Ein neuer Deutscher Herbst von Rechts

19.11.2016, Lesezeit 7 Min.
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Deutschland im Herbst 2016: Die AfD ist stark wie nie und rechte Mobilisierungen nehmen nicht ab. Die Regierung erlebt immer wieder Krisen, doch eine Opposition von links ist bisher nicht in Sicht.

Merkel regiert seit November 2005. Elf Jahre, in denen einen Generation von Jugendlichen zur Politik erwachte, die aus der eigenen Erfahrung keine anderen Kanzler*innen kennen. Merkel verwaltete in dieser Zeit die beiden bisher größten inneren und äußeren Angriffe des Imperialismus der BRD, die Rot-Grün begonnen hatte: Hartz IV und die Kriegsbeteiligung im Nahen Osten. Im Zuge der Krise konsolidierte sie die Vormachtstellung Deutschlands in der EU. Merkel – das Sinnbild der Stabilität.

Aufstieg der AfD und Krise der CDU

Dennoch geriet auch Merkel in die Krise: Früher oder später mussten die Resultate der weltweiten Krise auch auf Deutschland zurückschlagen. Die Geflüchtetenkrise und die potenzielle Bedrohung des EU-Projekts – erst mit der Griechenlandkrise und dann mit dem bisher schärfsten Ausdruck im Brexit – stellten das Merkelsche Regime zum ersten Mal in Frage. Hinzu kommt eine schärfere Auseinandersetzung auf dem Weltmarkt, der deutsche Großkonzerne wie Volkswagen oder die Deutsche Bank in immer größere Krisen stürzt.

Mit außenpolitischen „Deals“ – wie mit der Türkei und mit Staaten wie Marokko und Tunesien – konnte sie das europäische Grenzregime zwar erhalten und im Sinne der deutschen Bourgeoisie stabilisieren. Dennoch gibt es seit letztem Jahr eine ernsthafte rechte Opposition gegen Merkel, die sich in der „Alternative für Deutschland“ ausdrückt. In dem Rahmen macht die Große Koalition seit Monaten verschiedene Krisen durch. In den Landtagswahlen verlieren CDU und SPD ständig, und obwohl CSU-Chef Horst Seehofer seit ein paar Wochen wieder versöhnlichere Töne anschlägt, bleiben die Erfolge der AfD auch ein Katalysator für den internen Richtungsstreit innerhalb der Union. Mittelfristig stellt sich deshalb die Frage von Fraktionsbildungen innerhalb der Union. Dabei wird die Stabilität des deutschen Regimes aktuell vor allem von der Antwort der Union auf die AfD abhängen.

Die AfD selbst hat ihre Widersprüchlichkeit – ein neoliberal-nationalkonservatives und ein rechtsnationalistisches Lager, die die selbst moderate Petry auszugleichen versucht – seit der Geflüchtetenkrise vertieft und einige Faschist*innen aufgezogen. Ihre inneren Probleme brechen aber die Popularität der Partei nicht, zumal sie zum Symbol für die rechte Ablehnung Merkels geworden ist. Mit dem kürzlichen Wahlsieg Donald Trumps im Zuge des weltweiten Rechtsrucks wird sich diese Anziehungskraft der AfD tendenziell verstärken.

Faschistische Angriffe und politische Linke

In diesem Kontext hat faschistischer Terror in Deutschland im letzten Jahr ein neues Niveau erreicht. Er findet auf mehrere Ebenen statt: Öffentliche Angriffe (Freital, Heidenau, Bautzen usw.), Attentate aus klandestinen Nazi-Netzwerken (Brandanschläge, Bomben) und individuell ausgeübter Massenmord im Stil Breiviks (München), der öffentlich nicht einmal als rassistisches Attentat anerkannt wurde. Das deutsche Regime verurteilt alle diese Angriffe nicht hauptsächlich als rechten Terror und bekämpft ihre Strukturen nur halbherzig. Die innere Aufrüstung – insgesamt in Relation zu anderen Imperialismen wie USA, Großbritannien oder Frankreich immer noch auf niedrigem Niveau – richtet sich nicht gegen rechts.

