Die Regierung in der Krise…

29.09.2012, Lesezeit 20 Min.
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… und die „Opposition“ in ihren Fußstapfen //

Die politische Situation in Deutschland ist vor allem durch die Krise in der Eurozone geprägt. Nicht zuletzt mit der Verschärfung dieser Krise im Spanischen Staat verstärken sich die politischen Widersprüche der deutschen Politik. Die deutsche Außenpolitik steht in Wechselwirkung mit der politischen Lage im Inland. Dort drohen der Regierung verschärfte innere Widersprüche und der eigene Gesichtsverlust. Die „Opposition“ steht ein weiteres Mal bereit, ihre historische Rolle als Retter des kapitalistischen Systems einzunehmen.

Innerimperialistische Konflikte auf dem EU-Gipfel

Um die Situation der deutschen Regierung zu verstehen, müssen wir bei der EU-Krisenpolitik beginnen. Der EU-Gipfel Ende Juni war Austragungsort sich verschärfender Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten der EU. Dies zeigte sich darin, dass der Block der Minister- und Staatspräsidenten Monti (Italien), Rajoy (Spanischer Staat) und Hollande (Frankreich) das bisherige Dogma der deutschen Krisenpolitik brechen konnte: die Ablehnung direkter Rekapitalisierungen von Banken. Seitdem dürfen Banken unter bestimmten Umständen Hilfsgelder aus den EU-Töpfen beantragen.

Dieser ökonomische Taschenspielertrick gegenüber herrschendem EU-Recht konnte die Krise zwar nicht stoppen, sondern nur kurzfristig aufschieben[1]. Seine machtpolitische Wirkung wird dadurch jedoch nicht geschmälert: Der Anti-Merkel-„Block“ der „Mittelmeerstaaten“ inklusive Frankreich setzte sich medienwirksam gegen das deutsche „Nein“ durch – nach Montis Aussage sogar mit Unterstützung der USA. Diese befinden sich schon länger im Widerspruch zur deutschen Krisenpolitik. Zwischen Wahlkampf und krisenhafter Exportindustrie verlangt Obama nach einer inflationären Krisenlösung anstelle der bisherigen Austeritätspolitik, um den Euro gegenüber dem Dollar zu schwächen.

Die Signale des Widerstandes gegen Merkel sind jedoch nicht eindeutig. Die Vorherrschaft des deutschen Imperialismus in der EU wird noch nicht offen angegriffen. Zusätzlich zementierte der letzte EU-Gipfel den Einfluss des deutschen Imperialismus‘ auf die europäischen Finanzinstitutionen: Er beschritt Wege zu einer höheren Kontrolle des europäischen Bankensektors, die den Einfluss Deutschlands auf die Banken anderer EU-Staaten vergrößern wird.

Dennoch ist die initiale Bildung eines „Mittelmeerblocks“ gegen die deutsche Regierung ein Anzeichen kommender, größerer innereuropäischer Konflikte – wenn auch das momentane Zusammenrücken bisher nicht mehr als die Furcht vor den deutschen Spardiktaten ausdrückt. Zwar ändert die deutsche Regierung ihren Kurs zumindest gegenüber Italien und Spanien weg von knallharten Spardiktaten hin zu einer Politik des Entgegenkommens. Trotzdem dürften sich die herrschenden Klassen der Mittelmeerstaaten unter der Führung von Frankreich seit dem EU-Gipfel zu mehr eigenständiger Politik ermutigt fühlen. Dies sind erste Bruchlinien, die eine mögliche Konstellation nach einem Kollaps der EU aufzeigen könnten: eine „Mittelmeer-Union“ unter Führung Frankreichs gegen einen nord- und osteuropäischen Block unter der Führung Deutschlands.

