Die Schwarze Frage und die Revolution in Brasilien
Dies ist die Einleitung zu einer neuen Ausgabe von „A revolução e o negro“ (Die Revolution und die Schwarzen). Sie befasst sich mit der Schwarzenfrage in Brasilien, wo sich die größte Schwarze Bevölkerung aller Länder außerhalb Afrikas befindet. Sie ist Teil unserer Reihe über Marxismus und den Schwarzen Kampf.
Während wir diese Zeilen schreiben, hat Lateinamerika den gleichen Weg eingeschlagen, der Frankreich, den Sudan, Algerien, Katalonien, Ecuador und Chile erschüttert hat. Die Winde des Klassenkampfes, die im Arabischen Frühling zum ersten Mal seit Jahren wehten, haben sich über Europa ausgebreitet und unseren Kontinent erreicht. Die allgemeine Wirtschaftskrise, die 2008 begann, hat verschiedene Ausdrücke der organischen Krise hervorgebracht, darunter auch verschiedene Ebenen der sozialen und politischen Polarisierung.
Die Ausreizung des wirtschaftlichen und politischen Projekts der neoliberalen Hegemonie hat den Weg für rechtsextreme populistische Regierungen geebnet, aber auch zu ideologischen Ausdrucksformen progressiver und linker Kritik an dieser dekadenten Gesellschaftsordnung geführt, die von Ausbeutung und Unterdrückung aufrechterhalten wird. Das Wiederaufleben des Klassenkampfes verlangt eine Wiederbewaffnung – theoretisch, politisch und strategisch -, um eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft zu ermöglichen. Dies ist eine Zeit für Revolutionär*innen.
In der aktuellen Situation gehören Schwarze, wie auch Immigrant*innen, zu denen, die die schrecklichen Auswirkungen des Kapitalismus am stärksten zu spüren bekommen, und wie im Laufe der Geschichte nehmen sie die prominentesten Positionen im Klassenkampf ein. Elf Jahre nach Beginn der kapitalistischen Krise ist der so genannte „Globalisierungskonsens“ einem Wiederaufleben nationalistischer und xenophobischer, gegen Immigrant*innen gerichteter und rassistischer Diskurse gewichen. Diese Diskurse werden weltweit von Persönlichkeiten wie Trump in den Vereinigten Staaten, Salvini in Italien und Bolsonaro in Brasilien verbreitet. Die Auswirkungen der kapitalistischen Krise materialisieren sich in schrecklichen Szenen von Immigrant*innen, die bei dem Versuch sterben, das Mittelmeer oder die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten zu überqueren, und in der Errichtung von Konzentrationslagern,[1] in die sie bei ihrer Ankunft in Europa geschickt werden.
Im Herzen des Imperialismus ermordet die Polizei weiterhin systematisch Schwarze Jugendliche, darunter Mike Brown, Eric Garner, Philando Castile und viele andere. In den Vereinigten Staaten sind Tausende von Schwarzen mit den Sprechchören „Black Lives Matter!“ auf die Straße gegangen. Ihre Stimmen haben in den Köpfen und Seelen der unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt Widerhall gefunden. Unter der andauernden Apartheid in Südafrika wurde das Symbol der britischen imperialistischen Unterdrückung in einer der wichtigsten Studierendenmobilisierungen des Jahrzehnts frontal herausgefordert. „Rhodes muss fallen!“ und dann „Gebühren müssen fallen!“ waren die Parolen einer Bewegung, die ihre Forderungen radikalisierte, indem sie die eigentlichen Symbole des Imperialismus (dargestellt in der Statue des englischen Kolonialisten Cecil Rhodes) in Frage stellte und die Universität Kapstadt erfolgreich dazu zwang, den ausgelagerten Arbeiter*innen reguläre Arbeitsverträge zu geben. In Marikana, ebenfalls in Südafrika, traten Hunderte von Bergarbeiter*innen dem Profitstreben des britischen Bergbauunternehmens Lonmin entgegen und kämpften in monatelangen Protesten und mit Dutzenden von Toten und Verletzten heldenhaft für ihre Forderungen. Die Sicherheitskräfte reagierten in beiden Fällen mit Massakern und erinnerten alle daran, dass Sharperville in der Vergangenheit nicht so weit entfernt ist.[2] Wie C.L.R. James in seinem schönen Text „Imperialismus in Afrika“, der in den frühen Jahren des Zweiten Weltkriegs geschrieben wurde, deutlich macht, stehen die Interessen der afrikanischen Bevölkerung denen des Imperialismus diametral entgegen.[3]
