Die neue Barbie: Feministisches Vorbild, oder doch nur pinkwashed?

30.07.2023, Lesezeit 10 Min.
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Margot Robbie und Ryan Gosling auf der Premiere in London. Foto: Fred Duval / Shutterstock.com

Die Premiere des neuen Barbie-Films wurde von vielen sehnsüchtig erwartet. Rechte Kritiker proklamieren, dass der Film “zu feministisch” sei, während wir sagen, dass er das gerade nicht ist. Wieso? Achtung: Dieser Artikel enthält Spoiler.

Auf Social Media wurde die Deutschlandpremiere des Films „Barbie“, die am 20. Juli stattfand, von vielen, zumeist jungen Menschen, freudig antizipiert. Viele gingen in pinken Outfits ins Kino, um eine Hommage an die Spielzeug-Ikone zu setzen.

Die Hauptdarsteller:innen des Films, Margot Robbie und Ryan Gosling, sorgten für Schlagzeilen und setzten ein starkes Zeichen, indem sie aus Solidarität mit den finanziell weniger besser gestellten Schauspieler:innen und Drehbuchautor:innen, die gerade in Hollywood streiken, ebenfalls die Arbeit niederlegen und die Deutschland-Premiere in Berlin nicht besuchten.

In der Anfangsszene des Films zeigt Regisseurin Greta Gerwig eine Gruppe von kleinen Mädchen, die in einer Felsenlandschaft sitzen und mit altmodisch aussehenden Babypuppen spielen. Begleitet von einem erklärenden Voice-Over, dass es früher nur Babypuppen gegeben hätte und sie mit der Ankunft der Barbie auch andere Sachen spielen können als nur Mutter-Kind, erscheint eine riesige Barbiepuppe aus dem Himmel gefahren. Die Kinder machen ihre alten Puppen kaputt und wenden sich der neuen Barbie zu. Ganz selbstverständlich wird sich nur auf “kleine Mädchen” bezogen, doch dass Jungen auch mit Puppen spielen können, kommt im Film nicht vor.

Gleich darauf wirft uns der Film in das “Barbieland”, eine Parallelwelt, in der die Puppen aus der Barbie-Welt leben. Die meisten von ihnen sind Barbies oder Kens, begleitet von vereinzelten anderen Charakteren aus dem Barbie-Franchise. Das Barbieland ist eine matriarchal ausgerichtete Welt: die Barbies haben das Sagen, sind Präsidentin, Ärztinnen, Physikerinnen und Juristinnen. Die männlichen Kens sind nur schicke Accessoires, die zum Teil nicht einmal einen richtigen Jobtitel besitzen. In knalligen hellen Farben wird uns gezeigt, dass es unter den Barbies keinen Streit gäbe, alle solidarisch miteinander seien und sich ihren Erfolg gegenseitig gönnen würden. Natürlich sind sie ebenfalls unabhängig von Männern. Unsere Hauptfigur, die “stereotypische Barbie” (Margot Robbie) zeigt ihrem Freund “Beach Ken” (Ryan Gosling), deutlich, dass sie möglichst wenig mit ihm zu tun haben möchte, und wird dennoch von ihm vergöttert.

Gleichzeitig ist die Barbie-Plastikwelt keineswegs perfekt. So sind die Barbies verurteilend gegenüber Puppen, die sie ästhetisch nicht ansprechend finden oder die nicht pausenlos fröhlich sind und  es ist von einer “schrägen” Barbie die Rede, die man lieber meiden wolle. Und auch unsere Hauptfigur merkt, dass ihr Leben aus den Fugen gerät. Ihre Pfannkuchen brennen an, und ihre Milch ist verdorben, sie kann nicht mehr vom Dach ihres Hauses auf den Boden schweben, sondern stürzt unglücklich Auf einer Party fragt Barbie ihre Freundinnen, ob sie auch manchmal an den Tod denken würden. Die anderen reagieren geschockt und Barbie muss so tun, als sei es ein Missverständnis gewesen, um ihr Gesicht zu wahren. Sie bemerkt Cellulite und Plattfüße. Von der “schrägen” Barbie erfährt unsere Hauptfigur, dass Kinder mit den Barbies spielen und diese kaputt gehen, wenn zu doll mit ihnen gespielt wird, oder wenn das Kind, der die Barbie gehört, traurig ist. Genau das sei gerade der Fall, weshalb Barbie in letzter Zeit so viele unglückliche Situationen passiert seien. Die Barbies sind also keine unabhängigen Persönlichkeiten mit eigener Subjektivität, sondern sind abhängig von den Stimmungen und Launen der Kinder, die mit ihnen spielen. Dies ist nicht gerade ein emanzipatorisches Frauenbild und wird auch im Laufe des Films nicht durchbrochen.

Barbie macht sich schließlich mit Ken an ihrer Seite auf in die menschliche Welt, um die Ordnung wiederherzustellen.

