Interview: „Linkspartei zieht keine Grenze zur Ampel“

26.03.2024, Lesezeit 8 Min.
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Foto: nitpicker // shutterstpck

Letztes Jahr hat sich der Bundesarbeitskreis Klassenkampf in der linksjugend ['solid] gegründet. Wir haben die zentrale Leitung des Bundesarbeitskreises interviewt.

Wann und warum habt ihr euch gegründet?

Wir haben uns im Laufe des vergangenen Jahres formiert und unter Anderem über den Sommer ein Selbstverständnis aufgesetzt. Unsere Arbeit haben wir dann ab Dezember intensiviert, um für eine marxistische, antiimperialistische und klassenkämpferische Ausrichtung des Verbandes zu kämpfen.

Schaut man auf euer Instagram,  nimmt der Genozid, den der israelische Staat in Gaza verübt, sehr viel Raum ein. Was sind da eure Positionen und eure Aktivitäten? 

Vor allem fordern wir dringend einen Waffenstillstand, die bedingungslose Freilassung aller unbeteiligten israelischen Geiseln, ebenso wie die sofortige Freilassung der tausenden palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen.

Unserer Ansicht nach handelt es sich nicht um einen „Konflikt“ zwischen zwei ebenbürtigen Konfliktparteien, sondern um einen klassischen Kampf zwischen einer Kolonialmacht mit imperialer Rückendeckung und einem Volk, das sich nicht kampflos unterdrücken lassen will.

Nicht Netanjahu ist die Ursache des Problems, sondern der Exklusions- und Expansionsdrang, der allen siedlerkolonialen Staatsprojekten innewohnt. Israel ist keine Ausnahme. Wie vor ihm der südafrikanische Apartheidstaat kann auch der israelische Staat zu Demokratie und Gleichberechtigung nur gezwungen werden, und wir unterstützen alle Bestrebungen die in diese Richtung gehen, egal ob von Palästinenser:innen, von Israelis oder von der internationalen Solidaritätsbewegung.

Es ist unsere Pflicht als Sozialist:innen in diesem Land, das Widerstandsrecht eines gegen Kolonialismus kämpfenden Volkes zu verteidigen. Gerade auch dann, wenn unser Staat Waffen liefert, ins Rote Meer zieht und sich international durch Israelapologetik blamiert. Dieser Pflicht versuchen wir durch Demonstrationen auf der Straße und durch inhaltliche Debatten im Verband in dieser herausfordernden Zeit gerecht zu werden. 

Solid ist als überwiegend zionistische Organisation bekannt, mit Positionen teils rechts von der Linkspartei. Wie sind eure Erfahrungen diesbezüglich? Werdet ihr angefeindet?

In der Linksjugend dominieren immer noch solche Positionen, die keine Grundsatzkritik am Zionismus formulieren, auch wenn rechtszionistische Positionen nicht mehr so ziehen wie früher. Gleichzeitig ist unsere Erfahrung sehr positiv: Im Verband gibt es massenhaft Genoss:innen, die sich hiervon nicht kleinkriegen lassen und mit uns für eine internationalistische Ausrichtung der Linksjugend streiten wollen.

Die größte Herausforderung ist gar nicht, internationalistische Genoss:innen im Verband zu finden, sondern Gleichgesinnte, die aus nachvollziehbaren, aber letztlich sektiererischen Gründen aktuell fehlen und die wir dringend brauchen, um den marxistischen Pol sichtbar zu machen, in den Verband hineinzubringen. 

Auf dem letzten Bundeskongress wurden einige der Positionen von Solid bezogen auf Antisemitismus und Israel nach links gerückt. Was könnt ihr dazu berichten? 

Nach unserer alten Beschlusslage von 2015 galten »die Unterstellung, Israel begehe einen Genozid an den Palästinenser:innen«, »die Infragestellung des Existenzrechts Israels« und »die Dämonisierung Israels als „Apartheidsstaat“« als eindeutig antisemitisch. Jetzt gilt die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, wodurch wir die kategorische Gleichsetzung von Antisemitismus mit Antizionismus aufgebrochen haben. Die Freund:innen der deutschen Staatsräson im Verband konnten ihre Mehrheit nur aufrechterhalten, indem sie einen freien Meinungsaustausch unmöglich machten. Wir dagegen haben keine Angst vor einer fairen Debatte. Der JDA-Beschluss ist ein wichtiger Schritt, aber unseren Erfolg werden wir am Ende auch daran messen müssen, inwieweit Marxist:innen innerhalb und außerhalb des Verbandes diesen Schritt nutzen, um für ihre Positionen zu werben. 

Neben dem Genozid in Gaza ist auch der Ukraine-Krieg und die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine ein kontroverses Thema in der Linkspartei. Jüngst hat Bodo Ramelow bekräftigt, dass er weiterhin für Waffenlieferungen an die Ukraine einsteht. Was ist eure Haltung hierzu? Welche Haltung denkt ihr sollte die Linkspartei vertreten?