Die Hinrichtung der Schwarzen Stadträtin Marielle Franco in Brasilien ist nach wie vor eine offene Wunde des institutionellen Putsches. Die Ermordung des Capoeira-Meisters Moa do Katendê symbolisierte die Entstehung einer rassistischen extremen Rechten und war eine Folge des institutionellen Putsches gegen Dilma Rousseff. Die staatliche Repression, die das Leben junger Schwarzer Frauen wie Agatha Felix, die erst 8 Jahre alt war,[4] sowie die erschreckenden Arbeitslosenraten und die prekäre Arbeitssituation, von der vor allem Schwarze Jugendliche in Brasilien betroffen sind, sind sinnbildlich dafür, wie sich der Anstieg des Rassismus im täglichen Leben vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise materialisiert.
Diejenigen, die ihre Augen offen und ihre Sinne auch nur ein wenig wachsam halten, erkennen, dass unsere kapitalistische Gesellschaft nicht imstande ist, die Mindestvoraussetzungen für ein Leben in Würde für die große Mehrheit der Bevölkerung zu garantieren. Das Wiederaufleben des Sozialismus als Referenz für eine neue Gesellschaft ist eine der größten Äußerungen der Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus, sowohl mit der kapitalistischen Gegenwart als auch mit dem, was das System für die Zukunft verspricht. Das Aufkommen neuer Klassenkämpfe auf internationaler Ebene ebnet auch den Weg, Rassismus, Xenophobie und Patriarchat mit neuer Kraft zu begegnen, insbesondere unter der Jugend. In der Gesellschaft – oft außerhalb der traditionellen Gewerkschaften und Parteien der kapitalistischen Demokratie – gewinnt dies an Bedeutung.
Seit seiner Entstehung vor ein paar hundert Jahren hat die Entwicklung des Kapitalismus das Verhältnis des Menschen zur Natur in beispielloser Weise verändert – er hat Schöpfung und Zerstörung miteinander verbunden, sozialen Klassen Gestalt verliehen und sie auf dem Schlachtfeld der Geschichte voneinander abgegrenzt.
Eine Form, in der der Kapitalismus seine Produktionsverhältnisse erweiterte, war die gewaltsame Zerstörung von Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent. Schwarze Männer und Frauen über den unbekannten Horizont zu entführen und sie in Waren zu verwandeln, wurde durch ein Maß an Gewalt und Unterdrückung ermöglicht, das selbst die ungeheure Zahl der Betroffenen nicht zu vermitteln vermag. Die kontinuierliche Entwicklung der Produktivkräfte ebnete den Weg für die Kombination fortschrittlicher Technologien mit den brutalsten Formen der Beherrschung durch einige Menschen über andere. Einer der Artikel in diesem Buch, „When Anti-Negro Prejudice Began”, befasst sich mit diesem Thema und verbindet, ausgehend von früheren Beiträgen, die Entstehung des Rassismus mit den ersten Schritten des Kapitalismus.
Der Rassismus stand im Zentrum und im Dienst der unermüdlichen Suche der entstehenden Bourgeoisie nach politischer Macht, die ihrer wachsenden wirtschaftlichen Rolle im Verhältnis zum Adel entsprach. Dies ist eine der Schlussfolgerungen von „Revolution and the Negro” von C.L.R. James, dem Eröffnungsartikel, der diesem Buch seinen Namen gibt. Der / die Leser*in wird noch weitere finden, aber wir bringen eine, die uns wesentlich erscheint, voran: Die Schwarzen werden beim Aufbau des Sozialismus eine entscheidende Rolle spielen, mehr noch als ihr monumentaler Einfluss auf den Verlauf der kapitalistischen Entwicklung.
