik“ herum. Sprich uns an und wir können diskutieren.

Außerdem laden wir dich zu den offenen Treffen von Waffen der Kritik in Berlin ein. Das nächste wird am Mittwoch, dem 18. Juni um 16 Uhr stattfinden. Wir treffen uns im Foyer vor der Mensa II der Freien Universität (Otto-von-Simson-Straße 26) und diskutieren über die politische Ökonomie der Migration.

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