„Dienstpflicht“: Lohndumping und Töten für das Kapital

08.08.2018, Lesezeit 5 Min.
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In der Diskussion um die sogenannte Dienstpflicht kommen zwei Problemfelder des deutschen Imperialismus zusammen: der akute Pflegenotstand und die Schwäche der Bundeswehr. Sie sollen auf dem Rücken der Jugend und der Arbeiter*innen gelöst werden.

Gesellschaftsjahr, Pflichtjahr, Deutschland-Dienst: Der viel diskutierte Vorstoß der CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer für den Unionsparteitag Ende des Jahres hat in wenigen Tagen viele Namen bekommen. Dass sich im Hochsommer Politiker*innen, die sich zu wenig beachtet fühlen, mit möglichst provokanten Vorschlägen zu profilieren versuchen, ist nun erst einmal nicht ungewöhnlich. Hinter den Wortzusammensetzungen verbergen sich jedoch zwei der zentralen Probleme, die sich die Bundesregierung zu lösen anschickt: Erstens ist die Situation in der Pflege so dramatisch, die Diskussion so virulent, dass die Regierung und damit die Union dringend Lösungen anbieten will. Zweitens ist die Bundeswehr immer noch viel zu schwach, um die strategischen Interessen des deutschen Kapitals in der Zukunft effektiv durchsetzen zu können. Die Dienstpflicht soll beide Fliegen mit einer Klappe schlagen – und mit Zwang.

In der Debatte sind viele vordergründig harmlos klingende Allgemeinplätzen zu vernehmen. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und linksliberale Instanz bei der Süddeutschen Zeitung ist dabei beispielhaft. In einem Videobeitrag unterstützt er den Vorstoß als „Anti-Egoismus-Jahr“, sieht als mögliche Gegenargumente nur volkswirtschaftliche und verfassungsrechtliche – es wäre wohl eine Grundgesetzänderung vonnöten – und ist sich sogar nicht zu schade, John F. Kennedy zu zitieren:

„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann. Fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“

Junge Menschen sollen also „für ihr Land“ ein Jahr lang einen sozialen Beruf ausüben oder den Dienst an der Waffe antreten müssen. Dabei geht es natürlich überhaupt nicht darum, Verantwortung zu lernen, egal wie sehr sich Menschen wie Prantl das vielleicht wünschen. Nicht „das Land“ profitiert von einem solchen Dienst, sondern das deutsche Kapital.

In der Pflege würde das konkret bedeuten: Junge Menschen, die gerade ihren Schulabschluss gemacht haben, sollen die klaffende Lücke von zehntausenden fehlenden Pflegekräften schließen – ohne ausreichende Ausbildung und mit höchstens symbolischer Entlohnung. Das Interesse dahinter ist klar: Lohndumping. Kein Wunder also, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht sehr begrüßt. Ebenso klar ist, dass der drastische Mangel an Pflegekräften so nicht zu beheben ist. Dieser ist schließlich Folge schlechter Arbeitsbedingungen und mieser Löhne.

Ob eine allgemeine Dienstpflicht mit der Wiedereinführung der vor sieben Jahren ausgesetzten Wehrpflicht verbunden sein sollte, darüber herrscht noch längst keine Einigkeit. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will zwar nicht zum alten Wehrpflichtmodell zurück, der Dienstpflicht ist sie aber nicht generell abgeneigt. Die konservative Basis der Union ist mit großer Mehrheit dafür. Wenig überraschend, dass dann auch die AfD diese Forderung erhebt.

Eine größere Zahl schlecht ausgebildeter Wehrpflichtiger ist wohl eher nicht das Mittel der Wahl, um die strategische Schwäche des deutschen Militärs zu überwinden. Zwar mangelt es an Rekruten, doch vielmehr an Spezialist*innen, die sich auf längere Zeit verpflichten. Für den deutschen Imperialismus führt kein Weg an der sprunghaften Erhöhung des Wehretats vorbei. Das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels könnte plausiblerweise am Ende dieser Debatte stehen.

Dass die Wehrpflicht in alter Form zurückkehrt, ist also unwahrscheinlich. Bis tatsächlich eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt werden könnte, würde noch einige Zeit vergehen. Weil die Debatte aber zentrale Probleme des deutschen Imperialismus nach innen und nach außen betrifft, ist es umso wichtiger, dass die Linke eine klare Haltung einnimmt.

Der Vorsitzenden der Fraktion der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, lehnt beispielsweise einen Pflichtdienst ab, insbesondere aber „wenn es darum geht, personelle Notstände in der Bundeswehr, in der Pflege oder in sozialen Bereichen zu verringern.“

Richtig ist dabei, dass eine Dienstpflicht die Situation in der Pflege nicht wird lösen können, sondern sie für die Beschäftigten wie die Patient*innen nur verschlechtern wird. Doch bei der Bundeswehr geht es eben nicht um einen „personellen Notstand“, den es zu verringern gilt. Dort geht es um die Frage, wie in Zukunft der deutsche Imperialismus effizienter Krieg führen kann.

Ob die Wehrpflicht wieder kommt oder nicht, gilt deshalb: Kein Cent und kein Mensch für die Interessen des deutschen Kapitals! Während die massive Erhöhung des Wehretats im Raum steht, mangelt es in der Pflege an allen Ecken und Enden.

Diese Misere kann eine Dienstpflicht nur verschlimmern. Stattdessen müssen Beschäftigte und Patient*innen eine ganz andere Perspektive für eine grundlegend andere Gesundheitspolitik – im Dienste der großen Mehrheit der Bevölkerung, nicht den Profitinteressen des Kapitals – aufwerfen: So haben beispielsweise die Streiks an den Berliner Krankenhäusern schon bewiesen, dass die Beschäftigen im Gesundheitssektor gemeinsam mit Unterstützung von außen, harte Kämpfe mit Erfolg führen können. Auf diese Organisierung in den Betrieben wird es auch im jetzt gestarteten Volksbegehren gegen den Pflegenotstand in Bayern ankommen. Den Pflegenotstand können wir nur selber stoppen.

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