Die zwei Krisen der Kanzlerin
Nach Monaten der Diskussion wurde das Asylpaket II vom Bundestag beschlossen. Doch die Regierungskrise verschärft sich wenige Wochen vor den Landtagswahlen zunehmend. Mit dem Scheitern der "europäischen Lösung“ von Merkel sucht sie nun die strategische Allianz mit dem reaktionären Erdogan-Regime.
Die ersten beiden Monate des noch jungen Jahres waren von hitzigen Debatten in der Regierung geprägt. Während die Regierungsrechte um die CSU und Teile der CDU die politische Landschaft nach rechts verschoben, beschränkte sich die SPD auf konsequenzlose Verbalopposition. Eine solche hatte verzögert, dass die schon Anfang November von den Koalitionsspitzen beschlossenen Asylgesetzesverschärfungen beschlossen wurden.
Asylpaket II steht
Nach zahlreichen internen Spannungen und Anfeindungen zwischen den Regierungsparteien stimmten 429 Abgeordnete für und 147 gegen die zweite Asylgesetzesverschärfung innerhalb weniger Monate. In dem Maßnahmenpaket werden verschiedene Maßnahmen zur Ausweitung und Beschleunigung der Abschiebungen getroffen wie Rückführungszentren, das Fallenlassen von Hürden zur Abschiebung von kranken Geflüchteten und die Aufnahme von Algerien, Marokko und Tunesien in die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“.
Eben diese Maßnahme wurde von der Opposition sowie von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hart kritisiert, da in diesen Ländern Folter praktiziert wird und LGBT*-Menschen besonders stark verfolgt werden. Doch sie passt durchaus in das Bild der menschenverachtenden Politik der Bundesregierung, die massiv afghanische Refugees deportieren.
Neben der Kürzung der Leistungen für Geflüchtete wird auch die Residenzpflicht verschärft und ein Verbot mit härteren Sanktionen bestraft. Diese Maßnahme reiht sich in die Vorstöße von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) ein, eine strenge Wohnsitzauflage einzuführen, was eine weitere Entrechtung von geflüchteten Menschen bedeuten würde.
Auch der Familiennachzug für Geflüchtete mit „subsidiärem Schutz“ wurde letztendlich nach geringfügigen Änderungen ausgesetzt. Teile der SPD hatten bis zuletzt versucht, die „menschliche“ Seite der Regierungspolitik zu verkörpern und griffen dazu sogar zu lächerlichen Ausreden (wir erinnern an die Aussagen, die sozialdemokratischen Minister*innen hätten den Abschnitt über minderjährige Geflüchtete und den Familiennachzug nicht gekannt). Doch sie scheiterten an ihrer eigenen Rolle als Garant der Stabilität der Regierung. Denn während die Spannungen in der CDU immer weiter zunahm und Seehofers CSU immer härter gegen die Regierung hetzte, brüstete sich Thomas Oppermann (SPD) damit, die Regierung vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren.
Weitere Angriffe kommen
Doch wie gewohnt kommt nach einer Asylgesetzesverschärfung die nächste besonders schnell. Vor wenigen Wochen stieß der CDU-Bundesvorstand mit einem „Integrationsplan“ vor, aus dem zwei Ziele klar werden. Zum einen sollen die Geflüchteten in den ersten Jahren durch Entrechtung diszipliniert werden, und nur ein Daueraufenthaltsrecht erlangen, wenn sie Deutsch sprechen, ihren Lebensunterhalt verdienen, die Gesetze kennen und nicht straffällig geworden sind. Auch die Schulpflicht soll auf 25 Jahre erhöht werden.
Zum anderen sollen die Geflüchteten als überausgebeuteter, extrem-prekärer Teil der Arbeiter*innenklasse etabliert werden, um die Löhne und Arbeitsbedingungen für alle Lohnabhängigen zu verschlechtern. Nichts anderes sind die Vorschläge, Ausnahmen beim Mindestlohn während Praktika einzuführen und die Einstellung von Geflüchteten als Leiharbeiter*innen schon nach drei Monaten zu ermöglichen, sowie Ein-Euro-Jobs stärker zu bewerben. Nachdem die CDU bei der rechtlichen Gleichstellung von Geflüchteten und Langzeitarbeitslosen beim Mindestlohn zurückpaddeln musste, sind es nur noch beschränkte Angriffe, die es in ihren Plan hereingeschafft haben. Aber sie sind richtungsweisend und werden sich Woche für Woche, Monat für Monat verschärfen, wie es die kurze Geschichte der Geflüchtetenkrise vom „Wir schaffen das“ bis zur Kölner Silversternacht deutlich zeigte.