Sowohl gegen die russische Invasion als auch gegen die politische und militärische Einmischung von NATO-Staaten hat die Bevölkerung der Ukraine das Recht, sich zur Wehr zu setzen. Doch in der aktuellen Situation werden sowohl das ukrainische Selbstbestimmungsrecht als auch die Rechte der russischsprachigen Minderheit im Osten dafür eingespannt, um imperiale Interessenskonflikte militärisch auszutragen. Sowohl die Scheinrepubliken des Ostens als auch der ukrainische Staat wehren sich nicht gegen diese Instrumentalisierung, sondern tragen sie aktiv mit. Der Grabenkrieg der letzten Monate, bei dem zehntausende Soldaten auf beiden Seiten geopfert wurden, um die Front um wenige Kilometer zu verschieben, dient nicht der Befreiung der Ukraine aus dem Einfluss äußerer Großmächte, sondern der einen Großmacht auf Kosten der anderen. Wir sind darum für einen Waffenstillstand, für die Beendigung jeder militärischen Einmischung durch andere Länder, wozu auch Waffenlieferungen aus Deutschland gehören, und für die Entkriminalisierung von sozialistischer Organisierung im ökonomischen wie im politischen Bereich. Denn der Krieg erschwert die Entstehung eines dritten Pols, der für eine demokratische und gleichberechtigte Lösung der nationalen Gegensätze innerhalb der Ukraine kämpft, und der diese demokratische Lösung gleichzeitig gegen jeden Einfluss kapitalistischer Großmächte geltend macht. 

Schaut man sich die Gesamtenwicklung der Linkspartei an, sieht diese relativ düster aus. Bei der letzten Bundestagswahl ist die Linkspartei nur durch Direktmandate in den Bundestag eingezogen, Anfang März steht die Linkspartei bei nur noch 3% der Stimmen, Tendenz sinkend. Woran denkt ihr liegt das?

Die Linkspartei verwaltet seit Jahren auf Länderebene das System mit und ist trotz der niederschmetternden Wahlergebnisse weiterhin auf Regierungsbeteiligung ausgerichtet, sodass sie keine erkennbare Grenze zieht zwischen sich und der Ampel. Die roten Haltelinien erbleichen stets vor der Aussicht auf „rebellisches Regieren“. Der Unmut sammelt sich stattdessen bei den Parteien, die bereit sind, sich in Opposition zur aktuellen Regierung zu stellen: AfD und BSW. Darin wird ein Teil der Antwort liegen. 

Mehr als doppelt so viele Stimmen kann das Bündnis Sarah Wagenknecht in aktuellen Umfragen auf sich vereinen. Wie bewertet ihr das Projekt Sarah Wagenknechts? 

Wir teilen die vielfach formulierte Kritik an der nationalistischen Politik Wagenknechts und an der Art und Weise, wie sie das Ausspielen von unterdrückten und ausgebeuteten Gruppen als Kritik an Identitätspolitik inszeniert. Gleichzeitig ergeben sich beispielsweise in der Friedensfrage Felder für taktische Zusammenarbeit. Für uns ist Wagenknechts Projekt insgesamt keine Alternative. Doch ebenso wenig ist es das Projekt Ramelow oder das Projekt Lederer. 

Wie seht ihr eure eigene Zukunft? Denkt ihr, ihr könnt die Linkspartei von Grund auf ändern? Habt ihr Pläne, falls sich keine Änderungen einstellen?

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben bisher weder denjenigen definitiv Recht gegeben, die in der Partei mitgewirkt haben, noch denjenigen, die außerhalb der Linkspartei versucht haben, eine Alternative anzubieten. Eine revolutionäre Partei gibt es in Deutschland nämlich derzeit trotz der unterschiedlichen Ansätze innerhalb und außerhalb der Linkspartei nicht. Die Mitarbeit von Marxist:innen in Parteien wie der Linkspartei (und in ihnen nahestehenden Strukturen wie der Linksjugend) bleibt weiterhin eine taktische Frage. Wir haben keine einheitliche Einschätzung in dieser Frage, unterstützen aber die Bestrebungen, marxistische Positionen in der Linkspartei zu stärken.

Was die Linksjugend angeht, haben wir bisher wie gesagt positive Erfahrungen gesammelt, auch wenn wir noch sehr am Anfang stehen. Wir sind eine offen marxistische Strömung innerhalb der Linksjugend, und wir haben uns das Ziel gesetzt, marxistische Inhalte im Verband mehrheitsfähig zu machen und dem Verband überhaupt eine marxistische Ausrichtung zu geben. Wir wollen Genoss:innen nicht aus dem Verband herausziehen und für irgendwelche Splittergruppen gewinnen, sondern sie in den Verband hineinbringen, damit sie langfristig und organisiert daran mitwirken, eine marxistische Linksjugend aufzubauen. Die aktuelle Richtung der Linksjugend spricht nicht dafür, dass wir unseren Ansatz ändern sollten. Sie spricht eher dafür, dass der „Revolutionäre Bruch“ von 2022/23 der falsche Ansatz war. 

Anmerkung der Redaktion:

Als Revolutionäre Internationalistische Organisation ziehen wir eine andere Bilanz zum Revolutionären Bruch. Wir denken, dass der Aufbau einer unabhängigen Alternative zum Reformismus um so dringender anzugehen ist angesichts der deutschen Unterstützung des Genozids in Gaza, der beispiellosen Militarisierung des deutschen Staates und des enormen Rechtsrucks. Wir schlagen daher eine Diskussion zur Bildung einer Wahlfront zu den nächsten Bundestagswahlen vor. Wir empfehlen dazu folgende Artikel:

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