Drogeriekette dm: Sozialer Anstrich für Mobbing und niedrige Löhne
Trotz Krise floriert bei den Drogeriemärkten von dm das Geschäft. Das Unternehmen gibt sich auch schon lange einen sozialen Anstrich, hinter dem sich jedoch ganz ähnliche Probleme verbergen wie im Rest der Branche. Tanja M.*, eine ehemalige Verkäuferin, berichtet von ihren Erfahrungen.
Der Einzelhandel ist in der Krise: Bei vielen Ketten stehen Schließungen und Entlassungen bevor. Drogerien dürfen zwar weiterhin öffnen und sind weniger betroffen, die Situation für die Beschäftigten ist aber trotzdem nicht rosig. Wir haben unsere Leser:innen dazu aufgerufen, uns Erfahrungsberichte aus dem Einzelhandel zu schicken. Tanja meldete sich mit diesen Eindrücken von dm bei uns:
“Ich habe meine Ausbildung bei dm gemacht. Eigentlich muss ich sagen, dass dm tolle Ausbildungskonzepte hat und auch fair bezahlt – zumindest am Anfang. Nach 3 Jahren Ausbildung zur Drogistin wird man dann allerdings nach dem Tarif für Verkäufer:innen bezahlt. Sprich: man bekommt viel weniger Geld für eine überqualifizierte Ausbildung.
Als ob das nicht genug wäre, wird innerhalb der Ausbildung versucht mit Krankheitstagen zu mogeln und so Auszubildende in Minusstunden zu stürzen, die kaum wieder abzuarbeiten sind. Das änderte sich erst nachdem unsere Klasse damit zur Auszubildendenvertretung gegangen ist.
Alles was Götz Werner aufgebaut hat, alle Humanität die dieses Unternehmen mal seinen Mitarbeitern gegenüber gebracht hat, ist seit der Übernahme durch den Sohn hinfällig. Es gibt sogar Webseiten, die sich speziell mit dem Thema Mobbing durch Vorgesetzte bei dm beschäftigen.”
Dieser Bericht zeigt schon, dass auch bei dm in letzter Instanz die Interessen der Beschäftigten vor den Profiten weichen müssen. Trotzdem hat Unternehmensgründer Götz Werner in der Branche und auch unter Beschäftigten einen guten Ruf. Warum er unserer Ansicht nach nicht für seinen “Humanismus” gelobt werden sollte, wollen wir kurz beleuchten: Werner legt tatsächlich viel Wert auf das soziale Image von dm. So betont er immer wieder, dass ihm das Wohl der Mitarbeiter:innen wichtiger sei, als die Rendite. Doch seine tatsächliche Unternehmenspolitik und die wirtschafts- und sozialpolitischen Vorschläge, die er in seinen Büchern verbreitet, zeigen ihn vor allem als philanthropischen Kapitalisten. Er versucht also, seinen gigantischen Reichtum damit zu rechtfertigen, dass er das Leben seiner Beschäftigten angeblich erträglicher gestaltet, als seine Konkurrenz.
Er ist schon lange Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Allerdings sagt er offen, dass er damit vor allem die Lohnkosten senken will, die er als besondere Bremse für “unternehmerisches Handeln” sieht. Und er will damit Tarifverträge überflüssig machen.
All die vorgeblich sozialen Maßnahmen von dm, wie zum Beispiel die vergleichsweise gut bezahlte duale Ausbildung und die “flachen Hierarchien” sind in diesem Sinne vor allem ein Werkzeug, um sich von Mitbewerber:innen abzuheben und ungestörter Profite machen zu können.
Das zeigt sich auch bei der Frage der Mitbestimmung durch Betriebsräte: 28 Jahre lang gab es so etwas bei dm überhaupt nicht. Als dann Beschäftigte in einem Verteilzentrum um 2002 einen Betriebsrat erkämpften, wurden flächendeckend Betriebsräte auf betreiben der Geschäftsführung gegründet. So konnte sie sicherstellen, dass die Gremien in ihrem Sinne besetzt werden – und nicht von kritischen Beschäftigten.
Dass schlechte Arbeitsbedingungen im Einhelhandel eher die Norm sind, stellte sich für Tanja nach einem Jobwechsel heraus:
“Ich habe später auch bei Hunkemöller gearbeitet. Da sind die Zustände noch verheerender:
Es gibt ständige Taschenkontrollen und extremen Verkaufsdruck. Wenn die Umsatzzahlen pro Verkäufer:in nicht stimmen wird eiskalt gekündigt. Wir mussten uns als Mitarbeiterinnen ducken, um in den Laden zu kommen, damit der Kundenzähler uns nicht fälschlich als Kund:in erfasst – denn jeder Kunde muss mindestens 3 Teile kaufen, sonst stimmen die Zahlen ja nicht mehr.”
* Name geändert