Die Münchner Staatsanwaltschaft – Stürmer der Nation
Wegen griechischer Schriftart "Verfassungsfeind", während Nazis marschieren dürfen? So geschehen im Fußball. Als Antifaschist wegen angeblichen Nazi-Inhalten vor Gericht? So geht es zurzeit Benjamin Ruß - für das Teilen eines antifaschistischen Memes auf Facebook soll er 2.000 Euro Strafe zahlen.
Die dritte Fußball-Bundesliga hat kaum begonnen, da gibt es in München schon die ersten Probleme mit Fußballfans. Urheber der Probleme sind jedoch nicht die viel gescholtenen Ultras, sondern die Polizei und Staatsanwaltschaft München.
Sicher, man könnte den Vorfall mit einem „Typisch Bayern“ abtun: Die Staatsanwaltschaft München verbot der Zwickauer Ultra-Gruppe „RED KAOS“ letzte Woche im Voraus das Zeigen ihrer Zaunfahne während des Auswärtsspiel des FSV Zwickau bei den Münchner Löwen. Trotz Interventionen des DFB, beider Vereine sowie beider Fanprojekte verharrte die Staatsanwaltschaft aber auf ihrer Position. Die Zwickauer Ultras entschieden sich daraufhin konsequenterweise daheim zu bleiben. Das Zuhausebleiben ist in der Ultra-Szene ein selten genutztes Mittel. Schließlich will man seinen Verein überall und zu jeder Zeit unterstützen. Viele Ultras sehen auf Grund der steigenden Repression ihnen gegenüber aber immer öfters keinen anderen Ausweg mehr. Die eigene Zaunfahne nicht aufhängen zu dürfen, das wäre wie nackt umherlaufen zu müssen: Die Zaunfahne einer jeden Ultra-Gruppierung wird mit der Gründung angefertigt und ist ab diesem Zeitpunkt die Visitenkarte, die in jedem Stadion gezeigt wird. Wird die Zaunfahne geklaut, lösen sich Ultra-Gruppen auf. Das Motiv, der Stil, der Name, die Farben – die Zaunfahne spiegelt die DNA der Gruppe wieder.
Auslöser für das oben beschriebene Vorgehen der Münchner Staatsanwaltschaft war ein Spiel der vorangegangenen Saison, als der FSV Zwickau in Unterhaching gastierte. Dort hatten die Ultras von RED KAOS ihre Fahne dabei und am Zaun des Stadions im Hachinger Sportpark angebracht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen die Gruppe – wegen des Buchstaben „S“ in RED KAOS. Ihre Argumentation: das „S“ sehe der germanischen S-Rune zum Verwechseln ähnlich und erfülle damit den Tatbestand des § 86a StGB – das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Der Font des beanstandeten Schriftzuges erinnert an Namensschilder griechischer Tavernen oder an Joghurtbecheraufschriften in deutschen Discountern. Sucht man im Internet nach griechischen Schriftarten, findet man schnell solche, die denen auf der Zaunfahne ähneln. RED KAOS hat in einer Stellungnahme zur Entstehung der Zaunfahne beschrieben, wie es zur Auswahl dieses Fonts kam: weil Jugendliche im Jahr 1997 begeistert griechische Ultras nachahmen wollten und dementsprechend durch die Auswahl der Schriftart einen Bezug zu Griechenland herstellen wollten. Weiterhin grenzen sie sich in ihrer Stellungnahme klar von den gemachten Vorwürfen ab. Die „Löwenfans gegen Rechts“ äußerten im Vorfeld des Spiels Unverständnis über das Vorgehen und die Argumentation der Staatsanwaltschaft. Darüber hinaus sind nun die Ultras des Münchner Traditionsvereins in den Fokus der Polizei und Staatsanwaltschaft geraten, da sie sich im Stadion per Schriftzug mit den Zwickauer Fans solidarisierten und dabei die selbe Schriftart verwendeten.
Sowohl die Joghurtbecher mit griechischen Schriftarten als auch die Stellungnahme von RED KAOS ist der Münchner Staatsanwaltschaft aber egal. Auch, dass die Fan-Gruppe eher als linksorientiert gelte. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft argumentierte: „Der Kontext ist bei einer Fan-Fahne aber eben ein anderer als bei einem griechischen Joghurt im Supermarktregal.“
Diese Aussage offenbart allerdings den Geist der Staatsanwaltschaft. Griechischen Joghurt verkaufende Großkonzerne stellen deutlich mehr Kontext zum deutschen Faschismus her als die Zaunfahne der Ultras aus Zwickau. Die Kriegskredite aus Griechenland, mit denen sich solche Konzerne gesund finanziert haben, sind immer noch nicht zurückgezahlt. Die Münchner Staatsanwaltschaft sollte besser dort Strafanzeigen verteilen.
