Die „Sozialpartnerschaft“: Erfolgsmodell des Kapitals
ARBEITER*INNENKLASSE: Die Sozialpartnerschaft ist eine Hauptstütze des bürgerlichen Regimes in Deutschland. Sie definiert sich durch die Zusammenarbeit der Gewerkschaftsbürokratie mit dem Kapital. Mit der fortschreitenden Prekarisierung verengt sie sich auf Kosten der ArbeiterInnen.
Die ArbeiterInnenklasse in Deutschland ist mächtig – ihr Generalstreik würde das kapitalistische Europa erschüttern. Sie ist noch lange nicht darauf vorbereitet, aber seit Krisenbeginn erfährt sie eine lange nicht mehr gekannte Streikkonjunktur. Doch auch dieses Jahr stoßen die Streiks an Grenzen – gesetzt von den BürokratInnen, die an der Sozialpartnerschaft festhalten. Historisch gesehen änderte sich die materielle Stütze dieser Ideologie immer wieder mit dem Akkumulationsregime und der Phase des Klassenkampfs. Dass sie der ArbeiterInnenklasse stabile Verbesserungen bringen würde, war jedoch von Anfang an mehr Dichtung als Wahrheit.
Die „partnerschaftliche“ Tarnung der Diktatur des Kapitals beginnt mit dem Stinnes-Legien-Abkommen 1918: Die Gewerkschaften bekamen Anerkennung und Verbesserungen. Dafür verzichteten sie auf die Forderung nach Vergesellschaftung des Privateigentums. Der Industrielle Stinnes und der Bürokrat Legien hatten Erfolg und verhinderten die Revolution. Nach den Jahren der Weltwirtschaftskrise und des Rechtsbonapartismus entledigte sich das Kapital dann seiner willigen PartnerInnen aus der Bürokratie und zerschlug die Gewerkschaften mit dem Faschismus.
Auf die Vernichtung der Produktionsmittel im Krieg folgte ein Boom. Die „Bonner Republik“ musste die selbstbewusstere ArbeiterInnenklasse aber erst wieder paralysieren. Gerade hatte diese in der Montanindustrie die paritätische Kontrolle über die Aufsichtsräte erkämpft und damit die „Machtfrage“ in diesem Sektor gestellt. Es bestand die Gefahr der Ausweitung, die durch Adenauers Betriebsverfassungsgesetz von 1952 verhindert wurde. Der neu gegründete Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte diese Niederlage ermöglicht, indem er die ArbeiterInnen an Rhein und Ruhr zurückhielt und für die „Montanmitbestimmung“ den Generalstreik opferte. Bis heute ist der politische Streik illegal.
Die Lüge der goldenen Jahre
Im Sinne des Kapitals stabilisiert wurde das Betriebsverfassungsgesetz durch eine Novelle der sozialliberalen Regierung von 1972, die bis in den heute geltenden Folgegesetzen BetriebsrätInnen dazu zwingt, Kündigungen „partnerschaftlich“ mitzutragen. Das akzeptierten die DGB-Bürokratien wiederum in Antwort auf die „wilden Streiks“ von 1969, in einer Zeit des internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs. Anstatt das Kapital anzugreifen, galt das Interesse der BürokratInnen ihrem Apparat.
Die klassische Sozialpartnerschaft, vom „Wirtschaftswunder“ bis in die Siebziger, wird von SozialdemokratInnen gern beschworen, wenn sie für das deutsche Modell des Fordismus werben: „Rheinischer Kapitalismus“ oder „Soziale Marktwirtschaft“. Doch dieses Akkumulationsregime musste mit den Ölkrisen dem Neoliberalismus weichen und die ArbeiterInnenklasse musste für die Passivität der Bürokratie in den vermeintlich goldenen Jahren büßen: Es kamen Schmidt und Kohl und mit ihnen eine neue Serie von Angriffen. In den Neunzigern war die große Niederlage zementiert: Der Organisationsgrad deutscher Gewerkschaften sank zwischen 1994 und 2006 von über 27 auf 18 Prozent. Schröders von kapitalistischer Restauration und Sozialabbau getriebenes „Bündnis für Arbeit“ mündete in die Agenda-Politik, also in den unverhohlenen Generalangriff auf die ArbeiterInnenklasse unserer Generation.
