Ein Angriff auf uns alle
// POST: Die Deutsche Post AG kündigt durch den erzwungen Wechsel in Tochterunternehmen die „Sozialpartnerschaft“. Doch ver.di möchte nur eine ganz normale Tarifrunde führen. //
Seit dem 1. April wird bei der Post gestreikt. Zurzeit läuft die dritte Verhandlungsrunde zwischen ver.di und der Deutschen Post AG. Die Dienstleistungsgewerkschaft fordert insbesondere eine Senkung der Arbeitszeit.
Doch es ist keine Tarifrunde wie jede andere, denn sie wird überschattet vom größten Angriff auf die gesamte Belegschaft seit der Privatisierung des ehemaligen Staatsunternehmens. Die Post lagert mit dem Trick der Gründung einer eigenen „Delivery GmbH“ und ihrer 49 „Regionalgesellschaften“ allein in Deutschland tausende Arbeitsplätze – zunächst der Paketzustellung – in prekäre Arbeitsbedingungen aus.
Befristung ist Erpressung
Hintergrund der Ausgliederung sind die „zu hohen“ Löhne bei der Deutschen Post AG, die auf einen Haustarifvertrag mit ver.di zurückgehen. Mit Zunahme der Lieferungen im Handel – wie für den Prekarisierungs-Weltmeister Amazon – müssen die Stückkosten gedrückt werden. Die Post will in „Delivery“ lieber nach dem viel niedrigeren Logistik-Tarifvertrag bezahlen, womit sie den alten Haustarifvertrag unterläuft und viele neue und alte ArbeiterInnen in Armut und Unsicherheit zwingt.
Niemand geht freiwillig zu „Delivery“. Man wird stattdessen beim Auslaufen seines befristen Post-Vertrags vor die Wahl gestellt, einen neuen Vertrag bei der Regionalgesellschaft zu unterzeichnen oder zu gehen. Die dafür genutzte Befristungspraxis der Post trägt schon seit Jahren groteske Züge: Eine Post-Arbeiterin bekam von 2007 bis 2014 ganze 1.400 Arbeitsverträge – für jeden Arbeitstag einen! Dieser Extremfall wurde aufgedeckt und als rechtsmissbräuchlich befunden. Die übliche Befristung hingegen, die den Bossen zur Zerstückelung und Einschüchterung der Belegschaft sowie zur Lohndrückung gute Dienste tut, sei „grundsätzlich legal“, gesteht der DGB-Rechtsschutz ein.
Auf dem Altar der Sozialpartnerschaft geopfert
Die Ausgründung in „Regionalgesellschaften“ ist ein Angriff auf die relativ gute gewerkschaftliche Organisierung bei der Post, auf die ver.di lange stolz war. In den ausgegründeten „neuen“ Unternehmen beginnt alles bei Null: Haustarifvertrag, Betriebsräte, Vertrauensleute – alles weg, als hätte es nie so etwas gegeben, obwohl exakt die gleiche Arbeit von oft den gleichen Leuten getan wird. Damit ist die angebliche „Sozialpartnerschaft“ bei der Aktiengesellschaft tot, könnte man meinen.
Doch all das hat anscheinend nicht viel mit dem Streik zu tun: ver.di geht nicht mit Arbeitskampfmaßnahmen gegen den erzwungenen Wechsel von Beschäftigten in Tochterunternehmen vor. Die Dienstleistungsgewerkschaft bemüht dazu lediglich ein gerichtliches Verfahren. Davon ist aber nicht viel zu erwarten, denn das bürgerliche Recht ist vor allem das Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln. Prekarisierung an sich ist im Kapitalismus erlaubt, nur ihr „Missbrauch“ nicht. „Konkurrenzfähig bleiben“ ist fürs Bürgertum kein Missbrauch. Was die Post AG mit ihrem Privateigentum macht, wird vor Gericht ihre Sache bleiben.
Wenn ver.di die Beschäftigten der Tochterunternehmen „opfert“, macht sie dabei selbst herbe Verluste: Sie wird auf viele freigestellte BetriebsrätInnen verzichten müssen und ihre Vertrauensleute-Struktur verlieren. Der Neuaufbau einer Organisierung müsste unter schlechtesten Voraussetzungen stattfinden: Die Belegschaften der Tochterfirma gehen dann aus der Kapitulation hervor, geopfert auf dem Altar einer toten „Sozialpartnerschaft“.
Doch sowohl die sinnlosen Opfer der ArbeiterInnenklasse als auch die eigener Privilegien scheinen der Gewerkschaftsbürokratie vertretbar, um die Tarifrunde in geregelten Bahnen zu halten und dem bürgerlichen Recht genüge zu tun, das vom Kapital gemacht wurde und von den KapitalistInnen trotzdem noch bei jeder Gelegenheit gebeugt und geschunden wird.
Ausweitung des Kampfs
Wenn die momentanen Kampfmittel beibehalten und nur ein Routine-Streik in der Kernbelegschaft durchgeführt wird, wird nicht nur die Kampfstärke durch den Verzicht auf jegliche Gegenwehr zur Massenprekarisierung erheblich geschwächt. Auch wird jede Tarifrunde, jede betriebliche Auseinandersetzung überhaupt schwächer, wenn schon quasi im eigenen Haus eine Lohn- und Arbeitsbedingungen-Konkurrenz besteht.
Um die Niederlage abzuwenden, muss der Kampf auf die Delivery GmbH ausgeweitet werden, ebenso auf die Beschäftigten in der gleichen und verwandten Branche, die mit diesem Angriff alle gemeint sind. Wenn die Pseudo-Einheit mit dem Kapital stirbt, muss endlich die Einheit der ArbeiterInnen zum Leben erweckt werden. Ein Streik aller PostlerInnen, gemeinsam mit den Amazon-Beschäftigten, wäre der richtige Schritt gegen Lohndrückerei in Ausgründungen, Befristungen und Prekarisierung.