Die schwerste Migrationskrise seit dem Zweiten Weltkrieg

25.07.2018, Lesezeit 6 Min.
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Die Zahl der Zwangsmigrant*innen wächst von Tag zu Tag, während die kriminelle Anti-Migrationspolitik in Europa und den USA zunimmt.

„Als wir ankamen, war eine der Frauen noch am Leben. Wir konnten nichts tun, um die andere Frau und das andere Kind zu retten, die anscheinend wenige Stunden vor unserer Ankunft gestorben waren“, schreibt Oscar Camps, Gründer der spanischen NGO Open Arms, auf seinem Twitter-Account. Die Frau heißt Josefa und floh aus Kamerun durch Libyen, denn ihr Mann schlug sie, weil sie keine Kinder bekommen konnte.

Das Bild ist nicht neu – im Gegenteil, es wiederholt sich immer wieder in den Gewässern des Mittelmeers, wenn die prekären Boote zusammenbrechen, auf denen Dutzende von Migrant*innen hoffen, europäischen Boden zu erreichen.

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Die Situation an den italienischen Küsten hat sich mit dem Beginn der Regierungskoalition zwischen der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der rechtsextremen Lega von Matteo Salvini verschärft. Vor allem der fremdenfeindliche Salvini hat seit seinem Amtsantritt als Innenminister einen Kreuzzug gegen Migrant*innen gestartet.

Aber er war nicht der einzige – mehrere Länder der Europäischen Union haben begonnen, noch schärfere Maßnahmen gegen Migrant*innen zu ergreifen. Die extreme Rechte in Europa gibt in Migrationsfragen das Tempo vor, vor allem in Deutschland. Dort hat Bundeskanzlerin Angela Merkel, um ihre rechten Verbündeten zufriedenzustellen, eine Vereinbarung zur „Rückführung“ von Migrant*innen getroffen. Dazu kommt die Schaffung spezieller Transitzonen an der Grenze zu Österreich, wo Migrant*innen verfolgt und inhaftiert werden.

Jede*r siebte Migrant*in stirbt im Mittelmeer

Die Zahl ist schockierend. Allein im Juni verlor jede*r siebte Migrant*in sein*ihr Leben, der*die das Meer überqueren wollte. Im gleichen Zeitraum 2017 starb eine von 38 Personen, die das Mittelmeer überqueren wollten, um nach Europa zu gelangen.

Der Sprecher des UNHCR, des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, Charlie Yaxley sagte, dass die Gesamtzahl der Migrant*innen, die über das Mittelmeer nach Europa kamen, in diesem Jahr zurückgegangen, die Sterblichkeitsrate aber gestiegen sei.

Nichtregierungsorganisationen wie Open Arms werfen den libyschen Behörden vor, Migrant*innen in den Gewässern des Mittelmeers ausgesetzt zu haben. Die libyschen Behörden profitieren von wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung durch Länder wie Italien, um die Zahl der Schiffe zu verringern, die das Meer nach Europa überqueren wollen. Und das ist nicht das einzige Abkommen zwischen europäischen Regierungen und anderen Ländern: Deutschland hatte sich bereits mit der Türkei und Ägypten auf eine „Zusammenarbeit“ geeinigt, um die Migrant*innen zu stoppen.

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Zynischerweise haben die europäischen Regierungen die kriminellen Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump gegen undokumentierte Migrant*innen, die über die Grenze zu Mexiko einreisen, angeprangert. Auch wenn sie nicht bis zu Trumps unmenschlichem Extrem gehen, Kinder bei der Festnahme von ihren Eltern zu trennen, stehen die europäischen Großmächte ansonsten den Vereinigten Staaten in der Durchsetzung von scharfen Anti-Migrations-Gesetzen in nichts nach.

