„Die Staatsanwaltschaft verfolgt mich, weil ich ein Bild auf Facebook geteilt habe“
Am Freitag, den 14.12., muss sich Benjamin Ruß vor dem Amtsgericht verantworten, weil er auf Facebook Bilder in Solidarität mit der kurdischen Bewegung geteilt hat. Wir haben mit ihm über diesen harten und absurden Angriff auf Meinungs- und Pressefreiheit und über die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland gesprochen.
Am Freitag stehst du in München vor Gericht. Was wird dir vorgeworfen?
Konkret wird mir der Verstoß gegen das Vereinsgesetz vorgeworfen. Ich habe im März 2017 eine Fahne der kurdischen Organisation YPG als mein Hintergrundbild auf Facebook hochgeladen. Im Verlauf der folgenden Monate wurden dann mit Hausdurchsuchungen und weiteren Ermittlungen „Beweise“ gegen mich gesammelt und daraus dann ein Verfahren gemacht. Das Amtsgericht hatte den Antrag auf einen Strafbefehl ursprünglich abgelehnt, aber dann hat sich die Staatsanwaltschaft darüber bei der Strafkammer des Landgerichts beschwert und gesagt, das müsse vor Gericht verhandelt werden.
Der Prozess findet am 14. Dezember um 9 Uhr statt – das wird wahrscheinlich nicht der letzte Prozesstag sein. Je nachdem, wer vor Gericht gewinnt, wird die Gegenpartei ziemlich sicher in Berufung gehen. Also wir werden in Berufung gehen, wenn wir nicht Recht bekommen, und die Staatsanwaltschaft wird das unserer Einschätzung nach genauso tun.
Darüber hinaus gibt es auch andere Anzeigen und Ermittlungen, die gegen mich laufen – sei es, weil sich auf meinen Computern, die bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden waren, Bilder mit Fahnen der kurdischen Frauenorganisation YPJ befanden. Oder weil ich auf einer Demo eine YPJ-Fahne getragen habe, oder weil ich andere Posts zu dem Thema gemacht habe. Es gab sogar eine Ermittlung, weil ich einen Artikel der Süddeutschen Zeitung geteilt habe, in dem eine YPG-Fahne zu sehen ist. In diesem Artikel geht es um die Ermittlungen gegen einen Kumpel von mir, der einen Artikel des Bayerischen Rundfunkts geteilt hatte, in dem es um unsere Hausdurchsuchung ging. Solche absurden Ermittlungen laufen derzeit.
Die Staatsanwaltschaft greift damit elementare Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit an.
Ja, auf jeden Fall ist das ein Angriff auf Presse- und Meinungsfreiheit. Die Staatsanwaltschaft verfolgt mich, weil ich ein Bild auf Facebook geteilt habe. Und sie greift Einzelpersonen und Medien an, wenn sie darüber berichten. Es geht ganz eindeutig darum, Menschen einzuschüchtern und ihnen das Recht abzuerkennen, ihre Meinung zu äußern. Das ist selbst nach den Maßstäben der bürgerlichen Justiz eine absurde Farce.
Wir sehen das auch an Beispielen wie in Hamburg, wo ein türkischer Journalist aus der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan gezogen wurde und dann abgeschoben werden sollte. Kurd*innen leiden unter solchen Repressionen natürlich noch viel mehr. Es geht sogar so weit, dass Leuten, die sich hier vor Ort in der Solidarität für Rojava oder Kurdistan einsetzen, gedroht wird, dass sie abgeschoben werden, oder dass sie Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus bekommen oder ähnliches. Also das ist schon heftig.
Was ich hier auch noch betonen will, ist dass nicht nur Meinungs- und Pressefreiheit angegriffen werden, sondern auch das Recht auf Repräsentanz, das Recht auf Selbstorganisierung von Menschen. Das wiegt noch einmal schwerer, weil damit verhindert werden soll, dass Kurd*innen ein gemeinsames Ziel formulieren.
Du hast schon erzählt, dass du nicht nur eine Anklage wegen des Postens auf Facebook bekommen hast. Was kannst du uns über die anderen Anklagen und Ermittlungen noch erzählen?
Ja genau, das ist nicht die einzige Anklage, die gegen mich läuft, und es sind auch nicht die einzigen Ermittlungen in diesen Fällen. Es gab diesen absurden Fall mit den Presseartikeln aus der SZ und dem Bayerischen Rundfunk, den ich schon erwähnt habe. Dort sind die Ermittlungen wahrscheinlich deshalb wieder eingestellt worden, weil wir hier in München ziemlich viel Öffentlichkeit geschaffen haben. Das Verfahren gegen Johannes König, der als erster dieses Ermittlungsverfahren am Hals hatte, wurde mittlerweile wieder zurück gezogen. Das war ihnen offenbar ein wenig zu heikel, weil auch Journalist*innen dann Anfragen gemacht haben und recherchiert haben.
Aber es zeigt schon, dass sich die Staatsorgane mittlerweile auch trauen, so etwas zu machen. Das ist eigentlich ziemlich gefährlich. Dieser Angriff auf Pressefreiheit glückt noch nicht wirklich so, wie sie es sich vorstellen, aber sie versuchen es. Wohin das führen kann, sehen wir zum jetzigen Zeitpunkt schon in der Türkei.