Das Akkumulationsregime der „Nullerjahre“ sollte die jetzige hegemoniale Stellung der deutschen Bourgeoisie innerhalb Europas herstellen. Es basiert „auf Befristung, Leiharbeit, drakonischen Sanktionen für Jobcenter-‚KundInnen‘, und das alles im Herzen der hochtechnisierten deutschen Wirtschaft“. Voraussetzung dafür bleibt das „partnerschaftliche“ Stillhalten der schweren Bataillone der ArbeiterInnenklasse – weder damals noch heute mobilisieren die DGB-Gewerkschaften gegen diese Gesetze.
Chauvinismus nach innen und außen
In der Krise seit 2008 zeigte die gewandelte Sozialpartnerschaft ihren Wert für das Regime. Der von der IG Metall (IGM) auf Basis des Standortnationalismus genehmigte „Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung und zum Beschäftigungsaufbau“ in der Metall- und Elektroindustrie erlaubte die Außerkraftsetzung tarifvertraglicher Normen bei Zustimmung der beiden Tarifparteien – natürlich nur auf Kosten der Beschäftigten, die um des lieben Friedens willen zum Stillhalten verdonnert wurden.
Die Regierung konnte das allein nicht schaffen – nur die Bürokratien der ArbeiterInnenorganisationen selbst konnten, wie schon nach Hartz IV, Demonstrationen durch Verhandlungen und die Machtfrage durch Privilegien ersetzen. Die fordistischen Fleischtöpfe des Imperialismus sind jetzt nur noch für einen stetig schrumpfenden Teil der ArbeiterInnenaristokratie zugänglich, während andere ArbeiterInnen auch in Deutschland Überausbeutung erfahren. Um ihren Anteil zu sichern, erstritt die IGM nun ein fatales Urteil, das Tarifvertragsklauseln nur für Mitglieder erlaubt und damit die Klasse weiter spaltet.
Die Verengung der Sozialpartnerschaft auf einige Sektoren, vor allem der weiterverarbeitenden Industrie, ist aufgrund der relativen Stärke der deutschen Bourgeoisie möglich, die gleichbedeutend mit einer schwachen, passiven ArbeiterInnenklasse ist. Die immensen Auslandsüberschüsse werden zwar an die Bürokratie und ArbeiterInnenaristokratie krümelweise weitergereicht, aber nur unter der Bedingung, dass sie der Klasse die Hände binden.
Weil die Sozialpartnerschaft das akzeptiert, ist sie ein tödlicher Chauvinismus nach außen und nach innen: nach außen als Standortnationalismus gegen Resteuropa, wie IGM-Boss und Millionär Huber 2012 mit seiner Hetze gegen den „Unfug“ der Streiks in Portugal, Italien, Griechenland und dem Spanischen Staat bewies. Nach innen als Entsolidarisierung gegenüber den Prekarisierten, zum Beispiel großen Teilen des Dienstleistungsgewerbes, der Logistik und den in Teilzeit arbeitenden Frauen, die besonders schwer von Angriffen betroffen sind. Die Prekarisierung ist zudem eine ständige Drohung gegen die ganze ArbeiterInnenklasse, indem sie die überausgebeuteten Teile der Klasse zur „erweiterten Reservearmee“ ausbaut.
Erdbeben des Kapitalismus
Die IGM wird von der Bourgeoisie dafür gelobt, dass sie die Stagnation der Lohnstückkosten seit Mitte der Neunziger ebenso erlaubte, wie sie in den Tarifrunden der Finanzkrise teils ganz auf Lohnforderungen verzichtete. Dieses mit Privilegien verbundene „Lob“ ist nur sektoral bedingt wegen der Überschüsse im weiterverarbeitenden Gewerbe und der noch relativ hohen Löhne in diesen Sektoren möglich. Solche Privilegien fehlen der Logistik oder dem Einzelhandel schlichtweg.
Die IGM, die in der bürgerlichen Restauration schwer gelitten hatte, konnte ihre Mitgliederzahl auf gut zwei Millionen mit leichtem Aufwärtstrend stabilisieren. Ihr Vermögen konnte sie sogar auf eine halbe Milliarde Euro erhöhen, obwohl die Mitgliedschaft weiter altert. Schließlich war es wiederum die IGM – in einer Achse mit der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) – die mit dem „Tarifeinheitsgesetz“ zum Angriff auf die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und das Streikrecht selbst blies: für Standort, Vaterland und die Organisationshoheit der DGB-Bürokratien.