Die schwerste Migrationskrise seit dem Zweiten Weltkrieg

Laut dem jüngsten Bericht des UNHCR erleben wir die schwerste Migrationskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Rund 68 Millionen Menschen wurden weltweit vertrieben. Davon mussten 25,4 Millionen Menschen in andere Länder flüchten, mehr als die Hälfte von ihnen ist unter 18 Jahren. Denn jede Minute müssen 31 Menschen in der Welt aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen oder weil ihr Leben durch Kriege gefährdet ist, ihre Heimat zwangsweise verlassen.

Die Mehrheit der Migrant*innen befindet sich in armen Ländern, und diejenigen, die auf dem Weg zu den großen Wirtschaftsmächten sind, sind mit dem Aufkommen rassistischer und fremdenfeindlicher Maßnahmen konfrontiert.

Die Krise hat eine globale Dimension angenommen. Die Reaktion der Großmächte besteht darin, die Offensive gegen Migrant*innen noch zu verstärken. Von der „Nulltoleranz“ und der Anti-Migrationspolitik von Trump, die die brutale Verschärfung der Anti-Einwanderungsmaßnahmen früherer Regierungen wie der von Barack Obama ist, bis hin zur Schließung italienischer Häfen, um zu verhindern, dass gerettete Menschen aufgenommen werden, sehen wir die kriminelle Gestalt des Imperialismus.

Echte Konzentrationslager in Ländern wie den Vereinigten Staaten, der Türkei und Frankreich verstärken neben der zunehmenden Militarisierung und Verfolgung an den Grenzen die Fremdenfeindlichkeit. Das hat zu einer Zunahme der Angriffe auf Geflüchtete geführt, die aufgrund von Kriegen und der Einmischung der imperialistischen Mächte in ihre Herkunftsländer in die zentralen Länder gekommen sind.

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Millionen von Männern, Frauen, Mädchen und Jungen müssen aus ihren Ländern fliehen und ihr ganzes Leben hinter sich lassen. Sie werden dazu gedrängt durch wirtschaftliches Elend, das durch die Einmischung der multinationalen Konzerne und des Finanzkapitals entsteht, sowie durch die Krisen und Kriege, in die die internationalen Großmächte direkt und indirekt eingreifen.

Wie der italienische Soziologe Pietro Basso in einem Interview mit La Izquierda Diario feststellt, „ist die Auswanderung, sei es durch wirtschaftliche, politische, militärische oder kulturelle Faktoren oder oft durch eine Mischung dieser Faktoren, immer eine erzwungene Auswanderung. Niemand verlässt ‚freiwillig‘, fröhlich, seinen Geburtsort. Die Ungleichheit, die durch die Einmischung der imperialistischen Länder in ganze Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas entsteht, macht es Millionen von Menschen unmöglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Die Regierungen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten reagieren auf diese Migrationskrise, die durch wirtschaftspolitische Maßnahmen oder direkt durch militärische Handlungen der Großmächte ausgelöst wurde, mit einer stärkeren Kriminalisierung und Verfolgung von Migrant*innen. Das gilt nicht nur für die ultrarechten oder rechten Regierungen, sondern auch Regierungen, die einen „progressiven“ Diskurs oder einen Diskurs der „Mitte“ anstreben. So war es auch bei dem Demokraten Barack Obama der Fall, der während seiner Regierung mehr Migrant*innen deportierte als die vorherigen republikanischen Regierungen.

Dagegen gibt es aber auch die Mobilisierungen zur Verteidigung der Rechte von Migrant*innen und Geflüchteten in den Vereinigten Staaten und mehreren europäischen Ländern. Dort mobilisieren Arbeiter*innen-, Frauen- und Jugendbewegungen gegen Sparpläne und in Solidarität mit den Migrant*innen. Die Herausforderung besteht darin, sich der fremdenfeindlichen Politik ihrer Regierungen und den Kürzungsmaßnahmen zu stellen, die diese zugunsten des Großkapitals in ihren Ländern und in der übrigen Welt umsetzen wollen. Das ist der einzige Ausweg aus der unmenschlichen Situation, auf die der Kapitalismus drängt.

Dieser Artikel bei La Izquierda Diario.

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