Die ver.di-Führung sabotiert den CFM-Streik!

18.09.2017, Lesezeit 6 Min.
1

Der Streik bei der CFM hat im Frühjahr ein starkes Zeichen gegen Prekarisierung in Berliner Landesbetrieben gesetzt. Doch anstatt die kämpferischen Beschäftigten bei der Durchsetzung all ihrer Forderungen zu unterstützen, verhindert die ver.di-Bürokratie seitdem effektive Streiks. Will sie dem rot-rot-grünen Senat vor der Bundestagswahl den Rücken freihalten? Ein Kommentar.

Zehn Tage lang dauerte der Warnstreik von rund 200 Beschäftigten der Charité Facility Management (CFM) Ende Mai. Neben einiger medialer Aufmerksamkeit für die Zustände an der Charité war das wichtigste Ergebnis das Einlenken des Berliner Bürgermeisters: In einem Interview versprach er den Beschäftigten der Charité-Tochter, dass es noch vor Ende des Jahres eine Erhöhung der Löhne auf 11 Euro geben sollte. Perspektivisch sprach er sogar von einer Annäherung an den Tarif des öffentlichen Dienstes (TVöD). Der Streik hatte also Eindruck hinterlassen, obwohl nur eine Minderheit der über 2000 CFM-Beschäftigten sich daran beteiligte.

Die Stimmung unter vielen der Kolleg*innen war nach zehn Tagen Ausstand auch weiterhin kämpferisch: Es sollte möglichst bald weitergestreikt werden – oder spätestens dann, wenn die nächsten Verhandlungen keine Ergebnis bringen. Vor allem sollte aber jede Chance genutzt werden, gemeinsam mit den Kolleg*innen der Vivantes Service Gesellschaft (VSG) auf die Straße zu gehen, die sich in einer ganz ähnlichen Situation befanden. So hätte auch die zahlenmäßige Stärke und die Außenwirkung der einzelnen Streiktage erhöht werden können.

Im Juli hätte das beinahe geklappt: Am 10. Juli trat die VSG nach mehrmonatiger Pause wieder in den Streik. Am 11. Juli folgte die CFM und beide Belegschaften zogen in einer Streik-Demo durch die Innenstadt. Intern wurde bereits ein gemeinsamer Streik für mehr als eine Woche geplant. Doch am nächsten Tag erreichte die Tarifkommissionen der beiden Betriebe eine erschütternde Nachricht: Der ver.di-Bundesvorstand genehmigte keinen einzigen der neu beantragten Streiktage. Ohne Vorwarnung. Ohne Begründung. Damit wurde den Streikenden jeglicher Wind aus den Segeln genommen.

Dieser abrupte Umschwung war möglich, weil in ver.di nicht etwa die Mitglieder das letzte Wort über Maßnahmen im Arbeitskampf haben, sondern der bürokratische Apparat. Laut Satzung darf der Bundesvorstand im Zweifel jegliche Entscheidungen über Streiks an sich ziehen. Und auch sonst gibt es zwar Mittel zur Mitbestimmung wie Mitgliederbefragungen und Urabstimmungen. Aber ob und wann diese Mittel angewandt werden und welche Konsequenzen tatsächlich daraus gezogen werden, liegt nicht bei den aktiven Mitgliedern im Betrieb, sondern bei Funktionär*innen, die direkt für ver.di arbeiten.

Wut und Verunsicherung

Zunächst wurde die Streik-Absage im Juli nur den Tarifkommissionen mitgeteilt, also den aktiven Beschäftigten, die gemeinsam über die Verhandlungen beraten und bei CFM und VSG auch die Streikleitung bilden. Bei den Kolleg*innen mischten sich Wut und Verunsicherung: Warum will die ver.di-Spitze nicht, dass sie möglichst effektiv kämpfen? Kommt zu einem ohnehin schon schwierigen Arbeitskampf jetzt auch noch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Gewerkschaft hinzu?