Mitten in der Französischen Revolution, die 1789 begann, der größten bürgerlichen Revolution der Geschichte, erlangten die Schwarzen von Saint-Domingue [Hispaniola] ihre Freiheit, indem sie sich von den politischen Fesseln der französischen Kolonisator*innen befreiten. In einer Zeit tiefgreifender Transformationen lieferten die Sklav*innen der Insel eines der größten Beispiele für den Freiheitskampf, den die Menschheit je gekannt hat, indem sie die Sklaverei abschafften und ihre politische Freiheit sicherten. Bevor sich irgendeine andere regionale Elite von den unmittelbaren Interessen ihrer kolonisierenden Macht trennen konnte, erkannten die Sklav*innen unter der Führung von Toussaint L’Ouverture und Jean-Jacques Dessalines, dass sie, um ohne die Fesseln der Sklaverei zu existieren, genau das Reich bekämpfen mussten, das „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ schrie, diese Worte aber nicht auf die haitianischen Sklav*innen ausdehnte. Und so erlegten die aufständischen Sklav*innen Napoleon und seiner Armee, der mächtigsten Armee Europas, die erste Niederlage auf. Haiti entstand als ein Schrei nach Freiheit im kolonialen Amerika.
Die Herabsetzung der Rolle Schwarzer Frauen und Männer bei der Entwicklung des Kapitalismus auf Sklav*innenarbeit ist ein schmales Unterfangen, das von der herrschenden Ideologie gefördert und verbreitet wird, um den Massen der Schwarzen einen untergeordneten Platz in der Menschheitsgeschichte zu verschaffen. Waren unter so vielen Beispielen nicht die Auswirkungen des Aufstands in Haiti, inmitten des Hegemoniekampfes der atlantischen Kolonialmächte, enorm? Verbreitete die Nachricht von einem von Schwarzen regierten Land nicht Panik unter allen kolonialen Eliten?
Die Artikel in diesem Buch wurden von Revolutionären verfasst, die von den Lehren der aufständischen Sklav*innen beeinflusst waren. Mit den Worten von C.L.R. James:
„Vor der Revolution erschienen sie untermenschlich. So mancher Sklave musste erst ausgepeitscht werden, bevor man ihn dazu bringen konnte, sich von seinem Platz zu bewegen. Die Revolution machte sie zu Helden.“
Die Erb*innen von Toussaint und Dessalines, Zumbi und Dandara, Harriet Tubman[5] und all die anonymen Pionier*innen der Freiheit gehören zu denen, die für den Sturz der Bourgeoisie kämpfen, dieser Klasse, die die Plantage, die Peitsche, den Libambo,[6] die Folter, die Vergewaltigung und die „Black Code” geerbt hat.[7]
Wir nähern uns dem Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts. Seit mehr als 100 Jahren leben wir in einer Zeit der Krisen, Kriege und Revolutionen. Die Forderungen des Imperialismus haben zu Grausamkeiten geführt, die den Schwarzen in jedem Winkel der Welt zugefügt wurden. Inmitten der Barbarei des Ersten Weltkriegs machten die Arbeiter*innenklasse und ihre Verbündeten die größte befreiende Erfahrung der Geschichte, als sie 1917 in Russland die Macht ergriffen – bereit, die größten Opfer zu bringen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie es wäre, die Herren ihres eigenen Schicksals zu sein. Dafür hatten sie eine neue Art von Partei, revolutionär und internationalistisch, unter der Leitung von Marx, Engels, Lenin, Luxemburg und Trotzki.
Das Vertrauen in die revolutionäre Kraft der Arbeiter*innenklasse und der unterdrückten Volksgruppen ist ein integraler Bestandteil der gesamten Geschichte des Marxismus. Dazu gehört auch das Verständnis, dass die Klassenunabhängigkeit ebenso unerlässlich ist wie der unerbittliche Einsatz von Ressourcen und Kreativität für die Eroberung der politischen Macht und die Möglichkeit, den Sozialismus auf den Trümmern des Kapitalismus aufzubauen. Hier meinen wir die wirkliche politische Macht, die auf den Körpern der Selbstorganisation der Massen, der rationalen Organisation der Produktion und der Wirtschaft, der Entwaffnung der Bourgeoisie und der Bewaffnung der Arbeiter*innen und Armen beruht.