Im Organisierungsbereich der großen Industriegewerkschaften steht insgesamt weder für die Gewerkschaftsbürokratie noch für das Kapital ein Ende der Kollaboration zur Debatte, auch wenn dafür Teile der eigenen Basis geopfert werden müssen. Die letzte Probe für den Kadavergehorsam der Bürokratie war die Schließung von Opel Bochum 2013–2014, der die IGM zustimmte und somit eine ganze Stadt opferte. Nun steht die Umstrukturierung von Siemens bevor. Auch in der „Familie“ wird der sozialpartnerschaftliche Bereich des Konzerns im Sinne der KapitalistInnen verengt: Befristung, Outsourcing und Massenkündigungen kommen. Es gibt also auch im „Kern“ Angriffe vom Kapital – die IGM nimmt sie aber als Erdbeben im Kapitalismus hin, die zu ertragen der Standortnationalismus erfordert, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Sozialpartnerschaft frisst ihre Kinder
Eine andere Qualität haben die Angriffe des Kapitals auf ver.di-
Fachbereiche, in denen die gewerkschaftliche Organisierung und die Kollaboration – also die Bedingung der Bürokratie schlechthin – stärker in Frage stehen. Von 2001 auf 2014 fiel die Mitgliedschaft von ver.di von 2,81 Millionen auf 2,04 Millionen. Die Gesamtzahl der schwer Organisierbaren in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs Beschäftigten stieg von 6,2 auf 7,6 Millionen.
Erst 2014 musste die Dienstleistungsgewerkschaft einen Großangriff auf den Manteltarifvertrag im Einzelhandel abwehren. Die andauernde Totalweigerung des Amazon-Konzerns, gewerkschaftliche Betriebsstrukturen zu akzeptieren zwingt sie in einen ungewollt harten Kampf. Im Sozial- und Erziehungsdienst machte im Juni die Basis Stunk, weil der von der Bürokratie gewünschte „Schlichterspruch“ unzumutbar ist. In die relativ starken Mobilisierungen dieser Streiks wurde ver.di durch die objektive Lage gezwungen.
Immer wieder kommen die BürokratInnen – beispielsweise eben bei Amazon – in die für sie unbequeme Situation, das Kapital anbetteln zu müssen, als Verhandlungspartnerin anerkannt zu werden. Das ist nämlich lange nicht selbstverständlich, sondern war historisch nur Ergebnis einer starken ArbeiterInnenbewegung, die das Kapital zu dieser Anerkennung zwang, um seine eigene Haut zu retten – ob nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten oder in den Protestjahren der 1960/70er. Dieser Komfort wurde von der neoliberalen Welle, der Restauration und der Agenda geschmälert; die „selbstverständliche“ Partnerschaft lohnt sich für das Kapital nicht immer. Diese Lage zwingt die Bürokratie zuweilen auch gegen ihren eigenen Willen in eine kämpferische Position: Bei Amazon wäre die ver.di-Bürokratie zwar jederzeit bereit, die KollegInnen für ein noch so schlechtes Angebot zu verraten, wenn sie so ihren Status als Sozialpartnerin wiedererlangen könnten. Allein, die Kapitalseite sieht gar keine Notwendigkeit mehr dafür.
Sich selbst unterminiert die Bürokratie dagegen bei der Post AG: Beim ehemaligen Staatsunternehmen kommt es zur teilweisen Zerschlagung der ver.di-Organisierung, weil die Ausgliederung von Regionalgesellschaften auch das Ende vieler Betriebsrats- und Vertrauensleutestrukturen bedeutet. Nach der Atomisierung der alten Belegschaften und der Etablierung einer Dauerbefristung mit 20 bis 30 Prozent weniger Lohn wird die Re-Organisierung unter einem schlechten Stern stehen. Sie bedeutet daher auch herbe materielle Verluste für ver.di. Genau diesem Plan hat ver.di jetzt aber als Ergebnis des vierwöchigen Streiks zugestimmt und erkennt die Regionalgesellschaften an. Nur noch die Kernbelegschaft bekommt eine Zeit lang „Sicherheit“. Das beweist: Sogar noch mehr als eigene Einbußen bei der Organisierung fürchten die Bürokratien die unabhängige Aktivierung der ArbeiterInnen und den politischen Bruch mit der Ideologie der Sozialpartnerschaft, die notwendig für einen Sieg gegen das Outsourcing wären.