Politische Instabilität vor Landtagswahlen
Das gesamte politische Establishment blickt schon jetzt gespannt auf Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Alle drei Wahlen deuten ein politisches Erdbeben an, mit besonders harschen Konsequenzen für die beiden „Volksparteien“. In der (ehemaligen) christdemokratischen Hochburg Baden-Württemberg überholen die – aufgepasst – merkeltreuen Grünen von Kretschmann den sicheren Favoriten Guido Wolf. Die gleich auf zehn Prozentpunkte kommende Alternative für Deutschland (AfD) würde die Koalitionsgespräche zusätzlich erschweren. In Rheinland-Pfalz kommen sowohl die CDU von Julia Klöckner als auch die SPD von Malu Dreyer über die 30 Prozent, jedoch bahnt sich auch hier ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Regierungsmehrheit an, da CDU und FDP genauso wie SPD und Grüne auf etwas mehr als 40 Punkte gelangen. Auch hier droht ein starker Einzug der AfD in den Mainzer Landtag. Der politische Überbau in Sachsen-Anhalt wurde in den vergangenen Monaten am schwersten erschüttert. Die in einer Großen Koalition regierende CDU von Reiner Haseloff erreicht zwar immer noch 33 Prozent, verliert jedoch deutlich an Boden gegenüber einer geschwächten Linkspartei. Der große Profiteur davon ist die fremdenfeindliche AfD, verstrickt in zahlreiche der rassistischen Gewalttaten oder Mobilisierungen, die mit ganzen 17 Prozent sogar die Sozialdemokratie überflügeln würde.
In diesen Bundesländern drückt sich bildhaft das reaktionäre Klima des Regimes aus, das breite Teile der Gesellschaft beeinflusst: Zum einen durch die bemerkenswerte Konsolidierung und den Aufstieg der AfD als politischer Arm der rechten Polarisierung und Radikalisierung. Zum anderen die immer größere Entfernung der „zweiten Reihe“ der CDU hin zu nationalistischer Abschottung und militaristischem Grenzregime. So wiederholte Julia Klöckner am vergangenen Wochenende in einem gemeinsamen Brief mit Guido Wolf ihre Forderung nach Grenzzentren und tagesaktuellen Kontingenten, die sie schon Ende Januar unter dem Namen „Plan A2“ machte. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident trat wiederholt für nationale Alleingänge ein.
Diese Entwicklung wiederum verwandelt SPD und Grüne zu den einzigen, die Merkels Geflüchtetenpolitik verteidigen. In dieser Situation kann selbst die Linkspartei keine Alternative aufzeigen und verhält sich wie der verantwortungsbewusste linke Flügel der politischen Kaste, indem sie wie in Thüringen oder Brandenburg selbst abschiebt und dies gleichzeitig mit einem chauvinistischen Diskurs rechtfertigt. Die zunehmenden Spannungen in der CDU, die Drohungen einer Verfassungsklage der CSU und die Schwäche der SPD verstärken den Kontrollverlust der Regierung und damit in letzter Instanz auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Europäischer Weg?
Doch auch außerhalb von Deutschland stehen die Zeichen nicht gut für das Image der Kanzlerin, deren Autorität immer weiter fällt. Sie war die vehementeste Vertreterin einer „europäischen Lösung“ der Geflüchtetenkrise, die auf „Solidarität“ und „Kontingente“ statt auf „nationale Maßnahmen“ fußen sollte. Doch mit dem Verlauf der Monate kehrten sich immer mehr Länder von ihr ab, nach den nordischen Ländern zu Beginn des Jahres jetzt auch Österreich. Zuerst führte das Alpenland eine Obergrenze von 37.500 Geflüchteten ein, dann begannen sie mit Tageskontingenten von 80 Personen und militarisierten die eigene Grenze. Auf einem Gipfel mit den Staaten des Westbalkans beschloss Wien eine weitere Verschärfung dieses repressiven Kurses, der besonders Griechenland zu Schade kommen könnte.
