Drohende Kreißsaal-Schließung in Grimma: Protest zeigt den Weg für die feministische Bewegung
Am 19. September demonstrierten 1.000 Menschen im sächsischen Grimma gegen die Schließung des dortigen Kreißsaals. Die Verteidigung der Station muss ein zentrales Anliegen der feministischen Bewegung und der Gewerkschaften werden.
Am 12. September beschloss die Geschäftsführung der Muldentalklinik Grimma, die Geburtsstation zu schließen. Den Hebammen wurde bereits für den 1. April 2024 gekündigt. Laut Perspektive Online könnte der Kreißsaal aber schon im November dieses Jahres dicht machen. Das Management gibt dafür wirtschaftliche Gründe an: Nach dem Wegfall der Corona-Hilfen sei der Betrieb an den beiden Standorten Grimma und Wurzen nicht mehr finanzierbar und müsste in Wurzen zentralisiert werden. Im Landkreis Leipzig wäre Grimma damit die dritte Geburtsstation, die innerhalb von acht Jahren schließt. Dies reiht sich ein in den bundesweiten Trend: Seit 1990 hat sich die Zahl der Geburtskliniken in Deutschland fast halbiert.
Umso wichtiger ist der Protest der Hebammen und solidarischer Unterstützer:innen in Grimma. Sie zeigen: Es ist nicht notwendig, sich mit der Schließung abzufinden. Eine Unterschriftensammlung fand bereits 45.000 Unterstützer:innen. In München-Neuperlach war es zuletzt gelungen, durch selbstorganisierten Protest der Hebammen die Schließung ihres Kreißsaals vorerst zu verhindern. Nachdem es jahrelang nur vereinzelte Widerstände gegen die Schließung von Geburtsstationen gab, deuten die Beispiele in München und Grimma an, dass das Potenzial für mehr Kämpfe besteht.
Ein Kampf gegen die Kürzungspolitik der Ampel-Regierung
In der Regel finden die Schließungen aus wirtschaftlichen Gründen und aufgrund von Personalmangel statt: Die vergangenen Bundesregierungen haben die Krankenhäuser weitgehend dem kapitalistischen Wettbewerbsdruck ausgeliefert. Für die Ausbildung und bessere Bezahlung von neuem Personal und Investitionen ist angeblich nicht genug Geld da. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant eine Krankenhausreform, die das Kliniksterben weiter vorantreiben dürfte. Darauf beziehen sich auch die Kolleg:innen in Grimma. Im Interview mit Perspektive Online erklärte die Hebamme Anja Täubert: „Wir sind ganz klar gegen diese Zentralisierung und gegen die Krankenhausreform. Das führt dazu, dass eine Hebamme gleich mehrere schwangere Frauen während der Geburt betreuen muss.“
Die Bundesregierung hat für die kommenden Jahre Kürzungen angekündigt, um ihre Aufrüstung zu finanzieren. Betroffen davon sind Sektoren, in denen überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten, wie in der Gesundheit und der Bildung. Die Einsparungen auf dem Rücken von Frauen, auf den Hebammen und Gebärenden, auszutragen scheint für die Ampel-Regierung, die sich selbst als „feministisch“ bezeichnet, der gangbare Weg. Neben Geburtsstationen mussten in den letzten Jahrzehnten auch etwa die Hälfte der Abtreibungskliniken schließen. Dies stellt das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper ernstlich in Frage. Entsprechend äußern sich die Kolleg:innen in Grimma über die Schließung ihres Kreißsaals: „Wieder wird am falschen Ende gespart, es geht um Frauen und Kinder, um Familien.“
Die AfD möchte den Druck auf Kliniken weiter erhöhen
Der Protest in Grimma stellt eine Gegentendenz dar gegen die frauenfeindliche Praxis der Bundesregierung, aber auch gegen den expliziten Antifeminismus der Rechten. Mit dem Kampf gegen „Gender-Ideologie“ meinen sie auch einen Kampf gegen die Rechte von Frauen. Die AfD will Schwangerschaftsabbrüche weitgehend einschränken. Ihre Gesundheitspolitik sieht noch mehr wirtschaftlichen Druck auf Kliniken vor: Sie will „leistungsbezogene“ Bezahlung und einen hohen Anteil privater Kliniken. Das System der Fallpauschalen will sie durch ein System ersetzen, bei dem die Krankenversicherungen jährlich einen Pauschalbetrag pro Versicherten an die Kliniken zahlen, die dann selbst die Verwendung der Gelder bestimmen. So soll es „keinen Anreiz für Mehrleistungen“ geben und die „ökonomische Effizienz“ gesteigert werden. Die Zahl der Behandlungen soll sinken.
Für Beschäftigte und Patient:innen wären dies düstere Aussichten, zumal die AfD die Gelder für die Gesundheit noch stärker kürzen würde. Sie will den Haushalt für die Bundeswehr auf 2 Prozent des BIP steigern – für kommendes Jahr wären das 27 Milliarden Euro zusätzlich. Das Geld müsste an anderer Stelle – bei Gesundheit, Bildung und Sozialem – eingespart werden.
Ampel, Union und AfD vertreten ein Programm der Kürzungen und der Aufrüstung, was das Kliniksterben weiter beschleunigen wird. In Grimma kam die AfD bei den Bundestagswahlen auf 28 Prozent und wurde mit Abstand stärkste Partei. Der Protest der Hebammen ist damit besonders wichtig, weil er zeigt, dass es möglich ist, sich selbst zu organisieren und zu kämpfen, und nicht darauf zu hoffen, dass die AfD die Versäumnisse der Ampel und der CDU für sie lösen wird.
Die Verbündeten für die Hebammen in Grimma sind nicht in den Parteien, die Kürzungen durchführen, auch nicht DIE LINKE, die selbst in Landesregierungen im Osten jahrelang Sparpolitik und Privatisierungen mitverwaltet hat. Die Verbündeten können die Kolleg:innen von anderen Stationen und Krankenhäusern und dem öffentlichen Dienst sein, der mit dem Tarifvertrag der Länder bald in Streiks geht. Die Gewerkschaft ver.di muss in der Streikrunde die Verteidigung des öffentlichen Dienstes als ein zentrales Thema setzen und gegen Schließungen vorgehen. Es war enorm wichtig, dass Pflegekräfte aus anderen Stationen der Muldentalklinik und Hebammen aus der Region zur Demonstration in Grimma kamen. Der Kampf in Grimma braucht auch Solidarität aus ganz Deutschland, von anderen schließenden Geburtskliniken und Krankenhäusern sowie aus der feministischen Bewegung. Sollte es gelingen, die Schließung abzuwehren, wäre dies wichtig, nicht nur für die Gesundheitsversorgung von Frauen in der Region, sondern auch als ein starkes politisches Zeichen, dass die Arbeiter:innenbewegung mit feministischen Themen eine Alternative gegen die Ampel und die Rechten aufbauen kann.