Dies sind einige der Voraussetzungen, wenn wir eine freiere Gesellschaft erreichen wollen. Wie kann man sich schließlich vorstellen, dass die Gesellschaft als Ganzes oder auch nur ein Land oder eine Region frei ist, wenn die Polizei – der bewaffnete Flügel der rassistischen Bourgeoisie – systematisch Schwarze und ihre Familien ermordet, sie ins Gefängnis wirft und die Schwarze Kultur unterdrückt und kriminalisiert? Nur ein Staat, der von der Arbeiter*innenklasse und den Armen kontrolliert wird, kann garantieren, dass Schwarze frei auf den Straßen gehen können, ohne Angst haben zu müssen, getötet zu werden. Ohne das Gewicht systematischer Unterdrückung können die charakteristischsten Ausdrucksformen der Schwarzen Kultur in einer kreativen, befreienden Explosion entstehen.
Eine der größten Herausforderungen des Kampfes für den Sozialismus im 21. Jahrhundert besteht darin, eine Politik aufzubauen, die in der Lage ist, auf die Forderungen von Rasse und Klasse aus einer revolutionären Perspektive zu reagieren. Wer angesichts dieser Herausforderung die Augen vor der permanenten Spannung innerhalb des revolutionären Marxismus verschließt, begeht einen Fehler. Die Texte in diesem Buch sind ein kleines Beispiel dafür, wie der heroische Kampf des Schwarzen Volkes untrennbar mit dem Klassenkampf verbunden ist, und für die wertvolle Rolle des revolutionären Marxismus für beide Kämpfe. Sie wurden nach der Schaffung des ersten Arbeiter*innenstaates der Geschichte und inmitten des Kampfes der Linken Opposition und der Vierten Internationale, angeführt von Trotzki, gegen den reaktionären Kurs des Stalinismus für die größte revolutionäre Erfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben.
Die systematische Unterdrückung aller Kritiker*innen dieses Kurses war ein grundlegender Teil der nachfolgenden Bemühungen der stalinistischen Bürokratie, sich an der Macht zu halten. Stalins Obsession, den größten lebenden Anführer der Russischen Revolution, neben Lenin ein führender Name, zu töten, wurde 1940 mit der Ermordung Trotzkis durch Ramon Mercader verwirklicht.
Es war in dem lebendigen Prozess der Suche nach einer revolutionären Orientierung, die den Imperialismus und unsere Klassenfeinde besiegen konnte, in dem Trotzki und seine Verbündeten auf politischer, theoretischer und programmatischer Ebene Stalin und seine „Theorie“ des Sozialismus in einem Land konfrontierten. Diese theoretische Konzeption und die bürokratische Orientierung, die von der Kommunistischen Internationale unter Stalins Führung angenommen wurde, hatten einen entscheidenden Einfluss auf das Scheitern der internationalen Ausweitung der Revolution. Sie verlangte auch einen hohen Preis von den Schwarzen Massen – einen, der mit Blut bezahlt wurde. Auf dem afrikanischen Kontinent würde diese Politik für diese Länder eine jahrzehntelange Verzögerung des Unabhängigkeitsprozesses bedeuten. Die stalinistische Politik der „strategischen Bündnisse“ mit der nationalen Bourgeoisie (angeblich um einen Kampf gegen den Imperialismus zu ermöglichen) würde dazu führen, dass die enorme Energie der afrikanischen Massen den engen Grenzen untergeordnet würde, die ihnen von den Bourgeoisien ihrer eigenen Länder auferlegt wurden, und diese Prozesse daran hindern, zur Enteignung des Privateigentums an den Produktionsmitteln voranzuschreiten, die ein neues Kapitel frei von imperialistischer Herrschaft über den Kontinent aufschlagen würde.
