Die Linkspartei kapituliert vor dem deutschen Imperialismus
Jene Teile der radikalen Linken, die sich in oder im Umfeld der Linkspartei bewegen, betonen seit Jahren, dass die Linkspartei die einzige bundesweite Partei sei, die gegen die militaristische Politik der EU kämpfe. Für diese Kräfte müsste der Mitte Februar in Hamburg abgehaltene Europaparteitag der Linkspartei eigentlich ein böses Erwachen gewesen sein. Das dort verabschiedete Programm für die Wahlen zum EU-Parlament beschreibt die EU als ein Konstrukt, welches nur „demokratischer“ umgebaut werden müsse. Noch in der Entwurfsfassung vor dem Parteitag definierte die gleiche Passage die EU als „neoliberal, militaristisch und weitgehend undemokratisch“.
Hat sich also der Charakter der EU plötzlich geändert? Wohl kaum. Vielmehr zeigte der Parteitag den wahren Charakter der Linkspartei: ein Apparat, der mit allen Mitteln regierungsfähig sein will und dafür bereit ist, auch noch die letzten grundlegenden linken Positionen zu verwässern oder direkt über Bord zu werfen – und eine Minderheit aus linken Gruppen, die sich verzweifelt, aber letztlich fruchtlos, dagegen zu stemmen versucht. Der Verlauf der Debatte um das Europaprogramm macht vor allem eines deutlich: In der Linkspartei darf viel und radikal geredet werden – aber nur dann, wenn es ohne Konsequenzen bleibt.
In der Vergangenheit diktierte der Regionalproporz der Linkspartei einen Delegiertenschlüssel für die Parteitage, der den westdeutschen Landesverbänden ein überproportionales Stimmrecht einräumte. Beim Europaparteitag in Hamburg kam dieser Regionalproporz zum ersten Mal nicht zum Tragen. So zeigten sich noch deutlicher die wahren Kräfteverhältnisse in der Linkspartei: Die eigentliche Macht hat der ostdeutsche Apparat mit Gregor Gysi an der Spitze, und für diesen sind selbst die elementarsten Positionen gegen Militarismus und Imperialismus zu radikal, wenn es um die Perspektive der Regierungsbeteiligung geht.
Dabei ist es nicht so, dass das Europawahlprogramm rechter als vorherige Programme wäre. Doch die Linkspartei hat vor der Medienkampagne kapituliert, die ihr im Vorfeld des Parteitages entgegenwehte. Angesichts der massiven bürgerlichen Kritik bekennt sie sich unzweideutig zur EU.
Die bürgerlichen Medien drängen zur falschen Wahl zwischen dem imperialistischen Staatenblock der EU und der Rückkehr zu europäischen Nationalstaaten. Wir als RevolutionärInnen lassen uns jedoch nicht vor diese falsche Wahl stellen und fordern die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa – eine Vereinigung nicht im Interesse der imperialistischen Konzerne, sondern der arbeitenden Bevölkerung des Kontinents. Da die Linkspartei sich aber grundsätzlich zum kapitalistischen Staat bekennt, kam sie letztlich auch um eine Anerkennung der EU nicht mehr herum.
Nun ist die Erkenntnis über den Charakter der Linkspartei sicherlich nichts bahnbrechend Neues – zumindest für diejenigen RevolutionärInnen, die wie wir seit Jahren auf ihre Rechtsentwicklung hinweisen. Aber für diejenigen Kräfte, die die Linkspartei trotz all ihrer Widersprüche als eine wichtige Referenz sozialen Widerstands sehen, muss der Hamburger Parteitag zu einem Wachrütteln führen, wenn sie sich nicht endgültig dem Rechtskurs der Führung ergeben wollen.
Trotz Kritik an der pro-EU-Ausrichtung beteiligt sich auch der linke Flügel am Europa-Wahlkampf der Partei – von erbittertem Widerstand kann also keine Rede sein. Wenn man Berichten vom Parteitag glauben darf, haben sogar VertreterInnen der Strömung Sozialistische Linke, in der Marx21 organisiert ist, einen Pakt mit dem rechten Parteiflügel geschlossen, um Kampfabstimmungen zu KandidatInnen zu vermeiden. Wenn man aber die Vorherrschaft des rechten Flügels so weit anerkennt, dass man einen Kampf auf dem Parteitag für sinnlos hält, warum arbeitet man überhaupt in dieser Partei? Es ist auf jeden Fall bemerkenswert, dass Marx21 bis zu unserem Redaktionsschluss kein Wort zu diesem Parteitag geschrieben hat.
Die SAV ist durchaus kritischer: „den Regierungsambitionen von Teilen der Parteiführung [… wurden] politische Wahrheiten über den Charakter der Europäischen Union geopfert“.1 Die GenossInnen geben zu, dass aus der Linkspartei niemals eine revolutionäre Organisation werden wird, bestehen aber auf der Notwendigkeit, vorerst weiter in ihr zu arbeiten. Sie gehen davon aus, dass es irgendwann zu einem Bruch mit der Linkspartei kommen müsse, können aber weder erklären, was die Kriterien dafür sein sollten, noch wie sie positive Ergebnisse aus diesem Bruch ziehen wollen, wenn der Weg dahin mit ständigen Niederlagen und der Marginalisierung radikaler Positionen gepflastert ist. Sie wollen auch nicht klar sagen, dass die Regierungsbeteiligung nicht nur von „Teilen der Parteiführung“, sondern von der überwiegenden Mehrheit der Partei gewollt ist.
Dazu kommt, dass selbst die meisten Linken in der Linkspartei nicht prinzipiell gegen eine Beteiligung an bürgerlichen Regierungen sind, wenn auch zu etwas anderen Bedingungen. So wird auch die Linkspartei früher oder später ihren Beitrag zum Vormarsch des deutschen Imperialismus leisten.Wir dagegen sagen: Ein konsequenter Antiimperialismus ist heute notwendiger denn je. Die Unterdrückung der griechischen, zypriotischen und spanischen ArbeiterInnenklasse läuft unter dem Deckmantel der EU unter deutscher Führung.
Vor diesem Hintergrund ist es die oberste Aufgabe für RevolutionärInnen heute, eine konsequente antiimperialistische Politik gegen das deutsche Kapital und seine Regierung zu entwickeln. Dies funktioniert nicht durch eine Idealisierung der EU und eine Verschleierung ihrer imperialistischen Mechanismen, sondern nur durch eine unnachgiebige Opposition gegen den Nationalstaat und die EU, sowie den Kampf für ihre Ersetzung durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.
Fußnoten
1. Heino Berg: DIE LINKE nach dem Europaparteitag.