Hinter dieser vermeintlichen Provinzposse steckt jedoch mehr als nur eine unfähige Staatsanwaltschaft. Ihr Vorgehen hat System. Als die Münchner Staatsanwaltschaft Anfang 2018 versuchte, gegen einen Cellisten Anzeige wegen Teilens eines Bayerischen-Rundfunk-Artikels zu erstatten, holte sie sich in Komplizenschaft mit Staats- und Verfassungsschutz ein blaues Auge ab. Es ging um ein Bild der Fahne kurdischer Selbstverteidigungseinheiten aus Rojava (die übrigens nicht einmal verboten ist). Die offizielle Presse zu kriminalisieren, dafür schien die Zeit noch nicht reif zu sein. In den letzten Monaten häufen sich jedoch Strafanzeigen, deren Charakter dem der Anzeigen gegen die Ultras aus Zwickau ähneln. Mindestens drei weitere Personen müssen sich in den kommenden Wochen und Monaten wegen ähnlicher Vorwürfen vor Gericht verantworten. Interessant daran ist, dass diese Verfahren allesamt gegen politisch aktive Menschen gerichtet sind. Über deren anti-faschistische Einstellung besteht keinerlei Zweifel. Warum rücken sie dann ins Visier der Münchner Staatsanwaltschaft?
Nichts ist unmöglich – PAG
Im Fall von Benjamin Ruß grenzt das Vorgehen an Absurdität. Der Münchner hatte im Zuge der rechten Demonstrationen und dem Verhalten der Behörden gegenüber kurdischen Aktivist*innen ein Meme auf Facebook geteilt (siehe im Video unten). Er versah dieses Meme mit dem Hashtag #fcknzs, eine bekannte Chiffre für: Fuck Nazis! Auf diesem Meme ist ein Mann zu sehen, der während einer Demonstration in Chemnitz direkt vor einer behelmten Polizeieinheit den Hitlergruß nachahmt. Das Meme ist mit folgendem Satz beschriftet: „Jo alles ok – er hat ja keine YPG Fahne in der Hand.“ Die auf dem Bild abgelichtete Polizei reagierte auf den Hitlergruß nicht. Die Staatsanwaltschaft konstruierte nun einen weiteren Prozess daraus gegen ihn. Ruß soll mit diesem Meme verfassungswidrige Symbole verbreitet haben.
Öffentlich politische Menschen sollen so kriminalisiert werden, damit ihr Umfeld eingeschüchtert wird und sich keine Nachahmer*innen finden. Die Kriminalisierung dient außerdem dem Versuch, Menschen und politische Organisationen zu diskreditieren. Darüber hinaus will der Staat die Meinungshoheit darüber behalten, was gezeigt werden darf und was nicht. Historische oder aktuelle Bezüge herzustellen, scheint ihm ein Dorn im Auge zu sein. Auch die Kritik an seinem Umgang mit faschistischen und anti-faschistischen Organisationen sollen offenbar nicht kritisiert werden dürfen. Aber genau an dieser Stelle tritt die Heuchelei des sogenannten bürgerlichen Rechtsstaats an die Oberfläche. Er versucht verzweifelt, seine Verbindungen zu und den Aufbau von faschistische Organisationen zu verdecken, versucht faschistische Tendenzen in der Gesellschaft zu verharmlosen. Kritik daran wird rigoros unterbunden und mit dem Inkrafttreten des Polizeiaufgabengesetzes werden die Verfolgungsbehörden wie die Polizei oder der Verfassungsschutz durchaus aggressiver in ihrer Vorgehensweise.
Was bei den Protesten gegen die Erneuerung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) von tausenden Menschen quer durch Bayern hinweg angeklagt wurde, entwickelt sich mehr und mehr zur Realität. Der Staat erweitert Schritt um Schritt seine Mittel, um sich gegen Kritik und Widerstand aus der Masse zu verteidigen. Dagegen hilft nur Solidarität.
Am 7. August das Verfahren gegen Benjamin Ruß begleiten
Am 7. August um 11 Uhr im Raum A229 des Landgerichts Münchens, Nymphenburger Str. 16, (in Berufung nach einem Urteil des Amtsgerichts) findet ein Verfahren gegen Benjamin Ruß statt. Ab 9:30 Uhr wird eine Kundgebung stattfinden. Kommt zahlreich!
Finanzielle Unterstützung für die juristische Verteidigung von Benjamin geht per PayPal hier: https://paypal.me/KlasseGegenKlasse