Gerade weil wir in einer Epoche von Krisen, Kriegen und Revolutionen leben, ist die unabdingbare Aufgabe der Arbeiter*innenklasse die Eroberung der politischen Macht. Für revolutionäre Marxisten im 21. Jahrhundert erfordert diese Spannung, dass wir uns auf die Notwendigkeit einer Strategie konzentrieren, die die täglichen und partiellen Kämpfe mit dem politischen Ziel der Machtergreifung als notwendiges Mittel zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft und des Kommunismus verbindet. Die Herausforderungen des Kampfes gegen den Rassismus sind ein integraler Bestandteil dieser Spannung. In diesem Sinne wird auch Trotzkis Theorie der permanenten Revolution, die im Laufe der revolutionären Prozesse entwickelt und verfeinert wurde, von unschätzbarem Wert sein.
So wie die Schwarzen Haitianer*innen Napoleon besiegten, um die Unabhängigkeit zu erlangen und sich von der Sklaverei zu befreien, muss die Arbeiter*innenklasse des 21. Jahrhunderts die politische Macht übernehmen und die rassistische Bourgeoisie besiegen, damit eine neue Gesellschaft aufgebaut werden kann.
Eine der grundlegenden Prämissen der Linken Opposition und der Vierten Internationale ist, dass es keine Kluft zwischen Ländern gibt, die vermeintlich reif und unreif für eine sozialistische Revolution sind. Der Stalinismus erklärte Russland zu einer angeblichen historischen Ausnahme und lenkte Bündnisse kommunistischer Parteien mit nationalen Bourgeoisien auf der ganzen Welt. In akuten Prozessen des Klassenkampfes forderte diese Orientierung einen schrecklichen Tribut und ebnete den Weg für die Konterrevolution. In anderen Fällen, wie z.B. in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verwandelte die historische Logik des Stalinismus, die den Feudalismus in jeder Ecke sah, wo es keinen entwickelten Kapitalismus gab, die richtige Politik des Selbstbestimmungsrechts der unterdrückten Völker in eine Politik der „Stufen“, voller Skepsis gegenüber der Rolle der Schwarzen beim Aufbau des Sozialismus.
Für Trotzki hingegen war die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts immer mit dem Ziel verbunden, das revolutionäre Vertrauen Schwarzer Frauen und Männer in ihre eigene Stärke zu fördern, in den Kampf gegen den bürgerlichen Chauvinismus und seinen Einfluss in den Reihen der Weißen Arbeiter*innen und in den revolutionären Sturz der Bourgeoisie.
In der Arena des Klassenkampfes gibt es keine fertige Antwort; es ist gerade die Bewegung der Geschichte, die den Stoff zum Handeln liefert. Der Kampf der aufständischen Sklav*innen, der Arbeiter*innen, der Armen und der Unterdrückten bietet uns jedoch wertvolle Lehren. Die Texte, die in diesem Buch folgen, sind Teil dieses Ganzen.
Die Welt hat sich seit der Entstehung dieser Texte sehr verändert. Städtische Zentren sind noch wichtiger geworden, da sie sich mit zentralen Problemen wie dem Mangel an Wohnraum und den Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben befassen müssen. Die Arbeiter*innenklasse hat sich enorm vergrößert, wie nie zuvor in der Geschichte – obwohl sie zunehmend zersplittert (zwischen Leiharbeiter*innen und regulären Arbeiter*innen; zwischen Einheimischen und Immigrant*innen) und prekär ist ( wofür Rassismus eine grundlegende Komponente bleibt). Die Gewerkschaften werden zunehmend in den Staat integriert, wandeln sich von Werkzeugen des Arbeitskampfes weg und bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung, unter der Kontrolle von Bürokratien, die bewusst handeln, um die Arbeiter*innenklasse zu kontrollieren und zu spalten, und ihre Aussichten auf sektorale Ziele und Zwischenziele jeder Gruppe von Arbeiter*innen beschränken. Wir befinden uns in einem Moment, der durch das Entstehen sozialer Bewegungen außerhalb der Gewerkschaften und der traditionellen Parteien der kapitalistischen Demokratie gekennzeichnet ist, in dem die Bourgeoisie Teilkonzessionen in ein Mittel zur Eindämmung umwandeln kann, um dem, was in der explosiven Revolte von Frauen, Schwarzen und Immigrant*innen am subversivsten ist, Kraft und Inhalt zu entziehen und die Grundlagen einer ausbeuterischen Gesellschaftsordnung zu bekräftigen.