Uneinigkeit in der herrschenden Klasse

Es zeigen sich also Tendenzen, dass der merkelsche Kurs in Europa unter immer mehr Beschuss von außen kommt. So etwas schlägt sich natürlich auch in der politischen Lage des Inlands nieder. Dort nimmt die Uneinigkeit über die deutsche Krisenführung zu. Darauf weisen verschiedenste Debatten der letzten Monate hin: Briefe verschiedener Fraktionen von WirtschaftswissenschaftlerInnen, Volksentscheid-Debatte zum Fiskalpakt, CSU-/FDP-Debatte zum Rauswurf Griechenlands aus dem Euro usw. usf.

Im Grunde scheint es in der herrschenden Klasse und ihren Parteien zwei Fraktionen zu geben. Zum Einen gibt es einen „harten Kern“, der um jeden Preis die Sparpolitik aufrechterhalten will. Zumindest gegenüber Griechenland und teilweise aus populistischen Gründen des WählerInnenfangs. Politischer Ausdruck dieser Fraktion sind FDP und CSU, die kürzlich durch besonders extremen Chauvinismus gegenüber Griechenland von sich reden machten. Innerhalb der FDP wirkt sich diese Haltung auf den Machtkampf zwischen Rösler und Westerwelle aus. Ziel dieser radikalen Sparpolitik war ursprünglich die Umstrukturierung des südeuropäischen Arbeitsmarktes: so auch die neuen Gerüchte über eine „Sonderwirtschaftszone Griechenland“. Sie sollte die Produktivität deutscher Unternehmen im Ausland stärken. Gleichzeitig sollten politische Fakten geschaffen werden, um zukünftige Spardiktate im deutschen Inland vorzubereiten. Vor allem aber sollten die Spardiktate die südeuropäischen Wirtschaften so umgestalten, dass sie aufnahmefähig für deutsche Exporte bleiben.

Doch genau dieses Ziel scheint durch die Erfahrungen mit dieser bisherigen Krisenpolitik bedroht. Aus der Angst vor dem wirtschaftlichen Kollaps nährt sich ein anderer Sektor. Dieser Sektor sieht in der harten Sparpolitik und der Ablehnung einer gemeinsamen Schuldenpolitik in der EU (Eurobonds, Banklizenzen für ESM, Staatsanleihenkauf durch EZB etc.) keine positive Zukunft. Hier finden sich entsprechend die Teile der deutschen Exportindustrie, wie Auto- und Maschinenproduktion. Diese industriellen Sektoren wollen die Sparpolitik zwar nicht abbrechen, jedoch abschwächen und durch Maßnahmen der Wachstumsförderung erweitern.

So eine Kursänderung stellt die Regierung vor das Problem des Gesichtsverlusts, denn der bisherige Krisenkurs wurde stets als alternativlos propagiert. Vor allem die Debatte um den Fiskalpakt zeigt die Schärfe dieser Situation. Der Fiskalpakt sollte die deutschen Spardiktate vertiefen. Der Widerstand gegen ihn verschärfte sich jedoch von innen und von außen so weit, dass es inzwischen zu einer Erweiterung des Fiskalpakts um wachstumsverstärkende Maßnahmen kam – eine Änderung, die die deutsche Regierung monatelang abgelehnt hatte. Um den drohenden Gesichtsverlust zu vermeiden, wurde eine Debatte um eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt aufgenommen. Im skurrilen Einklang mit der Linkspartei forderten Teile der CDU und CSU einen Volksentscheid.

