„Ein freies Land braucht freie Frauen“ – Interview mit Isleen Atallah (18) zu den palästinensischen Frauenprotesten von Beirut bis Ramallah

28.09.2019, Lesezeit 3 Min.
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An diesem Donnerstag gingen in Jerusalem, Ramallah, Gaza, Haifa und in den palästinenssischen Geflüchtetenlagern in Beirut mehr als 3000 Palästinenser*innen unter dem Motto “tal3at” – “Wir (Frauen) kommen raus” in 11 Städten bis spät in der Nacht auf die Straße. Auslöser war eine Serie von Feminiziden (Frauenmorden), unter anderem der Fall der 21-jährigen Israa Ghrayeb, die von männlichen Familienmitgliedern für das Veröffentlichen eines Selfies mit ihrem Freund ein Tag vor ihrer Verlobung ermordet wurde. Allein im Jahr 2018 wurden 38 palästinensische Frauen Opfer von familiärem Frauenmord. Wir haben mit der jungen Aktivistin Isleen Atallah (18) aus Jerusalem gesprochen, die sich an den Protesten beteiligt hat.

Isleen, warst du gestern auch auf der Straße?

Ja, ich bin auf die Demonstration nach Ramallah gefahren und habe dort bis spät Abends mit mehreren hundert Frauen im Stadtzentrum demonstriert. Es liefen hauptsächlich Schülerinnen und junge Frauen mit, aber auch einige Männer. Wir haben mit der Theatergruppe Al-Basta ein stummes Theaterstück vorgeführt, um die Alltagsunterdrückung zu verdeutlichen, die Frauen in unserer Gesellschaft erleiden.

Wer hat denn zur Demonstration aufgerufen?

Die Organisator*innen in Ramallah waren unterschiedliche Jugendgruppierungen – einige, die sich speziell mit Frauenrechten beschäftigen, aber auch welche, die unterschiedliche progressive Kämpfe unterstützen. Parteien und andere Organisationen waren eher zurückhaltend, die Demonstration hatte schon die Form eines bunt gemischten Massenprotestes. Aber bei allen Demonstrationen standen auf jeden Fall die Frauen an der Spitze.

Wie viele Menschen konnten mobilisiert werden?

Es wurde insgesamt in 11 Städten mobilisiert, unter anderem in Gaza, Ramallah, Jerusalem, Nazareth und Haifa. In Haifa allein waren es 1000 Demonstrierende, insgesamt würde ich die Zahl auf ungefähr 3000 schätzen.

Auf dem Foto in der Mitte: Isleen Atallah (18)

Hattet ihr mit Repressionen zu kämpfen?

Die Organisator*innen der Demonstration in Ramallah haben den Protest bei der Palästinensischen Autonomiebehörde angekündigt, deshalb hat die Polizei, die dauerhaft am Manara-Platz (Stadtzentrum) stationiert ist, nur zugeschaut und nicht eingegriffen. Allerdings gab es Übergriffe bei der Demonstration in Jerusalem. Dort hat das israelische Militär nach dem Zeigen einer Palästinafahne die Demonstrant*innen physisch und verbal angegriffen.

Gab es konkrete Forderungen?

Die zentrale Forderung war die Beendigung von Gewalt an Frauen, vor allem der Gewalt und Frauenmord in der Familie. Es wurde aber auch das Grundrecht von Frauen eingefordert, Dinge zu tun, die hier in konservativen Teilen der Bevölkerung als verwerflich gelten, wie zum Beispiel ohne Begleitung auf die Straße zu gehen. Ich glaube, der Frust drückt sich momentan durch die Forderung eines inneren Umbruchs in Kultur und Traditionen aus, nicht so sehr durch gesetzliche Forderungen.

Was politisch allerdings auch überall und auf vielen Plakaten zum Ausdruck gebracht wurde, war die Forderung, die Besatzung zu beenden. Freie Frauen brauchen ein freies Land, in dem sie sich frei bewegen können, aber ein freies Land braucht auch freie Frauen, die mit voller Kraft für ihre Rechte kämpfen können.

Glaubst du, dass die Proteste weiter gehen werden?

Ich bin mir nicht sicher, ob es eine einmalige Aktion bleibt, aber die Stimmung kocht. Und wir haben auf jeden Fall Selbstbewusstsein aus dem Protest geschöpft –so eine große Mobilisierung von und öffentliche Solidarität zwischen Frauen haben wir noch nie erlebt.

Weitere Bilder und Videos auf Instagram unter @tal3at_sept26

Interview: Amelie Meyer, Brot und Rosen München

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