Dann wurden Ermittlungen gegen mich aufgenommen, weil ich eine Fahne auf einer Demo getragen habe, und weitere ähnliche Fälle. Meistens bekommen auch mehrere Akteur*innen dann solche Anzeigen. Wir haben Bilder hochgeladen, die im Zusammenhang mit Afrin oder mit dem Krieg in Syrien stehen, und auch da haben wir weitere Ermittlungen gegen uns laufen.
Das hört alles nicht auf, und das ist schon meiner Meinung nach der Versuch, uns zum Schweigen zu bringen. Denn sie können die Solidarität nicht politisch verhindern, deshalb versuchen sie es in den Gerichtssälen.
Die Anklage gegen dich ist Teil einer größeren Kampagne der Repression gegen die kurdische Bewegung und solidarische Strukturen. Welche Verbindungen siehst du?
Der größere Kontext ist natürlich der Krieg in Syrien und die Interessen imperialistischer Staaten. Es gibt hierzulande das Interesse der Bundesregierung und damit auch der Kapitalist*innen in Deutschland, den Einfluss auf die Region aufrechtzuerhalten, sowohl diplomatisch als auch wirtschaftlich. Ein Großteil der Waffenlieferungen aus Deutschland geht in diese Region. Es ist nach wie vor auch eine ressourcenreiche Region, und entsprechend gibt es Interessen, diesen Ressourcenfluss aufrecht zu erhalten. Es sind große Märkte – gerade in die Türkei werden viele Waren exportiert, und es gibt auch immer wieder die Möglichkeit, Investitionen zu tätigen.
Von daher gibt es ein großes wirtschaftliches Interesse hinter diesen Prozessen. Darunter leiden die Kurd*innen, und darauf aufmerksam zu machen, macht einen unbeliebt. Auch weil wir aufzeigen, dass diese Interessen im Gegensatz zu den Interessen der Menschen vor Ort stehen. Deshalb gibt es diese Verfolgung.
Sie können die Solidarität nicht politisch verhindern, deshalb versuchen sie, es klammheimlich oder halböffentlich in den Gerichtssälen zu machen. Sie machen Gesetze, um uns dafür zu kriminalisieren, dass wir solidarisch sind.
Und das ist natürlich auch im Zusammenhang damit zu sehen, dass es ein Interesse gibt, die solidarischen Strukturen und Bewegungen hier vor Ort zu kriminalisieren. Denn es ist auch für die deutsche Regierung unangenehm, wenn sich Menschen hier zusammen tun, hier organisieren und hier die deutsche Regierung und das deutsche Kapital angreifen.
Was können Leute tun, um dich und andere Betroffene zu unterstützen?
Also zunächst einmal freuen wir uns natürlich über jede Unterstützung, die wir bekommen – ob das über soziale Medien läuft oder durch Solidaritätsbekundungen oder Kundgebungen. Wir haben jetzt konkret in den letzten zwei Monaten in München eine Solikampagne aufgebaut, an der die Rote Hilfe, die Linkspartei, wir als marxistische jugend und andere Gruppen in München beteiligt sind. Weil die Repression in Bayern besonders hoch ist, geht es von München aus, aber die Kampagne hat einen bundesweiten Charakter. Wir hoffen von daher, dass im gesamten deutschsprachigen Bereich Solidarität gibt: natürlich zum Einen in Form von Spenden, aber wir wissen, dass wir diese Repression nicht mit Spenden, sondern nur politisch aufhalten können.
Weiterhin kann man konkret zu den Prozessen kommen. Darüber, Leute im Rücken zu haben, freut sich jede*r, der*die vor Gericht steht und Staatsanwaltschaft und Richter*in gegenüber sitzt. Mein Prozess beginnt, wie schon gesagt, am 14. Dezember um 9 Uhr am Amtsgericht München.
Darüber hinaus kann man sich auf unserer Kampagnen-Website weiter informieren. Dort werden wir in den kommenden Wochen auch die aktuellen Fälle weiter auflisten, und dort sind das Spendenkonto, Termine zu Kundgebungen usw. aufgeführt. Und man kann einen offenen Brief unterschreiben, der auf der Website auf deutsch und englisch abrufbar ist. Also es gibt ein breites Spektrum, wie man uns unterstützen kann.
Kundgebung gegen die Kriminalisierung der YPG und YPJ
Solidarische Aktivist*innen, wie in diesem Fall unser Genosse Benjamin Ruß, der gegen das Verbot der YPG protestierte, werden aktuell kriminalisiert und müssen sich der polizeilichen Repression stellen. Am Freitag, dem 14.12.2018, wird nun eine Gerichtsverhandlung gegen unseren Genossen stattfinden, der wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz angeklagt ist – in Worten, wegen des Vorwurfes eine kurdische YPG-Flagge auf Facebook geteilt zu haben.
Wir rufen auf, Solidarität sichtbar zu machen und ihn an diesem Tag bei unserer Kundgebung sowie seinem Prozess zu begleiten.
Schluss mit der Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung!
Wann? Freitag, 14. Dezember, 8:15 bis 14 Uhr
Wo? Amtsgericht München, Nymphenburger Straße 16, 80335 München
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