So ein Volksentscheid soll der lohnabhängigen Klasse in Deutschland jedoch keinen Raum zur wirklichen Abstimmung über den Fiskalpakt bieten. Er soll ausschließlich eine sichere Legitimation der Politik von Merkel darstellen. In seiner konkreten Form stellt er eine Erpressung der Massen dar. Er wäre eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Ein anderes Beispiel ist der Vorschlag einer Volksabstimmung über das griechische Memorandum Ende letzten Jahres. Es muss festgestellt werden, dass Volksentscheide in der bürgerlichen Demokratie im Allgemeinen nur Instrumente des „Dampfablassens“ darstellen und das Regime stabilisieren und legitimieren sollen. Dass eine Volksabstimmung von Teilen der herrschenden Klasse in Betracht gezogen wird, ist Ausdruck einer sich vertiefenden Krise des Regimes im Allgemeinen. Von der internationalen Situation mit ausgelöst, wirkt sie auch darauf zurück. Sie verstärkt die zunehmenden Schwierigkeiten der Merkel-Regierung, ihren unilateralen Kurs den europäischen KonkurrentInnen/„PartnerInnen“ aufzuzwingen.

In diese Situation fügt sich auch die sich verschärfende wirtschaftliche Krise in Deutschland selbst ein. Die deutsche Autoindustrie bekommt immer stärkere Absatzschwierigkeiten (siehe Kasten), Massenentlassungen wie bei Schlecker werden immer häufiger, und der Geschäftsklima-Index, der die Investitionsabsichten der Unternehmen abbildet, befindet sich auf einem rapiden Weg nach unten. Dabei begründen die KapitalistInnen ihre Entscheidungen, indem sie auf die schwierige Geschäftslage, auf die gemachten Verluste – wie bei Opel und Schlecker –, auf die Notwendigkeit der Rationalisierung der Arbeitsprozesse verweisen, und kürzen in der Folge Löhne, wie es in manchen Sparten der Autoindustrie mit der Wiedereinführung der Kurzarbeit, jener verdeckten Form der Teilarbeitslosigkeit, bereits geschieht. Aber: „die Arbeiter können und wollen ihren Lebensstandard nicht den Erfordernissen einzelner Kapitalisten anpassen, die ihrem eigenen System zum Opfer gefallen sind. Die Aufgabe besteht darin, das ganze Produktions- und Verteilungssystem auf rationelleren und würdigeren Grundlagen zu reorganisieren. Wie die Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses die notwendige Bedingung der Arbeiterkontrolle ist, so ist diese Kontrolle der erste Schritt auf dem Wege zu sozialistischen Lenkung der Wirtschaft.“[2]

Zur parlamentarischen „Opposition“: Der angebliche Linksschwenk der SPD

In dieser krisenhaften Lage kommt der Opposition großes Gewicht zu. Die SPD reagierte darauf augenscheinlich mit einem rhetorischen Linksschwenk. In der Debatte um die Steueraffären mit der Schweiz gibt sie den regulierenden Vorschlägen der Regierung eine Abfuhr, weil diese nicht hart genug gegen „Steuersünder“ durchgreifen würden. Im Inland redet sie in Tönen eines „sozialen Patriotismus“ von Vermögenssteuern. Auf internationaler Ebene gibt sie dem Ausdruck, indem sie in Frankreich den sozialdemokratischen Hollande auch gegen den Merkel-Verbündeten Sarkozy unterstützte.

Dagegen ist festzustellen, dass sich bei der SPD eine Kontinuität der Unterstützung von den ersten Bankenrettungen 2009 bis hin zur Frontstellung für den Fiskalpakt zeigt. Die Inhalte hinter ihrem aktuellen rhetorischen Linksschwenk sind nur Angebote von alternativen Strategien an die herrschende Klasse Deutschlands. Ihre vermeintlich harte Stellung gegen „Steuersünder“ in der Schweiz ist in Wahrheit ein Angebot an die herrschende Klasse, kleinere Opfer zu bringen, um von den größeren Übel des Kapitalismus abzulenken.

Obendrein schürt die SPD damit die Illusion eines angeblichen Sozialstaats. Wenn dieser um Steuern betrogen würde, würden mit ihm alle BürgerInnen betrogen. Doch die lohnabhängigen unter diesen BürgerInnen sehen spätestens seit 2009, wohin die Steuergelder wirklich gesteckt werden: Bankenrettungen und Kriegsfortführungen hatten wir mit diversen sozialen Einschnitten zu bezahlen.

