Die Strategie der Angst hat nicht funktioniert: Massenmobilisierungen in ganz Frankreich
Im Vorfeld der Demonstrationen am Samstag haben die französische Regierung und die Massenmedien Angst geschürt. Doch das hat nicht funktioniert: In ganz Frankreich gingen am vierten "Samstag der Wut" mehr als 130.000 Menschen auf die Straße – selbst laut den stark untertriebenen Zahlen des Innenministeriums. Jetzt geht es mehr denn je darum, die Mobilisierung zu verstärken und die Wut durch Streiks zu verallgemeinern.
Aus Sicht der Regierung wurde an diesem vierten Samstag der Proteste der „Gelben Westen“ in Paris alles unternommen, um das „Katastrophenszenario“ der vergangenen Wochen zu vermeiden. Und aus gutem Grund. Der 1. Dezember und seine beinahe aufständischen Szenen, die eine von der Situation völlig überforderte und demütigte Polizei zeigten, hatten die Exekutive in die wichtigste Krise seit Beginn ihrer fünfjährigen Amtsperiode gestürzt.
So hat die Bewegung der „Gelben Westen“ nicht nur die Autorität des Staates in Frage gestellt, sondern auch Macron zum ersten Rückzieher seit Beginn seiner Amtszeit gezwungen: Er musste die Steuererhöhung auf Kraftstoffe zurücknehmen. Um auf die große Krise zu reagieren, hat sich die Regierung – die die Wut der Gelben Westen nicht mehr ignorieren konnte – für eine Strategie des Druckablasses entschieden.
Der Sprung der Militarisierung als Erweiterung des Aufrufs nach „nationaler Einheit“
Am Donnerstag hatten die Gewerkschaftsführungen einen Aufruf zur „nationalen Einheit“ herausgegeben – im Namen der „gefährdeten Nation“ –, um alle sozialen politischen Organisationen für einen Block gegen die Gewalt der Gelben Westen zu gewinnen. Sie haben nicht eine Sekunde gezögert, diesen Aufruf zu machen, der von der Basis der Gewerkschaften für völlig unwürdig gehalten wurde. Dann entschieden sie sich für eine Strategie, um die Masse der „Gelben Westen“ für sich zu gewinnen, indem sie die äußerst beschränkte Streichung der Krafftstoffsteuer feierten und gleichzeitig eine Rhetorik nutzen, um die große Masse der Gelben Westen von den sogenannten „casseurs“ (Brandstifter, Randalierer) zu trennen.
Dieses Manöver wollte die Regierung am Samstag gleich in die Praxis umsetzen: Mit einem „präventiven“ Angriff wollte sie verhindern, dass „radikale“ Aktivist*innen an den Demonstrationen teilnehmen. Und mit einer riesigen Bodenoffensive wollte sie die staatliche Autorität wiederherstellen, indem Barrikaden und Aufsässigkeit gegenüber der Polizei so weit wie möglich verhindert werden sollten. Um 19 Uhr gab es bereits fast 1.400 Verhaftungen und fast 1.000 Menschen in Polizeigewahrsam – Zahlen, die im Laufe des Abends noch zunahmen.
Trotz der Strategie der Angst: eine massive Mobilisierung
Den ganzen Tag lang freuten sich die Medien darüber, dass die Situation insgesamt „unter der Kontrolle der Polizei“ wäre und dass sich die Beteiligung im Allgemeinen abgeschwächt hätte, wobei einige „Expert*innen“ so weit gingen, den Tod der Bewegung zu prophezeien. Sie drückten so – kein Wunder – die Pläne und Hoffnungen der Regierung aus.
Jedoch haben die zahlreichen Aktionen und Demonstrationen, die sich den ganzen Tag über in Frankreich ausgebreitet haben, weitgehend gezeigt, dass die Mobilisierung noch immer massiv ist. Es zeigte sich sogar eine Radikalisierung und Beharrlichkeit, wie es beispielsweise in Bordeaux, Toulouse und vielen weiteren Städten, oder auch in Provinzen wie Saint-Etienne oder in Puy-en-Velay der Fall war. Nach Angaben der Polizei haben 125.000 Menschen demonstriert – die Zahlen sind immer noch weitgehend unterbewertet, zeigen jedoch eine Mobilisierung, die sich fortsetzt.