Die politische Linke antwortet – abgesehen von Routine-Demonstrationen der Antifa ohne Bezug oder Einfluss auf größere Massen – bisher vor allem mit elektoralen Kampagnen gegen die AfD. Paradoxerweise haben die breiten Kampagnen gar keine breite Wirkung: Die Strategie des „Deine Stimme gegen die AfD“ hat bisher überhaupt nicht funktioniert – vor allem, weil sie sich überhaupt nicht von der Politik der Parteien des Establishments abgrenzt, sondern sie sogar im Gegenteil stützt –, und auch in der Mobilisierungskraft waren Bündnisse wie „Aufstehen gegen Rassismus“ bisher quantitativ ein Flop. Radikalere und regierungskritische Bündnisse wie „Jugend gegen Rassismus“ waren dynamischer und insgesamt größer – aber auch sie schaffen es aktuell nur, sehr kleine, widerständige Sektoren anzusprechen.

Der leere Demokratiediskurs der Linkspartei dagegen sorgt überhaupt nicht dafür, dass die Linkspartei wächst – sie verharrt bundesweit seit Ewigkeiten um die 10 Prozent, während sie in den Umfragen längst von der AfD überholt wurde. Die regelmäßigen chauvinistisch-populistischen Abenteuer wie von Sahra Wagenknecht tun ihr Übriges. In allem ordnet sich die Linkspartei der Perspektive Rot-Rot-Grün unter. Eine populäre linke Opposition gegen Merkel dagegen ist kaum zu erkennen, weil die bürgerliche Flucht- und Migrationspolitik auch von den Parteien eines möglichen Rot-Rot-Grün insgesamt mitgetragen wird.

Arbeiter*innenklasse und Migration

Während das dynamischste politische Phänomen das Erstarken rechter Lösungen wie AfD, Pegida und Co. ist, bleiben progressive Kämpfe gegen die Auswirkungen der internationalen Krise marginal.

Die größeren Kämpfe, wie 2015 bei der Deutschen Post oder dieses Jahr bei Real, gehen unter der Knute der Bürokratie verloren, weil die Kämpfe isoliert bleiben. Es gibt auf niedrigem Niveau Abwehrkämpfe sehr kleiner heruntergedrückter Sektoren, wie die „Aufstände der Töchter“ in Berlin, die kleine materielle Zugeständnisse, aber vor allem moralisch wichtige Teilerfolge erzielen. Leider haben sie bisher keinen Resonanzboden für größere Teile der Klasse.

Innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie gibt es seit einigen Jahren zwar ein bisschen Bewegung, wie beispielsweise mit der Initiative „Erneuerung durch Streik“, die vor allem von niedrigeren linken Rängen der Gewerkschaftsbürokratie getragen wird. Abseits von ersten Erfahrungsaustauschen entsteht dort aber keine grundsätzliche Opposition gegen die Strategien der Gewerkschaftsbürokratien. Auch gegen das Integrationsgesetz gibt es kleine Mobilisierungen der linkesten Gewerkschaftsteile in Bayern, die sich aber auch auf eine elektorale Opposition gegen die CSU beschränken und die bereits ankündigten, die Mobilisierungen zugunsten des juristischen Wegs der Verfassungsbeschwerde wieder zu beenden.

Die Arbeiter*innenklasse wurde in Deutschland in den letzten 15 Jahren auf immer prekärerer Basis neu zusammengesetzt – Hartz IV, Leiharbeit, Minijobs etc. In der Geflüchtetenkrise sollen nun neue Schichten von Migrant*innen vom Kapital instrumentalisiert werden. Das unterläuft objektive Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse, aber die Ideologie der Sozialpartnerschaft lässt keinen gewerkschaftlichen Gegendruck zu. Unter diesen Bedingungen steigt der chauvinistische Druck in unserer Klasse weiter an, wie gute Wahlergebnisse der AfD in Berliner Arbeiter*innenbezirken zeigen.

Die aktuelle Migrationswelle ist eine der größten seit der Existenz der BRD, nach der sogenannten „Gastarbeiter“-Welle der 60er/70er Jahre. Letztere war ein zentraler Faktor der Neustrukturierung der Klasse, inklusive ihrer Kampfkraft, getragen gerade auch von migrantischen Beschäftigten. Die Frage der Migration ist deshalb eine der dringendsten für unsere Klasse, auch wenn sie sich heute vor einem anderen Hintergrund stellt, insofern sie nicht hauptsächlich in die Kernindustrie stattfindet, sondern in prekäre Sektoren. Progressiv beantwortet werden könnte die Migrationsfrage nur mit Kämpfen in Richtung Herstellung der Einheit der nicht-migrantischen und migrantischen Arbeiter*innen gegen das Kapital, das ist aber noch nicht in Sicht. Also müssen wir mit neuen und schärferen Widersprüchen und Spaltungen innerhalb der Arbeiter*innenklasse für die nächsten Jahre rechnen.

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