Jetzt Klassenunabhängigkeit säen
Die Unterschiedlichkeit sowohl der historischen Episoden als auch der sektoralen Ausprägungen zeigt: Die angebliche Kontinuität und dauerhafte Stabilität der Sozialpartnerschaft im Interesse der ArbeiterInnen ist eine Grundlüge des deutschen Regimes. Die Sozialpartnerschaft ist tatsächlich eine besondere Ausprägung der Klassenkollaboration als Ideologie und als materielle Basis. Die Bourgeoisie und die Bürokratie haben gleichermaßen ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Ideologie: Erstere müsste sich sonst völlig anders rechtfertigen und hätte viel mehr Konfrontation zu erwarten; letztere schöpft ihre Privilegien aus der VermittlerInnenrolle, die sich aus der Partnerschaft ergibt, und schützt sich gleichzeitig vor „aufmüpfigen“ ArbeiterInnen. Anders als die Bourgeoisie hat die Bürokratie auch ein unbedingtes Interesse an der Aufrechterhaltung der materiellen Sozialpartnerschaft – wie branchenweit gültige Tarifverträge, Löhne deutlich über der Reproduktionsgrenze und anerkannte Betriebsstrukturen. Für die Bourgeoisie dagegen gilt das nicht in jeder Phase, wie die Prekarisierung, Überausbeutung und teilweise Nichtanerkennung beziehungsweise Zerstörung von Gewerkschaftsstrukturen zeigen. Das macht einen Widerspruch der aktuellen Streikkonjunktur aus: Die Bürokratie verteidigt mit der Sozialpartnerschaft zuweilen eine „Leiche“.
In der ArbeiterInnenklasse selbst ist die konservative Utopie des „Zurück zu den goldenen Jahren“ noch weit verbreitet, auch wenn das Akkumulationsregime relative Sicherheit und hohe Löhne lange nicht mehr für alle hergibt und der Klassenkampf sie nicht erzwingt. Doch trotz der Tendenz zur Prekarisierung ganzer Sektoren der Arbeit bleibt das klassenkollaborationistische Bewusstsein zunächst erhalten. Sonst könnten die BürokratInnen ihre durchsichtigen Manöver zum Streikabbruch nicht so leicht durchbekommen. Hier macht sich das Fehlen einer Strömung für klassenkämpferische und antibürokratische Gewerkschaften und letztlich einer revolutionären ArbeiterInnenpartei bemerkbar, die diesem Konservatismus entgegentreten und ihre eigene revolutionäre Perspektive mit konkreten Siegen in einer Zeit der Niederlage untermauern könnte.
Die deutsche Wirtschaft wächst indes, aber die Arbeitenden profitieren nicht davon. Im Gegenteil: Die Prekarisierung wird noch weiter vorangetrieben. Die aktuelle Streikkonjunktur ist ein defensiver Reflex der ArbeiterInnenklasse gegen die fortschreitende Prekarisierung: Die jetzigen Angriffe finden nicht aus einer Schwäche, sondern einer Stärke des deutschen Kapitals statt. Anders als die ReformistInnen sagten, brachte der Verzicht der ArbeiterInnenklasse in der Krise keine späteren Verbesserungen. Im Gegenteil ist die Passivität und Wehrlosigkeit der ArbeiterInnenklasse in Deutschland, die in der Krise vertieft wurde, Bedingung für die Angriffe des Kapitals – in Deutschland und in ganz Europa. Der nur defensive Charakter der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse geht aus dieser vergifteten Ausgangslage hervor; das einzige Antidot ist ein Programm der Klassenunabhängigkeit.
Die politische Begleitung der konkreten Kämpfe ist eine Pflicht der RevolutionärInnen, die sich auch in die Betriebsarbeit „einmischen“ müssen. Ihr Standpunkt ist die vollständige Unabhängigkeit vom Kapital und all seinen Vermittlungsinstanzen in der Bürokratie, sowie die politische Herausforderung dieser Instanzen im Streik auf Grundlage des Übergangsprogramms. Denn im Imperialismus dienen die Gewerkschaften „entweder dem Kapitalismus oder den breiten ausgebeuteten Massen“; der Kampf um ihre Rückeroberung als Instrumente der ArbeiterInnenklasse beginnt heute.