Besonders anzugreifen ist ihre Parole des „sozialen Patriotismus“. Sie ist nichts anderes als die Kehrseite der ArbeiterInnen-feindlichen „Standortlogik“. Mit der Vermögenssteuer bietet die SPD der herrschenden Klasse eine hinterlistige Taktik, um eine angebliche nationale Schicksalsgemeinschaft vorzuheucheln. Die KapitalistInnen sollen heute ein paar Euro Almosen von dem Mehrwert zurück geben, den sie uns täglich an den Arbeitsplätzen stehlen. Diese Almosen sollen dann im Gegenzug in den Tarifverhandlungen und Schuldenbremsen von Morgen als Begründung dafür dienen, dass die lohnabhängige Bevölkerung ein weiteres mal „ihren Teil“ zur nationalen Wettbewerbsfähigkeit beitragen soll. Nebenbei dient dieser Patriotismus natürlich auch zur nationalen und internationalen Spaltung der lohnabhängigen Klasse.

Die SPD nutzt die Regierungskrise also, um sich der herrschenden Klasse als ausführende Kraft einer systemerhaltenden Alternativ-Strategie anzubieten, wie es denn auch sie selbst war, die die schlimmsten Angriffe der Nachkriegszeit auf die ArbeiterInnenklasse in Deutschland durchgesetzt hat. Um bei diesem Fazit noch einmal auf die gesamteuropäische Lage zurückzukommen: Hier könnte die SPD mit den Interessen der Sektoren des deutschen Kapitals überein gehen, die die oben beschriebene Abschwächung der Sparpolitik und die Linie der „wachstumssteigernden Maßnahmen“ vertreten. Die SPD versucht, zum Sprachrohr dieser alternativen Form der politischen Reaktion zu werden. Machtpolitisch würde diese die Tendenzen einer deutschen Politik des Entgegenkommens gegenüber dem Spanischen Staat und zu einer politischen Annäherung an den sich abzeichnenden Block der Mittelmeer-Staaten zum Ausdruck bringen.

Linkspartei bereitet sich auf Regierungsbeteiligungen vor

Die Linkspartei bereitet sich während dessen darauf vor, zukünftig solch eine Rolle der Scheinopposition einnehmen zu können. Die Wahl der neuen Doppelspitze Kipping/Riexinger ging aus der Krise der Linkspartei hervor. Strömungen wie Marx21 und die SAV dichteten besonders Riexinger die Perspektive eines Linksrucks an. Der erfahrene Gewerkschaftsfunktionär würde die Möglichkeiten einer außerparlamentarischen und bewegungsorientierten Zukunft der Linkspartei stärken. Doch bewegungsorientiert allein ist noch nicht fortschrittlich. Die „Bewegungsorientierung“ solcher GewerkschaftsbürokratInnen entlarvt sich aktuell in den Ländern Südeuropas als direkte Ausbremsung der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse. Die Verbindung von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit bedeutet in den Händen von GewerkschaftsfunktionärInnen weniger parlamentarischen Rückenwind für die außerparlamentarischen Kämpfe, als viel mehr die bloß ausbremsende Instrumentalisierung letzterer für die perspektivlosen Manöver eines „linken Parlamentarismus“.

Dementsprechend erklärt die neue Doppelspitze in einem Diskussionspapier, wie genau sie die Krise der Linkspartei beenden will: Sie erklärt ihre Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Damit schürt sie falsche Illusionen in den bürgerlichen Staatsapparat. In diesem können PolitikerInnen höchstens zu VerwalterInnen des kapitalistischen Übels werden. Anstatt der marxistischen Theorie kann die Linkspartei hier auch auf ihre eigene Geschichte zurück greifen: Im Berliner Senat trug sie jahrelang zu Polizeiterror, Gentrifizierung, allgemeiner Teuerung und der Streichung öffentlicher Einrichtungen bei.

