Die Pandemie ist nicht vorbei: 174 CoVid-Erkrankungen unter Erntehelfer*innen

29.07.2020, Lesezeit 6 Min.
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In Bayern wurde erneut ein Corona-Ausbruch unter Erntehelfer*innen bekannt. Die Arbeiter*innen einzusperren, wird uns nicht retten, und Söder hat die Situation nicht im Griff.

Bild: Hubert Berberich (HubiB) / CC BY

In der Gemeinde Mamming in Niederbayern wurden letzten Freitag 7 Erntehelfer*innen positiv auf Corona getestet. Nach umfangreichen Tests liegt die Zahl der Infizierten deutlich höher: mindestens 174 Menschen auf einem Hof im Landkreis Dingolfing-Landau sind an Covid-19 erkrankt. Der Betrieb und seine Arbeiter*innen wurden unter Quarantäne gestellt.

Von Coronabrutstätten und Arbeitsleid

Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren für Gastarbeiter*innen schon vor Corona unmenschlich: Sie müssen beengte Unterbringungen, Akkordlöhne1, 72-Stunden-Wochen, schwere körperliche Arbeit und teils schlimme Witterungsbedingungen ertragen.

Durch die Quarantäne haben die Arbeiter*innen jetzt nicht einmal mehr die Möglichkeit, grundlegende hygienische Maßnahmen zu ergreifen, um sich selbst zu schützen, wie beispielsweise durch Social Distancing. So können aus den 174 Infizierten vom letzten Freitag sehr schnell 480 Infizierte werden. Es wurden zwar die positiv getesteten Menschen von negativ getesteten getrennt, aber wie viele von den nicht-infizierten Menschen noch inkubieren2, ist ungewiss. Ein Sicherheitsdienst überwacht die strikte Einhaltung der Quarantäne.

Wenn Menschen mit würdiger Wohnsituation in Quarantäne müssen, ist das schlimm genug, und bei ihnen stehen nicht Sicherheitsleute vor der Haustür. Wenn Erntehelfer*innen in Quarantäne müssen, bedeutet das, mit hunderten potenziellen Virusüberträger*innen eingesperrt zu sein, in einer Umgebung, die selbst zum “nur schlafen” nicht zumutbar ist.

In einer ähnlichen Situation sind auch die in den Lagern untergebrachten Geflüchteten.

Diese Situation hätte, ebenso wie die bei Tönnies, vermieden werden können. (In diesem Artikel gehen wir stärker auf Tönnies ein.) Die Verhältnisse sind beengt, es gibt keine oder zu wenige Schutzmaßnahmen. Trotz alledem bestehen Kapitalist*innen darauf, die Betriebe offen zu halten. Nichts zeigt klarer, wie sehr die Profite der Konzerne über der Gesundheit der Arbeiter*innen stehen. (Wie Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter*innen aussehen können, haben Charlotte Ruga und Lisa Sternberg für das Krankenhaus in diesem Artikel ausgeführt.)

Auch der Vorschlag, flächendeckende Tests durchzuführen, der von der bayerischen Landesregierung lange ignoriert wurde, und für den sie jetzt zurecht kritisiert wird, reicht alleine nicht aus, um zukünftige massenhafte Infektionen zu verhindern: Die Arbeiter*innen sollten nicht nur ausreichend Tests zur Verfügung haben können, sondern vor allem menschliche Arbeits- und Lebensbedingungen, die das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 so niedrig wie möglich halten. An sich gibt es sogar Regelungen, die das sicherstellen sollen. Diese Regelungen sind bei Weitem nicht ausreichend, außerdem teilen sie das Schicksal vieler Regelungen, beispielsweise in Mast- und Schlachtbetrieben: Sie werden, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, nicht eingehalten.

Effektive Regelungen schmälern aber zwangsläufig Profite im Agrar- und Lebensmittelsektor. Dass die Regierung eines Bundeslandes, dessen Wirtschaft zu guten Teilen auf der Produktion und dem Export billiger Lebensmittel basiert, sich damit zurückhält, überrascht nicht.

Rassismus hilft nicht gegen Corona

Das System, in dem wir gerade leben, macht es den Bossen und Regierungen einfach, sich aus der Verantwortung zu ziehen: Die Bosse ließen weiter produzieren und schufen damit ungeheure Ansteckungsherde, bis heute. Statt Rüge oder Reglementierungen erhielten sie milliardenschwere Rettungspakete vom Staat.

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) spricht von einer Ausbreitung, die aktuell „sehr klar abgrenzbar“ sei. Und spricht davon, das Abriegeln des Betriebs sei „adäquat und verhältnismäßig“. Die Strategie ist klar: Durch Abschottung der ausländischen Arbeiter*innen, die auch vor Corona gerne und viel praktiziert wurde – man legt großen Wert darauf, die Arbeiter*innen von der „heimischen Bevölkerung“ getrennt zu halten – soll die Ansteckung der deutschen Bevölkerung vermieden werden. Corona wird als importiertes oder zumindest scharf (auf die Betriebe mit migrantischen Arbeiter*innen) abgrenzbares Problem gesehen, das man nur gut genug wegsperren und isolieren müsste.

Damit wird die falsche Trennung zwischen “einheimischen” und “ausländischen” Arbeiter*innen verstärkt. Die ausländischen Arbeiter*innen werden als Gefahr für die lokale Bevölkerung gezeichnet, obwohl die Gefahr nicht von ihnen ausgeht, sondern von den Bossen, die die unsicheren Arbeitsbedingungen diktieren.

Söder ist nicht unser Held

Der Ausbruch in Mamming macht auch eines klar: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die Situation bei Weitem nicht so sehr im Griff, wie er behauptet. Bayern galt bisher als Vorzeigebundesland im Umgang mit Corona. Auf dem Rücken der Corona-Welle wurde Markus Söder zu einem Sympathieträger unter den deutschen Politiker*innen, inzwischen handelt man ihn sogar als Kanzlerkandidaten – noch vor einem Jahr fast undenkbar. Doch das Robert-Koch-Institut warnt vor steigenden Infektionszahlen und einer möglichen zweiten Welle. Wenn wir uns anschauen, wer die erste Welt mit dem Risiko für die eigene Gesundheit bezahlt hat – unverzichtbare Arbeiter*innen im Gesundheits-, Lebensmittel-, Reinigungs- und anderen Sektoren – und wer mit Milliarden an Rettungsgeldern und Profiten herausgehen konnte, können wir schon ahnen, was die zweite Welle bringt. Und Markus Söders Interesse liegt nicht daran, die Bevölkerung zu schützen, sondern gerade diejenigen, die mit unserem Leben Profite machen.

So lange die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter*innen (und auch der einheimischen Arbeiter*innen) nicht verbessert werden; so lange das Gesundheitssystem ein Ort ist, wo es darum geht, Geld einzusparen und Gewinne zu machen; so lange die Profite der Konzerne über unseren Leben stehen; so lange sind wir nicht ausreichend vor Corona geschützt.

Fußnoten

1. Akkordlohn: Lohn, dessen Höhe von dem erzielten Arbeitsergebnis und nicht von der aufgewendeten Arbeitszeit abhängig ist.

2. d.h. die also infiziert sind, aber deren Virusmenge noch unter der Nachweisgrenze ist.

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