Die Ultrarechte gewinnt die Wahlen in Italien

26.09.2022, Lesezeit 10 Min.
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Die Rechtskoalition aus den Brüdern Italiens (FdI), der Liga und Forza Italia (FI) gewann die Parlamentswahlen mit 44 Prozent der Stimmen. Die Partei von Giorgia Meloni hat mit 26 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Bei der Wahl lag die Beteiligung auf einem historischen Tiefstwert. Über das Wahlergebnis und die gewählte Premierministerin.

Nach der Nachzählung, die noch bis 8 Uhr morgens andauerte, lag die Liga von Matteo Salvini im Senat mit 9 Prozent deutlich unter den 34 Prozent der letzten Europawahl. Berlusconis Forza Italia blieb bei 8 Prozent und schnitt damit besser ab als erwartet. Das Ergebnis war sehr schlecht für die Demokratische Partei (PD) von Enrico Letta, die nicht mehr als 19 Prozent erhielt. Die von Giuseppe Conte geführte 5-Sterne-Bewegung (M5S) konnte dagegen mit 15 Prozent der Stimmen ein gutes Ergebnis verbuchen. Das ist dennoch weniger als die Hälfte dessen, was sie 2018 bekamen, aber immer noch ein paar Punkte mehr als die Umfragen zu Beginn des Wahlkampfs, nach einem Bruch mit dem prominenten Außenminister Luigi di Maio, schätzten. Letzterer wird nach dem Scheitern seiner neuen Formation nicht mehr im Parlament vertreten sein. Die sogenannte TercerPolo, die sich aus der zentristischen Action von Carlo Calenda und der Italia Viva des ehemaligen Regierungschefs Matteo Renzi zusammensetzt, kam auf fast 8 Prozent und blieb damit weit hinter den Erwartungen zurück.

Giacomo Turci, Redakteur von La Voce delle Lotte, sagte: „Der Erfolg der Fratelli d’Italia bestand darin, dass sie ein offenes katholisch-nationalistisches Profil in klarer Opposition zur Regierung Draghi zeigten. So hat ein Teil der sozialen Unzufriedenheit zur Unterstützung dieser Partei geführt“. Darüber hinaus führte die Konkurrenz zwischen der FdI und der Liga dazu, dass Meloni einen atlantischen Diskurs (mehr pro-NATO) vertrat. Dies ist für die italienische Bourgeoisie von grundlegender Bedeutung, da die Europäische Union bereits signalisiert hat, dass es im Interesse Italiens liegt, auf Kurs zu bleiben. Vor allem da Italien seine Staatsverschuldung finanzieren muss, die sich bis Dezember 2021 auf 2,6 Billionen Euro beläuft, was 150 Prozent des BIP entspricht.

Eine von Mussolinis Nostalgie geformte Politikerin

Mit ihrem reaktionären und ultraliberalen Projekt, das sich in erster Linie gegen Migrant:innen und die unteren Bevölkerungsschichten richten wird, will die FdI-Chefin eine politische Erneuerung in einem krisengeschüttelten Land verkörpern. Meloni ist jedoch eine Politikerin mit langer Tradition. Sie begann ihren politischen Aufstieg mit 15 Jahren, als sie der Fronte della Gioventù (Jugendfront) beitrat, einer Organisation, die der Italienischen Sozialen Bewegung (MSI) angehört, einer neofaschistischen Partei, die 1946 von Gefolgsleuten Benito Mussolinis gegründet wurde.

Nach der Neugründung der MSI in der Alleanza Nazionale (Nationale Allianz), welche sie vollzogen, um an Ansehen zu gewinnen und mit der Rechten regieren zu können, setzte Meloni ihre Karriere fort. Schon bald wurde sie nationale Leiterin eines der Alleanza Nazionale angeschlossenen Jugendkollektivs, für das sie 2002 zur Gemeinderätin in der Provinz Rom gewählt wurde. Im Jahr 2006 wurde sie unter denselben Farben Abgeordnete und Vizepräsidentin der Kammer, womit sie eine der jüngsten weiblichen Parlamentarier Italiens wurde. Zwei Jahre später wurde sie mit nur 31 Jahren zur Jugendministerin in der Regierung Berlusconi ernannt. Dann gründete sie 2012 den MSI mit einem harten Kern von Duce-Nostalgikern neu und übernahm 2014 dessen Führung.

Sie stellt sich 2019 als „eine Frau, eine Mutter, eine Italienerin, eine Christin“ vor und verspricht, „Gott, die Familie, das Vaterland“ gegen die „Islamisierung des Landes“ zu verteidigen. Auf dieser politischen Linie hofft Giorgia Meloni seit der Gründung ihrer Partei im Jahr 2012, an die Macht zu kommen. Während sie versucht, die offen neofaschistischen Aspekte auszuradieren, um ihr Image und ihre Partei zu entdämonisieren und eine alternative extreme Rechte zu verkörpern, hat sie nicht gezögert, sich offen zu den faschistischen Wurzeln ihrer Partei zu bekennen. „Ich habe eine klare Beziehung zum Faschismus“, sagte sie.