In reformistischer Konsequenz schürt sie obendrein Illusionen in die Europäische Union. Nach eigener Aussage in dem Diskussionspapier ist die Linkspartei „selbstbewusst genug zu behaupten, dass die Politik Merkels, die von SPD und Grünen mitgetragen wird, die Krise in Europa verschärft und den Zusammenhalt des Euros und der EU gefährdet“[3]. Die Linkspartei will also das imperialistische Konstrukt der europäischen Union retten. Auf diese Weise will sie ein Europa, „in dem sich die Länder nicht gegenseitig ausbooten lassen.“ Immerhin eine klare Ansage an die herrschende Klasse: Denkt mal daran, wofür die EU eigentlich gedacht war. Anstatt Euch gegenseitig auszubooten solltet ihr lieber gemeinsam daran arbeiten, alle anderen Länder außerhalb der EU ausbooten zu können.

Mit dieser bürgerlichen Perspektive dient sich die Linkspartei der herrschenden Klasse als Verwalterin ihrer Interessen an.

Das Gewerkschaftsmodell gerät zunehmend in die Krise

Damit das mit der Regierungsbeteiligung auch wirklich funktioniert, ist in dem Diskussionspapier der Linkspartei nichts von proletarischen Kampfmaßnahmen wie Streiks und Besetzungen zu lesen. Das ist nicht ganz ungeschickt, drohen proletarische Kampfmaßnahmen doch für einen anderen Sektor der Opposition zunehmend nach hinten los zu gehen: Die BürokratInnen an den Spitzen von IG Metall und ver.di hatten in den jüngsten Tarifverhandlungen jeweils im Metall- bzw. im öffentlichen Sektor heftig mobilisiert und sich selbst mit gewaltigen Streikbeteiligungen überrascht. Hunderttausende ArbeiterInnen waren für höhere Löhne auf die Straße gegangen, sodass es kritischer wurde, dann doch wieder traditionsgemäß faule Kompromisse zu unterschreiben. Wobei sich zeigte, dass die IG Metall-Bürokratie in dieser Situation deutlich stabiler ist, als die ver.di-BürokratInnen. Es wird zunehmend offensichtlich, dass die sporadischen Massenmobilisierungen seitens der staatstragenden, reformistischen Bürokratie ausschließlich zum Dampfablass bei der lohnabhängigen Klasse benutzt werden – weshalb es umso mehr unsere Aufgabe als RevolutionärInnen sein muss, eine antibürokratische Perspektive in diese Mobilisierungen hineinzutragen.

Die Krise des traditionellen Gewerkschaftsmodells, welches gerade deswegen anachronistisch wird, weil es in der Krise wenig zu verteilen gibt, äußert sich bereits seit Längerem in der Gründung oder Erstarkung neuer, kleiner und kämpferischer Gewerkschaften, wie GDF und UFO. Eigentlich stellen gewerkschaftliche Spaltungen eine Schwächung der ArbeiterInnenklasse da. Doch in der heute konkreten Situation können sie auch entgegengesetzt wirken: Ihre Kampfbereitschaft macht groß von sich reden und stellt zunehmend die verräterische BürokratInnen-Rhetorik von „Sozialpartnerschaft“ bis „Alternativlosigkeit“ in Frage. So forderten viele der streikenden FlugbegleiterInnen bei Lufthansa ein Verbot von Leiharbeit, was die Losung der IG Metall-BürokratInnen nach „fairer Leiharbeit“ in Frage stellt. Die Gegenkandidatur einer „alternativen“ IG Metall-Liste bei Siemens gegen den IG Metall-„Chef“ Berthold Huber ist ein weiterer Ausdruck der Konflikte im Gewerkschaftsapparat, die RevolutionärInnen ausnutzen sollten, um gleichzeitig eine Kampagne für die Demokratisierung der Gewerkschaften zu starten, damit sie zu wahren Kampforganen im Interesse der Lohnabhängigen und nicht der BürokratInnen werden. Denn die ArbeiterInnen benötigen mehr denn je Massenorganisationen für die Durchsetzung ihrer Forderungen.

