Interview: Palästinensischen Aktivist:innen droht wegen ihres Aktivismus die Abschiebung

16.09.2023, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: Zaid

Zaid ist aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Nun droht ihm aufgrund seines Aktivismus der Entzug seiner Aufenthaltsgenehmigung. Wir haben ihn dazu interviewt.

KGK: Du bist nach Deutschland geflüchtet und der Staat hat vor, deinen Aufenthaltstitel zu entziehen und eine Abschiebung steht im Raum mit explizit politischer Motivation. Kannst du uns mehr über deine Situation erzählen?

Zaid: Ich bin in Syrien als Flüchtling geboren. Ich bin Sohn, Enkel und Urenkel von palästinensischen Flüchtlingen, denen das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat Palästina verweigert wird. Das gilt für die Hälfte des palästinensischen Volkes, das im Exil lebt. Mein Flüchtlingsstatus in Deutschland wurde jedoch allein auf der Grundlage anerkannt, dass ich Palästinenser aus Syrien bin, einem Land, in dem Krieg herrscht.

Wir haben in den letzten Jahren die rasante Entwicklung der palästinensischen Bewegung in Europa und in Deutschland gesehen, insbesondere nach 2015 und der Krieg in Syrien. Dementsprechend verschärfte sich die staatliche Repression gegen jeden Versuch zur Organisierung der neu angekommenen geflüchteten Palästinenser. Also, im Rahmen dieser Repressionswelle ist der Angriff auf unsere Bewegung und mich einzuordnen.

Ich bekam einen Brief vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge:
„aufgrund einer Mitteilung des Landes Berlin, wonach Sie sich als Aktivist von Samidoun und Masar Badil … ist bezüglich Ihres vom Bundesamt gewährten Schutzes ein Rücknahmeverfahren eingeleitet worden … das Bundesamt hat das öffentliche Interesse an der Rücknahme ihrem privaten Interesse … gegeneinander abzuwägen haben.“

Anders ausgedrückt, der Staat hat vor, mein Aufenthaltserlaubnis zu entziehen und stellt meinen Flüchtlingsstatus in Frage wegen meines politischen Engagements. Unsere Anwälte haben mich darauf hingewiesen, dass eine Abschiebung als Palästinenser aus Syrien nach deutschem, europäischem und internationalem Recht derzeit nicht möglich ist. Die Realität ist aber: wir wissen nicht wie sich das Verfahren weiterentwickeln wird. Wir wissen, was im Gesetz steht, aber in diesem Fall geht es nicht um das Gesetz oder Gerechtigkeit. Hier wird die prekäre Lage der palästinensischen Flüchtlingen ausgenutzt, um sie zu unterdrücken.

In den letzten beiden Jahren wurden Demonstrationen in Berlin am Nakba-Tag verboten, allgemein scheint das Level an Repression gegen palästinensischen Aktivismus zu steigen. Was steckt hinter dieser Eskalation?

Was der Staat hier tut, richtet sich nicht gegen meine Person, sondern gegen alle palästinensischen Flüchtlinge in Deutschland, die sich für Palästina und gegen die heutigen herrschenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Europa organisieren. Mein Fall ist nicht der erste und auch nicht der letzte. Beispielsweise bemüht sich der deutsche Staat derzeit zwei Palästinensern wegen ihrer Teilnahme an einer palästinensischen Konferenz in Schweden, die auch die Organisierung der neu gekommenen Palästinenser in Europa als höchstes politisches Ziel hatte, abzuschieben. Ein anderes Beispiel ist ein Fall, wo ein palästinensischer Flüchtling, der einen Antrag zur deutschen Staatsangehörigkeit erstellte, in einem Brief diesbezüglich nach seiner Meinung über mehrere politische Angelegenheiten gefragt wurde, sowie die arabische Normalisierung mit dem zionistischen Staat, die eigene Bewertung von der politischen Beziehung zwischen dem zionistischen Staat und Deutschland und die Haltung vom palästinensischen Widerstand.