Die Auswirkungen dieser dekadenten Gesellschaft in Brasilien, dem Land mit der größten Schwarzen Bevölkerung außerhalb Afrikas, hinterlassen ihre Spuren auf dem Körper eines jungen Schwarzen Mannes, der in einem Supermarkt geschlagen wurde, weil er angeblich vier Tafeln Schokolade gestohlen haben soll. Auf den Straßen geht die Freude und Energie der Jugend in den Statistiken von Dutzenden Millionen Arbeitslosen verloren, in einer ungewissen Zukunft, die von einem Fahrrad abhängt, das mit riesigen Boxen beladen ist, auf denen die Slogans von iFood, Rappi und Uber prangen. Lieferboxen auf jenen kleinen Schwarzen Schultern – das ist die beste Aussicht, die die Kapitalisten zu bieten haben, die 12 Stunden Arbeit pro Tag für einen Real pro gefahrenen Kilometer fordern, um Millionen von Dollar an Profiten zu erwirtschaften.
Aber in den Straßen der städtischen Zentren sind es auch diese Jugendlichen, die jeden Tag ihre Zukunft gestalten und mit ihren Reimen den älteren Generationen in einer Gesellschaft, die uns nicht atmen lässt, einen Hauch von Leben geben. Diese Jugendlichen zeigen stolz ihre Identität und ihre Schwarze Kultur, die ihre Energien mit der sozialen Kraft einer mächtigen Schwarzen, weiblichen und prekären Arbeiter*innenklasse verschmelzen kann, die, wie die Straßenkehrer*innen von Rio de Janeiro 2014 , in ihren Adern das kochende Blut der Freiheitskämpfer*innen wieder aufleben lassen kann.
Diese neue Realität macht die Verbreitung der Texte, die die Leser*innen in Händen halten, noch notwendiger und dringender, denn sie stellt die Herausforderung dar, dass diese Lehren in eine Strategie umgesetzt werden, die in der Lage ist, die Arbeiter*innenklasse (Schwarze und Weiße, Männer und Frauen, Immigrant*innen und Einheimische) zu organisieren und mit diesen Jugendlichen zu vereinen. Und mit dieser Kraft die Gewerkschaften zu revolutionieren, indem man sie wieder in den Klassenkampf zurückführt und Forderungen aufgreift, wie sie der Vierte Kongress der Kommunistischen Internationale (die heute wie damals von Bedeutung sind) aufgestellt hat, wie den Kampf für gleichen Lohn für Schwarze und Weiße (es gibt ein Lohngefälle von 60% zwischen Schwarzen Frauen und Weißen Männern) und dafür, dass die Gewerkschaften die Arbeiter*innenklasse als Ganzes organisieren. Wir hoffen, dass dieses Buch von allen gelesen und diskutiert wird, die Rassismus als eines der perversesten Merkmale des Kapitalismus ansehen, und dass die Beispiele der heroischen revolutionären Kämpfe der Schwarzen den neuen Generationen von Frauen, Schwarzen und Jugendlichen den Mut geben werden, diesen Weg zu beschreiten und sich an der dringenden Aufgabe des Aufbaus einer revolutionären Partei zu beteiligen.
Obwohl es noch nicht möglich ist, die zukünftige Dynamik der Ereignisse in Lateinamerika zu kennen, wird das Wiederaufleben des Klassenkampfes einen bedeutenden Einfluss auf den Kampf in unserem Land haben. Das Vertrauen in die Stärke der Arbeiter*innenklasse wird von der Politisierung des Rassismushasses abhängen. Mit Trotzkis Worten werden die Schwarzen „die Vorhut“ des revolutionären Kampfes bilden.