Auch wenn Meloni ihre rechtsextreme politische Linie beibehält, weiß sie, dass sie, um an die Macht zu kommen, den Eindruck erwecken muss, dass sie mit den faschistischen Altlasten ihrer Partei gebrochen hat. In diesem Sinne richtete sie Anfang August eine Videobotschaft in vier Sprachen (Französisch, Italienisch, Englisch und Spanisch) an die europäischen Partner und die großen italienischen Arbeitgeber, um sie zu beruhigen. „Die italienische Rechte hat den Faschismus vor mehreren Jahrzehnten in die Geschichte verbannt“, sagte sie in dem Video. Ein Wille zur Entdämonisierung, der mit einer programmatischen Weiterentwicklung ihres Projekts einhergeht.

Fratelli d’Italia: Eine programmatische Wende, um sich Unterstützung zu sichern.

Die Gründung von Fratelli d’Italia war Melonis erster Schachzug. Als die Rechte nach Berlusconis Abwahl zerbröckelte, beschloss sie, eine eigene Partei um den neofaschistischen Kern der Nationalen Allianz herum zu gründen. Die Linie, die die FdI verkörpern wollte, war die Rückkehr zu einem selbstbewussten Ultrakonservatismus, der sich auf die Familie, den Katholizismus und die italienische Kultur konzentrierte, während sie gleichzeitig die Einwanderung und die „Sozialhilfe“ zum Hauptgrund für die italienische Krise machte. Auf internationaler Ebene vertritt sie eine souveränistische Linie und greift die Europäische Union bei jeder sich bietenden Gelegenheit an. In der Anfangsphase erlitt die Partei über viele Jahre hinweg mehrere Rückschläge und erreichte bei Wahlen nie mehr als 5 %.

Ab 2021 kam es zu einer Veränderung. Meloni entschied sich für eine politische Wende, die sich auszahlen sollte. Ihre Entscheidung, nicht in die Regierung Draghi einzutreten und als einzige Opposition aufzutreten, ermöglichte es ihr, sich als Verkörperung einer neuen Rechten zu etablieren, die gegen den Strom der vorhergegangenen technokratischen Regierungen, schwimmt. Regierungen und politische Gruppierungen, die aufeinander folgten, die bei der Bewältigung der aufeinanderfolgenden Krisen der letzten Jahre versagt haben. Diese Position ermöglichte es ihr, einen Teil der Wählerschaft von Salvini und der konservativen Rechten, die durch die Figur Berlusconis verkörpert wird, für sich zu gewinnen. Dabei profitiert sie davon, dass sie nie im Zentrum der Macht gestanden hat, obwohl sie eine Politikerin ist, die vollständig in das Regime integriert ist. Diese Wende wurde durch eine interne Säuberung erreicht, bei der alle Parteifunktionäre, die sich etwas zu offen zu ihrer Mussolini-Nostalgie bekannten, aus der Partei geworfen wurden. Obwohl ihre taktische Entscheidung bei einem großen Teil der italienischen Bevölkerung erfolgreich war, musste Meloni auch die italienische Bourgeoisie beruhigen. Meloni verspricht den italienischen Arbeitgebern zahlreiche Geschenke, die zu den klassischen neoliberalen Werkzeugen gehören. Ihr Programm kündigt zum Beispiel eine Ausweitung der Einkommenssteuer an, ein Geschenk an das Finanz- und Immobilienkapital. Diese Steuerreform würde es ermöglichen, die Unternehmenssteuer zu senken und gleichzeitig den Steuersatz für die Arbeiter:innenklasse anzuheben. Das Programm sieht außerdem eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge vor, welche sich nach der Rentabilität der Unternehmen richten.

Im Bereich der Einwanderung bleibt ihre fremdenfeindliche und ultrakonservative politische Linie natürlich unverändert. Ihre Pläne zur Errichtung von Lagern für Migrant:innen außerhalb der Grenzen der Europäischen Union oder die militärische Blockade der nordafrikanischen Küste. Mit ihrem Slogan „Gott, Familie, Vaterland“ will Meloni auch die Rechte von Frauen und LGBTI-Personen angreifen, aber auch alle Arbeiter:innen, die bereits jetzt unter verstärkter Repression leiden.

Um letztere dennoch anzusprechen, setzt sie auf die Wut über das politische Establishment und koppelt ihr ultraliberales und reaktionäres Programm mit populistischen und demagogischen Versprechungen. Wie Marine Le Pen während der Präsidentschaftskampagne in Frankreich schlägt auch das Programm der FdI einige wirtschaftliche Maßnahmen für die unteren Sektoren vor, wie die Erhöhung der Renten oder die Einführung eines sozialen Minimums für alleinerziehende Mütter.

