Die Polizeigewalt hat ihre Wirkung verfehlt – Hamburg hat mich radikalisiert!

12.07.2017, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Viele Menschen waren in Hamburg zum ersten Mal auf einer Großdemonstration. Die Polizeigewalt war erschreckend – aber viele wollen deswegen jetzt erst recht gegen dieses System kämpfen. Unsere Autorin zum Beispiel. Gastbeitrag von Skadi*.

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„Sternschanze solltet ihr nicht raus“, sagen uns zwei Aktivist*innen in der S-Bahn, „denn da fliegen gerade Mollys.“ Okay… dann sollten wir eine Station vorher aussteigen – das ist zumindest die Entscheidung meiner Freund*innen. Sie wollen sich von dort aus auf den Weg durchs Schanzenviertel zur „G20 entern“-Demo auf der Reeperbahn begeben. Es ist Freitag Abend in Hamburg.

Für mich ist das angesichts der Bilder in sozialen Medien und der Geschichten von Rückkehrer*innen ins Camp nicht drin – zu viel Angst vor unübersichtlichen Situationen, physischen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder blinden Böllerwürfen.

Deshalb bin ich eigentlich mit Bill* in der Stadt verabredet, um nicht allein sein zu müssen und trotzdem weit weg von den Ausschreitungen zu bleiben. Aber Bill antwortet seit einer halben Stunde nicht mehr auf meine Nachrichten. Ich weiß nicht, wo und ob ich ihn nun treffe.

Je näher wir der entsprechenden S-Bahn-Station kommen, desto unruhiger werde ich: Soll ich zurück zum Camp oder in unsere Unterkunft? Beim Gedanken, allein im „Gefahrengebiet“ zu sein, wird mir mulmig.

Dann endlich: Erleichterung. Bill meldet sich und wir verabreden, dass er zu dem Bahnsteig kommt. Meine Freund*innen sind schon weg, ich warte geduldig auf ihn – bloß nicht alleine nach draußen auf die Straße.

Nach einer halben Stunde ist er da. Die Bahnen fahren ja nicht. Zusammen laufen wir dann Richtung St. Pauli zu einer Pizzeria. Um uns herum sitzen viele Menschen und ruhen sich vom aktionsreichen Tag aus – viel Krawall gibt es gerade nicht.

Irgendwann muss Bill zu seiner Unterkunft und ich bespreche mit meinen Freund*innen, dass sie mich abholen kommen. Gemeinsam beschließen wir, uns auf den Heimweg zu machen und versuchen zur Bahn zu kommen, was wegen der vielen von der Polizei gesperrten Straßen gar nicht so leicht war.

Am Neuen Pferdemarkt beobachten wir, wie zwei Personen von zwei Wasserwerfern beschossen werden. „Was soll die Scheiße?“, ruft eine eher ruhige Freundin zu dieser völlig unverhältnismäßigen Maßnahme. Als es auch für die Umstehenden bedrohlicher wird, ziehen wir weiter, wo uns ein Mitarbeiter einer Imbissbude Wasser anbietet. Eine schöne solidarische Geste aus der dort lebenden Bevölkerung – davon gab es viele in den Tagen um G20.

Das Gefühl von Zusammenhalt im Ausnahmezustand ist auf jeden Fall schön. Auf unserem Weg zur einzigen offenen Bahnstation in der Gegend werden wir immer wieder von Polizeiketten, Räumfahrzeugen, Wasserwerfern und Wannen zu Umwegen gezwungen. Den Weg säumen brennende Autos, zerschlagene Bushaltestellen und jede Menge Böller und Scherben. Obwohl ich angespannt bin und mir schon das Händchenhalten mit meinen Freund*innen zu viel Körperkontakt ist, überrascht es mich, wie wenig Angst mir die tatsächliche Situation macht – verglichen mit meinen Befürchtungen von vor einigen Stunden.

Samstag Nacht, nach der Großdemonstration, sind wir noch einmal in St. Pauli. Während wir vor einem Laden Falafel essen, hört man wieder Böller explodieren und Flaschen zerspringen, Hundertschaften und Wasserwerfer ziehen an uns vorbei und einige Sanis tragen eine*n Verletzte*n über die Straße.

Selbst Rachel*, die sonst immer eher Pazifistin war, meint: „Hamburg hat mich auf jeden Fall radikalisiert.“ Mir geht es ähnlich – auch wenn die Frage nach der Legitimität von Gewalt schon länger weniger Thema ist, als deren Effektivität und der Auseinandersetzung mit meiner eigenen Angst davor. Zumindest bei letzterem hat Hamburg so einiges bewegt in mir.

Die hemmungslose Gewalt seitens der Bullen hat ihre abschreckende Wirkung bei mir verfehlt. Im Gegenteil: Diese Ungerechtigkeit hat mich sogar entschlossener gemacht. Außerdem hat das Gefühl von Solidarität und Zusammenhalt, sowie die Idee einer selbstorganisierten und partizipativen Gemeinschaft wie z.B. auf dem Camp im Altonaer Volkspark mich persönlich vor allem motiviert, in Zukunft politisch noch aktiver zu werden und mich vielleicht auch zu organisieren.

Ich denke, dass G20 auch in einigen anderen eine ähnliche Entschlossenheit hinterlassen hat. Das können wir auf jeden Fall als Erfolg für die Linke verbuchen.

* Namen geändert

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