Die täglich neuen Nachrichten von Grenzschließungen und Kontingenten begraben Merkels pragmatischen Kurs. Sie weiß, dass weitere nationale Maßnahmen, besonders von Deutschland aus, einen Domino-Effekt auslösen könnten, der bis zum Fall vom Schengen-Raum (ohnehin schon enorm infrage gestellt) oder gar des europäischen Binnenmarktes führen könnte. Schon jetzt haben die wiederaufgenommenen Grenzkontrollen zwischen Schweden und Dänemark und zwischen Deutschland und Österreich massive wirtschaftliche Schäden.
Merkels Deal mit dem Mörder
Doch auch Merkel will die Grenzen schließen und Geflüchtete aussperren. Dafür sucht sie einen Weg, der nicht weniger reaktionär ist als die Aufrüstung nationaler Grenzen: eine strategische Allianz mit dem türkischen Staat, angeführt von Recep Tayyip Erdogan. Für drei Milliarden Euro sowie Visum-Erleichterungen, die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsgespräche, die Aufnahme von Geflüchteten durch Kontingente und die vermehrte Polizeizusammenarbeit will sie sich den Rückhalt von Ankara in der Krise sichern. Der türkische Staat seinerseits soll Geflüchtete daran hindern, nach Europa zu reisen und sie wieder aufnehmen, falls sie es doch schafften.
Dafür wurde unter anderem eine von Deutschland angeführte NATO-Mission in die Ägäis geschickt. Dort sollen fünf Boote, sowie bald auch das griechische Militär, patrouillieren und Refugee-Boote abfangen. Auch der Grenzschutzdienst Frontex soll verstärkt werden. Während Österreich und andere Länder für den Einsatz der Armee an ihren Grenzen verurteilt werden, treibt Merkel genau dieselbe Politik an den europäischen Außengrenzen voran.
Die schrecklichen Auswirkungen des EU-Türkei-Deals ließen sich schon in den vergangene Wochen erkennen, als die Türkei die zehntausenden Geflüchteten aus Aleppo und Umgebung nicht aufnehmen wollte. Gleichzeitig befindet sich die Türkei selbst im Krieg gegen die kurdische Bewegung und ist aktiv auf dem syrischen Schlachtfeld gegen die YPG beteiligt und überlegt sogar einen Bodentruppeneinsatz. Mit ihrer finanziellen und politischen Unterstützung segnet Merkel also den Kriegskurs von Erdogan ab und unterstützt einen der Fluchtgründe für Millionen Menschen besonders aus Kurdistan.
Weitere Maßnahmen sollen auf einem Gipfel zwischen der EU und der Türkei am 6. März besprochen werden. Doch es ist deutlich, dass Merkel nach dem Scheitern ihrer „europäischen Lösung“ selbst zu einem Deal mit dem Teufel bereit ist. Bedenken wir, dass nicht einmal die USA zu einer so weitgehenden Unterstützung der Türkei gehen, obwohl sich der NATO-Partner in einer angespannten Auseinandersetzung mit Erzfeind Russland befindet. Das ist zum einen Ausdruck des reaktionären Charakters von Merkels Herrschaft nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa und im Nahen Osten. Zum anderen bezeugt es deutlich die Verzweiflung, in der sich Merkel in ihrer immer größeren Isolation befindet.
Während in Deutschland also die extreme Rechte von der Regierungskrise profitiert, stärkt Merkels neue „europäische Lösung“ das erzreaktionäre türkische Regime. Es wird immer notwendiger, für eine Alternative der Arbeiter*innen und der Jugend einzutreten, die eine anti-imperialistische und internationalistische Antwort auf Krieg und Rassismus gibt. Dazu gehört die Solidarität mit dem kurdischen Widerstand, der Kampf gegen den Krieg in der Türkei und den Merkel-Erdogan-Deal, für den Stopp der deutschen Militärinterventionen in der Region und aller Waffenexporte, gegen Abschiebungen, Asylrechtsverschärfungen und Rechtsterrorismus und für den Aufbau einer Jugendbewegung gegen Rassismus, die die strategische Einheit mit der Arbeiter*innenklasse sucht.