Barbie und Ken merken, dass die menschliche Welt kein Ebenbild von Barbieland ist, sondern dass hier rauere Töne herrschen. Gleich zu Beginn wird Barbie von verschiedenen Männern verbal sexualisiert belästigt, und Barbie und Ken werden zweimal verhaftet (unter anderem wegen Diebstahl, da sie kein Geld haben). Was Barbie an der realen Welt und auch im Mattel-Headquarter (Mattel ist der Hersteller von Barbie), in das sie schließlich von bedrohlich wirkenden CEOs rekrutiert wird, kritisiert, ist vor allem, dass sie wenig Repräsentation für Frauen sehen würde. Der Mattel-CEO versucht sich rauszureden, indem er sagt, dass es in den letzten Jahrzehnten schon zwei weibliche CEOs gegeben habe. Ken hingegen findet Gefallen an den patriarchalen Verhältnissen und stellt in Barbieland ein Patriarchat her, eine düstere (oder knallig-pinke) Satire unserer Gesellschaft. Die Barbies üben nun keine Berufe mehr aus, sondern reichen den Männern gekühlte Biere aus dem Mini-Kühlschrank. Die Kens wollen sogar eine Verfassungsänderung abstimmen lassen, sodass die Macht im Staat nun in ihren Händen liegt.

In einer Stepford Wives ähnlichen Manier können die Frauen sich nicht mehr an ihre früheren Leben erinnern. Gloria und Sasha, ein Mutter-Tochter-Duo (deren Charaktere recht eindimensional bleiben) aus der Welt der Menschen, lösen die Barbies durch Reden darüber, was es heißt, eine Frau zu sein, aus ihrer Verzauberung. Gemeinsam überlisten die Frauen schließlich die Männer.

Statt zurück zum Matriarchat zu kehren, scheint es aber nun, als würden die Barbies und die Kens gleichberechtigt leben wollen. Den Kens wird nicht vorgehalten, dass sie das Patriarchat eingerichtet haben, stattdessen werden sie von ihren Freundinnen getröstet und es wird gesagt, dass sie genug seien, so wie sie sind.

Greta Gerwig wird als feministische Regisseurin gehandelt, und zweifellos enthält der Film einige spannende Elemente. Barbie betrachtet durch die Augen eines Kindes die reale Welt und das Patriarchat und ist zunächst völlig orientierungslos. Erst nach und nach erkennt sie, dass Männer und Frauen tatsächlich nicht gleichgestellt sind, und dass unfaire Standards an sie gesetzt werden, weil sie eine Frau ist.

Zugleich versucht der Film, das Problem des Patriarchats über eine liberale Repräsentationslogik zu lösen. Der Kapitalismus wird am Anfang relativ kryptisch erwähnt, als eine Barbie zu Beginn des Films eine Rede hält und verlangt, dass Unternehmen kein Rederecht haben sollten, da dies die Demokratie untergraben  und zu einer Plutokratie führen würde.

Es klingt zunächst an, als gäbe es keine großen gesellschaftlichen Probleme, wenn nur Frauen an der Macht wären. Diese Haltung wird zum Ende des Films hin etwas revidiert (die Frauen besetzen immer noch die gesellschaftlich wichtigen Positionen, doch die Männer werden mehr einbezogen und sollen empowered werden), dennoch bleibt unklar, welche Gesellschaftsvision Gerwig uns mit ihrem Film zeigen möchte. Gerwig selbst sagte in einem Interview, dass sie sich zwar als Feministin bezeichnen würde, doch für sie sei der Film in erster Linie humanistisch, denn er würde zeigen, dass jede Art von “hierarchischer Machtstruktur” schlecht sei. Jedoch wird eben diese hierarchische Machtstruktur am Ende in Barbieland wiederhergestellt, und in der realen Welt werden keine erkennbaren Schritte unternommen, um Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse zu überwinden.

Auch von rechts wurde der Film kritisiert. So beschwerte sich Ben Shapiro, ein konservativer und antifeministischer YouTuber, Redakteur und Podcaster, über eine trans Barbie und darüber, dass der Film so tue, als würde das Patriarchat existieren. Dass Gerwig und Robbie sicher gut an dem Film verdient hätten, sei doch der beste Beweis dafür, dass Frauen nicht unterdrückt würden. Jedoch ist der berufliche und finanzielle Erfolg einiger weniger Frauen noch lange kein Indiz dafür, dass Frauen (und Menschen allgemein) alles schaffen könnten, wenn sie es nur wollten, so wie es uns die liberale Ideologie weismachen will.

Die reaktionäre Kritik an dem Film ist natürlich abzulehnen. Wir denken aber auch nicht, dass Barbie der Film ist, den wir brauchen. Jedoch nicht weil er zu feministisch sei, sondern weil sein Feminismus kein echter ist. Dass ein Warner Brothers Film über ein Spielzeug des milliardenschweren Konzerns Mattel ein feministisches Meisterwerk sein könnte, wäre jedoch auch nicht zu erwarten. Schon lange steht die Barbiepuppe in der Kritik, da sie durch ihre Körperproportionen, mit denen sie nicht lebensfähig wäre, jungen Mädchen unerreichbare Schönheitsideale vermittelt. Barbie kann zwar jeden Job haben, den man sich nur vorstellen kann, doch muss sie dabei stets lächeln und gut aussehen, und bleibt natürlich für immer jung. Diese Kritik an der Marke Barbie und einem Frauenbild, dass man stets gut aussehen und keine negativen Gefühle haben dürfe, teilt der Film. So hält die Jugendliche Sasha, als sie Barbie kennenlernt, eine Rede darüber, dass Barbie ein Produkt des “sexualisierten Kapitalismus” sei und den Konsumzwang befeuern würde. Jedoch kratzt der Feminismus insgesamt nur an der Oberfläche.