Für eine revolutionäre Perspektive in Deutschland und international!

Die Rolle reformistischer Apparate in Zeiten einer Regierungskrise besteht im Systemerhalt. Sie agieren im Sinne einer „Dampf ablassen“-Logik, die die sich anbahnende Steigerung der Konfliktivität im Keim ersticken soll, wozu auch das „umFAIRteilen“-Bündnis gezählt werden muss. Dieses reduziert jegliche Krisenpolitik auf die Forderung einer Vermögenssteuer und einer einmaligen Vermögensabgabe. Seine Existenzberechtigung sieht dieses Bündnis darin, dass wir in einer Situation wären, die „den gesellschaftlichen Frieden ernsthaft gefährdet.“[4] Direkter kann ein Bündnis, das sich seiner gesellschaftlichen Rolle nicht bewusst ist, diese Rolle nicht ausformulieren.

Wenn der „gesellschaftliche Frieden“ tatsächlich gefährdet ist, sagen wir stattdessen: Wurde auch Zeit!

Der gesellschaftliche Friede ist im Kapitalismus nur der Friede der herrschenden Klasse. Für die lohnabhängige Bevölkerung und die anderen unterdrückten Klassen besteht er in Prekarisierung, Arbeitslosigkeit, Spardiktaten, Polizeigewalt und Krieg. Es wird höchste Zeit, diesen Scheinfrieden zu brechen. Keine Sozialpartnerschaft auf Kosten der eigenen und internationalen ArbeiterInnenklasse, sondern klassenkämpferische Politik auf Kosten der eigenen und internationalen Bourgeoisie!

Dafür gilt es heute nicht, die EU zu retten, sondern sie als imperialistisches Projekt zu brandmarken und zu bekämpfen. Wenn sie zerbricht, dann an den kapitalistischen Widersprüchen, aus denen sie einst hervorging: den nationalistischen Konkurrenzverhältnissen dieser Wirtschaftsordnung. Die herrschende Klasse in Deutschland ist momentan die Hauptakteurin der Krise, daher gilt es für die lohnabhängige Bevölkerung in ihrem eigenen Interesse sowie im Interesse ihrer KollegInnen in anderen Ländern, den Imperialismus im eigenen Land zu bekämpfen.

Wie dieser Kampf ausgetragen werden kann, darauf gaben die FlugbegleiterInnen der Lufthansa einen ersten Hinweis. Ihr Streik stürzte den gesamten Luftverkehr in Europa ins Chaos, und rückte die Abschaffung von Leiharbeit bei der Lufthansa ein Stück näher. Wie die herrschende Klasse, so hat auch die lohnabhängige Klasse in Deutschland das Potential, eine zentrale Stellung für die politischen Bewegungen in Europa einzunehmen. Solche Streiks müssen vorangetrieben und zu Kämpfen gegen die Regierung und gegen die Gewerkschaftsbürokratie erweitert werden, auch um den ArbeiterInnen und lohnabhängigen Jugendlichen in den südeuropäischen Ländern zu zeigen, dass sie in ihrem Kampf gegen Merkel, Thyssen und Siemens nicht alleine stehen.