Das sind nur die Fälle die wir kennen. Offensichtlich sind diese Praktiken systematisch und keine Einzelfälle. Das sind die Sachen, die ständig unter dem Tisch passieren, während sich die Öffentlichkeit auf die Demonstrationsverbote und Hetzkampagnen konzentriert. Einige Flüchtlinge, vor allem diejenigen, die noch stärker marginalisiert sind oder in prekären Verhältnissen leben, fühlen sich nicht in der Lage, über diese Erfahrungen zu sprechen, da sie sonst noch gefährlicheren Umständen ausgesetzt wären. Und dies alles geschieht, um die zionistischen Interessen in Deutschland vor der entwickelnden Massenbewegung zu schützen.

Der Entzug deiner Aufenthaltsgenehmigung ist mit dem “Schutz des öffentlichen Interesses” begründet? Was für ein Interesse steckt deiner Meinung nach dahinter?

Wenn der Staat über die “öffentliche Interesse” in einer Zeit redet, in der in Deutschland lebende Menschen mehr und mehr unter dem Gewicht der ständigen wirtschaftlichen Krisen brechen, dann meint der Staat die Interessen des Staates selbst.

In der EU ist Deutschland der größte Wirtschaftspartner der zionistischen Besatzung, nimmt routinemäßig an Militärmanövern mit der terroristischen Besatzungsarmee teil, unterzeichnete Rüstungsgeschäfte in Milliardenhöhe, die auch Raketensysteme und Atom-U-Boote umfassten, und beteiligt sich in vollem Umfang an der Katastrophe des palästinensischen Volkes, indem er die Besatzung auf internationaler und nationaler Ebene in Deutschland unterstützt.

Diese bedingungslose Unterstützung der Besetzung Palästinas erfolgt eindeutig auf der Grundlage gemeinsamer imperialistischer Interessen und des Verständnisses, dass diese europäische Kolonie in Palästina die militärische Basis des Westens im Nahen Osten ist. Natürlich wird dies als Deutschlands Versuch propagiert, für das Massaker an den Juden im Zweiten Weltkrieg zu sühnen. Wenn überhaupt, dann zeigt die Verwendung der Sünden seiner Nazi-Geschichte zur Rechtfertigung der Unterstützung eines weiteren Ethnostaats-Projekts, dass es nie wirklich aus seiner Geschichte gelernt hat.

Eine organisierte palästinensische, arabische und internationalistische Massenbewegung wird nicht zulassen, dass diese Lügen weiterhin den öffentlichen Diskurs beherrschen, und die palästinensischen Flüchtlinge haben die innere Stärke, eine echte Bedrohung für die zionistische Bewegung in Deutschland und die gemeinsamen deutschen und israelischen Interessen darzustellen. Da Deutschland die Hochburg der zionistischen Bewegung in Europa ist, wird jeder Erfolg des palästinensischen Kampfes hier große Auswirkungen auf die gesamte Bewegung haben. Das ist die wahre Bedeutung der Organisierung der palästinensischen Massen in Deutschland, nämlich dass sie die Grundlagen der imperialistischen Interessen des Staates in ihren Grundfesten erschüttern können.

Wie kann man dich und den Kampf gegen diesen Angriff unterstützen?

Im Rahmen der Kampagne haben wir zu einer Aktionswoche zwischen 20. und 30.09. aufgerufen. Organisiert Veranstaltungen oder nimmt an unseren Veranstaltungen teil. Diese werden wir im Laufe der nächsten Tagen auf unser Social Media veröffentlichen (@samidoun_deutschland). Teilt auch die Stellungnahme der Kampagne auf euren Seiten, und wenn ihr finanziell gegen diesen Prozess und anderen ähnliche Prozessen unterstützen wollt, dann könntet ihr auf das folgende Konto spenden:

Rote Hilfe

Name: Rote Hilfe e.V.
IBAN: DE55 4306 0967 4007 2383 17
BIC: GENODEM1GLS
Note: Palaestina gegen Repression

Mehr zum Thema