Der Kapitalismus wird zwar kurz angeschnitten, der Film erkennt aber nicht an, dass Kapitalismus und Patriarchat sich gegenseitig stützen und deshalb beide überwunden werden müssen. Barbie kritisiert, dass es bei Mattel nicht genug weibliche leitende Angestellte gibt. Doch auch wenn ein kapitalistisches profitorientiertes Unternehmen von Frauen geführt wird, bedeutet das noch immer nicht, dass es da gerecht oder feministisch zugehen würde. Die Arbeiter:innen bei Mattel und überall anders werden immer noch ausgebeutet, indem ihre Bosse ihnen nicht den Profit als Lohn auszahlen, den sie erwirtschaften und sie gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Weibliche oder queere Bosse werden oft dazu genutzt, einem Unternehmen ein besseres Image zu verleihen und zu suggerieren, dass auch Frauen und queere Menschen alles erreichen können, was sie wollen. Doch wir wissen, dass sie im Kapitalismus nicht alle ihre Träume verwirklichen können und viele nicht einmal ihren gewünschten Ausbildungs- oder Studienplatz bekommen. Weibliche und queere Bosse haben immer noch das Klasseninteresse der Kapitalist:innen und können nicht auf unserer Seite sein, da sie ein materielles Interesse daran haben, dass wir weniger Lohn und weniger Arbeitsrechte haben, uns nicht gewerkschaftlich organisieren und natürlich erst Recht nicht Schritte unternehmen, um den Kapitalismus zu stürzen. Auch weibliche Präsidentinnen oder Regierungschefs sind kein Schritt in Richtung der Befreiung von Frauen und queeren Menschen, anders als der Film es uns suggeriert. Als Oberhäupter kapitalistischer Staaten führen sie noch immer Kriege,bauen die Polizei aus und arbeiten mit den Kapitalist:innen zusammen. Dies kann man auch gut an der sogenannten “feministischen Außenpolitik” von Baerbock sehen, die die Situation von Frauen und queeren Menschen in abhängigen Ländern sogar noch verschlechtert, zum Beispiel durch das Verhängen von Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, unter denen auch die arbeitenden Frauen leiden.

Wir denken, dass wir weder durch das Besetzen von hohen Posten in der Wirtschaft oder Politik mit Frauen und Queers, noch durch die Errichtung eines Matriarchats, echte Befreiung erlangen können. Und schon gar nicht, indem wir den Männern vorspielen, wir würden sie interessant und begehrenswert finden, um sie dann hintenrum auszutricksen, wie es uns der Barbie-Film vorschlägt und damit zahlreiche feministische Kämpfe der Vergangenheit und Gegenwart verniedlicht. Hingegen müssen wir als Arbeiter:innen jeglichen Geschlechts Seite an Seite für die Überwindung des Kapitalismus kämpfen und dabei feministische, antirassistische Forderungen, und Forderungen gegen alle weiteren Unterdrückungsformen mit an die Spitze stellen.

Das wirksamste politische Mittel hierfür ist der politische Streik und die Zusammenführung der Streiks. Wenn in den Häfen, den Autofabriken, den Krankenhäusern und den Bahnhöfen gleichzeitig die Arbeit niedergelegt werden würde, würde die öffentliche Infrastruktur zusammenbrechen und die Konzerne könnten keine Profite mehr erwirtschaften. Wir haben in Frankreich beim Kampf gegen die Rentenreform gesehen, welche Kraft ein gemeinsamer Streik aus vielen verschiedenen Sektoren entfalten kann. In die Streikbewegungen müssen wir nicht nur Forderungen nach mehr Gehalt oder mehr Urlaubstagen hineintragen, sondern auch Forderungen gegen Unterdrückung. Wir müssen für offene Grenzen und ein Bleiberecht für alle, für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz, und für die Streichung des Paragraphen 218 StGB und somit ein vollumfängliches Recht auf Schwangerschaftsabbrüche streiken. Denn es ist nicht damit getan, indem wir uns mehr oder weniger inspirierende Reden darüber anhören, was es heißt, eine Frau zu sein.

Wenn du weiter mit uns über Kunst, Kultur und Feminismus diskutieren möchtest, komm zu unserem Sommercamp, welches vom 31. August bis zum 3. September in Regensburg stattfindet. Es wird ein Workshop zu Revolutionärer Kunst, sowie mehrere Workshops zu Feminismus und Queerer Befreiung stattfinden. Hier findest du das Programm. Zur Anmeldung schreib uns eine Mail an info@klassegegenklasse.org, oder eine Direktnachricht bei Instagram oder Twitter.

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