Neue Sektoren betreten in Paris die Bühne, in Frankreich verstärkt sich die Mobilisierung
Abgesehen von der Tatsache, dass die Eisenbahner*innen der „Intergare“-Koordination und die Mitglieder des Adama-Komitees ihre Reihen erweitern konnten, haben wir einen Qualitätssprung in Paris beobachtet: Denn zum ersten Mal marschierten gemeinsam mit den „Gelben Westen“ auch strukturiertere Demonstrationszüge mit klaren Bannern und Slogans – eine starke Präsenz von Studierenden verschiedener Universitäten, Schüler*innen, einzelnen Arbeiter*innen und Angestellten sowie von politischen Organisationen, die bisher bei den Mobilisierungen fehlte.
Darüber hinaus breitete sich die Solidarität mit den 148 Schüler*innen von Mantes-La-Jolie, die von der Polizei am Donnerstag auf schockierende Weise festgehalten wurden, im ganzen Land aus, wie unter anderem bei den Eisenbahner*innen in Paris. In den Provinzen sahen wir Barrikaden gegen die schreckliche Polizeirepression, die in vielen Städten durch das Abfeuern von Flashballs schreckliche Wunden wie ausgeschossene Augen bei völlig friedlichen Demonstrant*innen verursachte.
Um die Mobilisierung zu verstärken, müssen wir die Wut durch Streiks verallgemeinern
Die Regierung in Paris hat zwar einen taktischen Sieg über die Frage der „Aufrechterhaltung der Ordnung“ errungen, indem sie mit Hilfe von Panzern, einer Militarisierung der Hauptstadt und einer präventiven Repression gezeigt hat, dass sie nicht „überfordert“ ist. Doch es ist offensichtlich, dass die Terroroperation der Regierung nicht die gewünschte Wirkung hatte. Die „Gelben Westen“ blieben größtenteils mobilisiert – mehr noch, es fand eine Ausdehnung der Bewegung im ganzen Land statt.
Vor diesem Hintergrund war die Rolle der Gewerkschaftsführungen, die auf Macrons Aufruf zur Aufrechterhaltung der Ordnung gegen die „Gelben Westen“ reagierten, umso schädlicher. Das Schlimmste ist, dass sie so die schreckliche Repression gegen die „Gelben Westen“ an diesem Samstag legitimierten und der gesellschaftlichen Wut den Rücken kehrten. Gleichzeitig haben sich zahlreiche lokale, regionale oder Branchen-Gewerkschaftsverbände wie die CGT Chemie oder Basisaktivist*innen davon entschieden distanziert. Denn sie halten die Position der Führung der Gewerkschaftszentralen zur Bewegung der „Gelben Westen“ für unwürdig.
In diesem Sinne ist die Haltung der Führung der Arbeiter*innenbewegung sogar noch skandalöser. Nach dieser massiven vierten Mobilisierung ist es Aufgabe der Basis in den lokalen, regionalen und föderalen Strukturen, der Gewerkschaftsführung aufzuzwingen, dass sie für den 14. Dezember – der bisher nur ein Aktionstag ist – einen Generalstreik vorbereiten. Dies gilt umso mehr, als dass die Forderungen der Gelben Westen – wie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer (ISF), die Anhebung des Mindestlohns (SMIC) oder die Ankoppelung der Renten an die Inflation – Forderungen sind, die die ganze Arbeiter*innenklasse verteidigen sollte. Die Basis muss die Ausrichtung der Gewerkschaften ändernn und sich im Zweifel den Gewrkschaftsspitzen widersetzen, die sich der sozialen Wut nicht anschließen wollen. Unsere Entscheidungen können am besten durchgesetzt werden, wenn am 14. Dezember ein Streik und eine allgemeine Mobilisierung gefordert werden, um die Verallgemeinerung der Wut durch den Streik, den Generalstreik vorzubereiten.
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