[1] An dieser Stelle sind keinesfalls die Vernichtungslager zur Zeit des Faschismus in Deutschland gemeint. Mit Konzentrationslager sind – wie in diesem Artikel erklärt – gemeint: Es sind Lager, die gemacht werden, um eine große Masse an Mensch zu überwachen und in den meisten Fällen auch als billige Arbeitskraft zu nutzen.
[2] Anmerkung des Übersetzers: Im März 1960 eröffnete die Polizei das Feuer auf Demonstrant*innen, die vor einer Polizeistation im südafrikanischen Township Sharpeville gegen die berüchtigte „pass laws“ protestierten, wobei 69 Menschen getötet und 180 verletzt wurden – viele von ihnen waren gelähmt, nachdem sie auf der Flucht vor dem Angriff in den Rücken geschossen worden waren. Das Massaker löste Proteste, Streiks und Ausschreitungen aus, die in der Ausrufung des Ausnahmezustands und massiven Verhaftungen gipfelten. Es löste auch internationale Verurteilung und Sympathiedemonstrationen in der ganzen Welt aus und gilt weitgehend als der Wendepunkt, an dem Südafrika in der internationalen Gemeinschaft isoliert wurde. Der 21. März ist nun ein nationaler Feiertag zur Erinnerung an das Massaker und zur Ehrung der Menschenrechte.
[3] Cyril Lionel Robert James (1901-1989), besser bekannt als C.L.R. James, war ein marxistischer Schriftsteller, Historiker und Denker aus Trinidad und Tobago, der die meiste Zeit seines Lebens in Großbritannien und den Vereinigten Staaten lebte. Er gehörte mehrere Jahre lang der trotzkistischen Bewegung an, brach jedoch Anfang der 1950er Jahre mit dem Trotzkismus wegen Differenzen in einer Reihe von Fragen, einschließlich der Charakterisierung der Sowjetunion als bürokratisch degenerierter Arbeiter*innenstaat – eine Position, die damals von der U.S. Socialist Workers Party (SWP) verteidigt wurde, deren Teil er gewesen war.
[4] Anmerkung des Übersetzers: Agatha Felix wurde im September 2019 in einem Slum von Rio de Janeiro von der Polizei in den Rücken geschossen, als sie mit ihrer Mutter in einem Kleinbus fuhr. Die Polizei verfolgte und beschoss zwei Männer auf einem Motorrad. Weit verbreitete Proteste machten die Erschießungspolitik des Gouverneurs von Rio, Wilson Witzel, verantwortlich – ein Verbündeter von Bolsonaro, der auf der Grundlage des Versprechens gewählt wurde, Drogenhändler „abzuschlachten“.
[5] Anmerkung des Übersetzers: Zumbi war ein Brasilianer kongo-angolanischer Herkunft und ein Anführer des Widerstands gegen die Versklavung von Afrikanern durch die Portugiesen im 17. Jahrhundert. Er war auch der letzte König der Siedlung Quilombo dos Palmares der Afrobrasilianer, die sich von der Sklaverei befreit hatten. Dandara, die Frau von Zumbi, war eine berühmte Kriegerin gegen die Kolonisator*innen, die bei ihrer Verhaftung im Jahr 1694 bekanntlich Selbstmord begingen, anstatt in die Sklaverei zurückzukehren.
[6] „Die Flucht wurde mit dem Libambo, einem eisernen Ring um den Hals und einem Stock und einer Glocke bestraft“, schrieb Benjamin Péret, ein dem Trotzkismus verbundener französischer surrealistischer Dichter, in seiner historischen Chronik El quilombo de Palmares.
[7] Anmerkung des Übersetzers: Black Codes waren vor dem Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten in vielen nördlichen Bundesstaaten üblich. Unmittelbar nach dem Krieg führten die Südstaaten diese Gesetze ein, um neu emanzipierte Sklav*innen zu regieren, den Umfang ihrer „Freiheit“ einzuschränken und insbesondere die niedrigen Löhne festzulegen, für die sie arbeiten konnten.
Erstmals veröffentlicht auf Portugiesisch am 13. November in. Übersetzt aus der englischen Version in Left Voice. Auch auf Spanisch verfügbar.