Aus Angst, den Konflikt noch zu verschärfen oder die anderen Streikenden zu demoralisieren, wurde die Hiobsbotschaft nicht öffentlich gemacht und bei der CFM auch nur nach und nach an den Rest der Belegschaft weitergegeben. Stattdessen gab es die Hoffnung, den Bundesvorstand durch Argumente zum Einlenken zu bewegen. Doch mit der internen Diskussion wurde so gut wie nichts erreicht.

Diese Zurückhaltung vor einer offenen Diskussion über Probleme der Gewerkschaft kommt allerdings auch daher, dass die ver.di-Funktionär*innen an allen Ecken und Enden Geheimhaltung einfordern. Meist mit der Begründung, dass sonst die Gegenseite zu viel über die Streiktaktik erfahren könnte. Doch oft führt es vor allem dazu, dass die Kommunikation innerhalb der Belegschaft behindert wird und demokratische Debatten über die Taktiken im Arbeitskampf erschwert werden.

So gab es keinen wütenden Aufschrei, sondern vor allem langes Abwarten. Vor drei Wochen wäre nun der Zeitpunkt gewesen, an dem neue Streiktage genehmigt werden sollten. Doch wieder nichts. Angeblich sei es besser, die nächsten Verhandlungen abzuwarten. Aber falls da nichts rauskommt? Dann sollten die Kolleg*innen doch streikbereit sein, oder? Doch bevor die Debatte darüber in Gang kommen konnte, gab es den nächsten Schlag: Der hauptamtliche Verhandlungsführer fällt wegen Krankheit für mehrere Wochen aus. Statt sofort einen Ersatz zu stellen, entscheidet ver.di über den Kopf der Tarifkommission hinweg, die geplanten Verhandlungen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Und damit auch die Option auf einen neuen Streik. Ein Arbeitskampf, der tausende Beschäftigte betrifft, wird also vom Gesundheitszustand eines einzelnen Funktionärs abhängig gemacht.

Gewerkschaften sollten demokratisch funktionieren!

Hätte man dies alles den Kolleg*innen vor vier Monaten gesagt, hätten sie wohl klar gemacht, dass sie sich so ein faktisches Streikverbot nicht bieten lassen. Doch mit ihrer schrittweisen Hinhaltetaktik haben es die Bürokrat*innen in ver.di geschafft, die Beschäftigten der CFM bis über die Bundestagswahl zum Stillhalten zu zwingen.

Dieses Vorgehen ist nicht nur undemokratisch, es widerspricht auch ganz offensichtlich den Interessen der Arbeiter*innen. Über die genauen Gründe dafür lässt sich im Einzelfall nur spekulieren, da sich der gewerkschaftliche Apparat ungern in die Karten schauen lässt. Klar ist aber, dass in der ver.di-Verwaltung nicht wenige Menschen mit SPD-Parteibuch sitzen und es auch persönliche Verbindungen zur Linkspartei gibt. Wenn es also aus dem rot-rot-grünen Senat Druck gibt, trifft er auf fruchtbaren Boden. Außerdem verdienen durchschnittliche ver.di-Funktionär*innen deutlich mehr als die Beschäftigten in den prekären Betrieben, die sie vertreten sollen. Und die Höhe ihres Gehalts hängt eben nicht davon ab, ob die Streiks erfolgreich sind.

Dieses strukturelle Problem betrifft alle großen Gewerkschaften in Deutschland. Und es wird nur überwunden werden, wenn kämpferische Beschäftigte sich gegen die undemokratischen Verhältnisse auflehnen. Statt gut bezahlter Funktionär*innen sollten Basis-Mitglieder selbst darüber entscheiden, wann und wie lange gestreikt wird.

Für die CFM bedeutet das, öffentlich die Forderung nach mehr Streiktagen zu erheben und sich nicht von der Willkür des Apparats einschränken zu lassen. Sowohl bei den Beschäftigten der VSG, als auch bei den Pflegekräften der Charité brodelt es weiterhin. Die Pflegekräfte sind ab heute sogar im Streik. Ein gemeinsamer Kampf mit diesen Belegschaften ist immer noch möglich. Er muss aber gegen den Widerstand der Gewerkschaftsführung durchgesetzt werden.

Mehr zum Thema