Eine internationale Wende hin zu atlantischen Positionen

Die von FdI vollzogene Wende zeigt sich deutlich auf der internationalen Ebene. Meloni, die zuvor „die Technokraten in Brüssel“ scharf kritisiert hatte, fordert nun in ihrem Programm eine „volle Unterstützung des europäischen Integrationsprozesses“. Außerdem hat sie sich von Berlusconi und Salvini durch eine viel stärkere atlantische Linie abgegrenzt.

Seit dem Krieg in der Ukraine hat Meloni stets die Linie der NATO verfolgt und sowohl Waffenlieferungen als auch Sanktionen stärker als Berlusconi und Salvini verteidigt. Ziel dieser Politik ist es, die FdI-Chefin in einer Zeit, in der sich die internationalen Bündnisse neu formieren und verhärten, als potenzielle Verbündete der USA darzustellen.

Dies verhindert jedoch nicht die starken internationalen Verbindungen zur extremen Rechten. Seit 2019 hat Meloni erfolgreich Verbindungen zu anderen rechtsextremen Kräften und Figuren wie Orban in Ungarn oder Morawiecki in Polen aufgebaut. In jüngster Zeit ist es jedoch vor allem Vox in Spanien, mit dem Meloni ein Bündnis geschlossen hat. Auf dem Kongress von Vox im Jahr 2022 bekräftigte sie ihre politische Linie: „Es gibt keinen möglichen Mittelweg, es geht um Ja oder Nein: Ja zur natürlichen Familie, Nein zur LGBT-Lobby, Ja zur sexuellen Identität, Nein zur Gender-Ideologie, Ja zur Kultur des Lebens, Nein zur Kultur des Todes, Ja zu den universellen christlichen Werten, Nein zur islamistischen Gewalt, Ja zur Sicherung der Grenzen, Nein zur Masseneinwanderung“, wie die französische Zeitung Le Figaro berichtete.

Die Perspektive der Rechten an der Macht

Die Ankunft der extremen Rechten an der Spitze der drittgrößten Wirtschaftsmacht des Kontinents nach den Wahlen am Sonntag wird das politische Schachbrett Europas umwälzen, wobei verschiedene Szenarien möglich sind. Italien ist ein Land, das bei der Neugestaltung der Gasversorgung eine zentrale Rolle spielen wird, was dem Land ein großes politisches Gewicht verleiht. Es gibt für Meloni jedoch keine Garantie, dass sie sich angesichts der verschiedenen Krisen in der Vergangenheit und des fiebrigen italienischen parlamentarischen Systems politisch durchsetzen kann. Melonis Machtübernahme könnte für die Bourgeoisie auf nationaler und europäischer Ebene einen großen Faktor der Instabilität darstellen, da diese sich eine unberechenbare Regierung ersparen möchte, die unnötige Spannungen verursacht. Darüber hinaus ist die Rechtsunion zwar eine einheitliche Front, aber dieses Bündnis wurde vor dem Hintergrund politischer Spannungen und Meinungsverschiedenheiten, insbesondere zwischen Salvini und Meloni, geschlossen, welche die Regierung schwächen könnten.

Mit ihrem rechtspopulistischen Diskurs hat Meloni bei diesen Wahlen den ersten Platz belegt, was sie nun in die Lage versetzt, eine Regierung mit den Rechten zu führen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sie diesen reaktionären Diskurs in echte Gegenreformen umsetzen kann: Wird sie versuchen, das Recht der italienischen Frauen auf Abtreibung zu beschneiden, die Politik der Ausweisung von Einwanderern zu verstärken, und welche Reaktionen wird dies auf der Straße hervorrufen?

In einer Situation, die von steigender Inflation, hoher Staatsverschuldung, sozialer Unzufriedenheit und großem Misstrauen gegenüber dem politischen System Italiens geprägt ist, ist es keineswegs sicher, dass Meloni eine eigene Hegemonie erlangen kann, die ihr eine stabile Regierung ermöglichen würde. Die Perspektive, die sich für die italienische Arbeiter:innenklasse und Jugend nach den Wahlen abzeichnet, ist im Angesicht der tiefen Krisen zutiefst reaktionär. In diesem Rahmen kann nur ein entschlossener Kampf der Arbeiter:innenklasse im Bündnis mit allen unterdrückten Sektoren, die direkt von Melonis rassistischer, sexistischer und LGBT-phober Politik bedroht sind, einen anderen Weg eröffnen.

Dieser Artikel entstand aus der Übersetzung von zwei Artikeln die bei La Izquierda Diaro und Révolution Permanente erschienen sind.

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