An die Stelle der ungenauen Sonntagsreden über Mitbestimmung von der Linkspartei setzen wir die sowjetische Strategie: Von Demos über Streiks bis hin zu Betriebsbesetzungen müssen Erfahrungen der ArbeiterInnen-Selbstverwaltung vorangetrieben werden. In ihren täglichen Kämpfen muss die lohnabhängige Bevölkerung neues Vertrauen in ihre eigene Kraft gewinnen. Sie benötigt bei Demos und Streiks zum Beispiel keine Bullen, um „beschützt“ zu werden. Besonders mit dem Blick auf die enorme Polizeigewalt gegen ArbeiterInnen im Spanischen Staat und in Griechenland müssen Strukturen der ArbeiterInnenselbstverteidigung gegen die Polizei bei Demos und Streiks aufgebaut werden. Strukturen der ArbeiterInnen-Selbstverwaltung werden in Arbeitskämpfen bald in Konflikt mit der Gewerkschaftsbürokratie geraten. Gut so! Die Gewerkschaften zurück zu erobern, ist eine der zentralen Aufgaben der lohnabhängigen Bevölkerung, wenn wir die Krise des Kapitals nicht selbst bezahlen wollen.

Um solche Praxis zu verwirklichen, benötigt es einer revolutionären Partei der lohnabhängigen Klasse mit einer revolutionären Strategie. Diese Strategie muss die Überwindung des Kapitalismus durch die Machteroberung der lohnabhängigen Klasse zum Ziel haben. Dafür dürfen keine Illusionen in den Parlamentarismus und den bürgerlichen Staat geschürt werden. Das Parlament kann konkreten Taktiken der revolutionären Partei nützlich sein, doch im Endeffekt stehen die Strukturen des bürgerlichen Staates der selbstbestimmenden Demokratie der heute lohnabhängigen Bevölkerung direkt entgegen. An die Stelle des heutigen Staatsapparates muss ein Rätestaat gestellt werden. Diese Räte (auf Russisch: „Sowjets“) müssen als Organe der ArbeiterInnenselbstverwaltung im aktiven Klassenkampf entstehen.

Zentral dafür ist die Methode des Übergangsprogramms. Übergangsforderungen sind so ausgestaltet, dass sie am heutigen Bewusstsein der lohnabhängigen Klasse anknüpfen und es zur Einsicht in die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution weiterentwickeln. Dazu müssen diese Forderungen an heutigen Bedürfnissen ansetzen und nachvollziehbare Lösungen bieten, die jedoch über die Möglichkeiten der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hinausgehen. Die herrschende Klasse bereitet sich heute vor, den zweiten Einschlag der Wirtschaftskrise in der deutschen Industrie, erneut durch Teilzeit- und Kurzarbeit abzufedern – so aktuell bei Opel. Dagegen müssen wir die Forderung nach der gleitenden Skala der Arbeitszeiten aufstellen: Anstelle von Ausgliederungen in Teilzeit-, Leih- und Kurzarbeit sowie anstelle von Kündigungen muss die vorhandene Arbeitsnachfrage auf alle Schultern der Belegschaft verteilt werden, bei vollem Lohnausgleich. Diese Forderung weist auf ein Kernelement der sozialistischen Gesellschaftsordnung hin: Das Wachstum der Wirtschaftskraft wird keine einzelnen außer Brot stellen, sondern die gesamte Gesellschaft zu gleichen Teilen zunehmend von Arbeit befreien.

Für die konkrete Situation müssen wir uns internationalistisch organisieren, uns die Lehren der revolutionären ArbeiterInnenbewegung wieder aneignen und in jedem Land ein Programm von Übergangsforderungen für die konkrete Situation vor Ort entwickeln.

Jede Krise ist eine Chance. Lasst uns die Krise der herrschenden Klasse zu unserer Chance auf Selbstbestimmung und ein würdiges Leben machen!

Fußnoten

[1]. Zur Eurokrise siehe den Artikel auf S. 16 in dieser Ausgabe.

[2]. Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm. Siehe die Neuauflage des Übergangsprogramms vom „Trotzki-Archiv“ auf S. 29 in dieser Ausgabe.

[3]. Katja Kipping/Bernd Riexinger: Diskussionspapier zur Wahlkampfplanung.

[4]. http://umfairteilen.de/start/presse/presseinformationen/#c460.

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