DIE LINKE nach dem Parteitag: Wird jetzt alles wieder gut?
DIE LINKE inszeniert auf ihrem Bundesparteitag Aufbruchsstimmung. Harmlose Reformvorschläge und ein Kompromiss zur Lage in Palästina lassen aber ein „Weiter so“ vermuten. Daran ändern auch 500 neue „linksradikale“ Mitglieder nichts.
Vergangenes Wochenende diskutierten unter dem Motto „Zeit für Gerechtigkeit, Zeit für Haltung“ die Delegierten in Augsburg über den Programmentwurf für die Wahlen zum Europaparlament 2024. „Der Augsburger Parteitag ist der Startschuss für die Erneuerung der Linken.“ So selbstbewusst bilanzierte die Vorsitzende Janine Wissler den Europaparteitag ihrer Partei DIE LINKE. Ob es wirklich Grund für solches Selbstbewusstsein gibt, wird sich zeigen.
Die fünf zentralen Themen waren dabei soziale Gerechtigkeit, ein Umbau der Wirtschaft zu einer sozialen und ökologischen Wirtschaft, Klimagerechtigkeit, weltweiter Frieden und weniger Lobbyismus. Der Parteitag sollte eine allgemeine Aufbruchsstimmung vermitteln und eine Erneuerung der Partei einläuten. „Gemeinsam schlagen wir ein neues Kapitel auf“, so Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Partei – ein Kapitel ohne Sahra Wagenknecht. Die hatte im Oktober ihren Austritt der Partei und Pläne für ihr eigenes Parteiprojekt angekündigt. Weil mit ihr auch neun weitere Bundestagsabgeordnete aus der Partei ausgetreten waren und diese ihre Mandate behalten wollten, blieb der Bundestagsfraktion keine andere Wahl, als sich aufzulösen. Höchste Zeit also für eigene Erfolgsmeldungen: Parteichefin Janine Wissler betonte, dass in den letzten Wochen 700 neue Mitglieder verzeichnet wurden.
Doch schon bei Betrachtung der fünf Kernthemen und dem Imagewechsel äußert sich der vergebliche Reformismus der Partei – auch aus eigenen Reihen: Kritik wurde laut, dass das Wort Sozialismus in dem 80-seitigen Entwurf nicht ein einziges Mal vorkommt. Die Behauptung Schirdewans, DIE LINKE sei „die sozialistische Gerechtigkeitspartei“, erscheint so wie eine schlechte Parodie.
Zum Spitzenkandidaten wurde Schirdewan dennoch gewählt – mit großer Mehrheit. 86,9 Prozent der Delegierten gaben ihm die Stimme. Begleitet wurde seine Wahl durch einen Eklat um den Wagenknecht-Anhänger Bijan Tavassoli. Dieser trat gegen Schirdewan an, um in seiner Rede dann seinen Parteiaustritt bekannt zu geben. Er erhielt dennoch rund zwei Prozent der Stimmen.
Etwas weniger deutlich fiel das Abstimmungsergebnis für Carola Rackete auf dem Listenplatz zwei aus. Die parteilose Aktivistin erhielt 77,8 Prozent der Stimmen. Vor dem Parteitag hatte sie mit einem Interview für Zeit Online für Aufsehen gesorgt. Darin sagte sie, den Namen der Partei könne man von ihr aus ändern und es würde der Partei helfen, „sich noch mal konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren und das wirklich aufzuarbeiten.“ Rackete nannte ihre Äußerungen später ungeschickt. Doch einigen Delegierte werden solche Aussagen nicht geschmeckt haben.
Jenseits des neuen Corporate Designs und der Personalfragen erhielten die inhaltlichen Beschlüsse weniger Aufmerksamkeit. Doch auch die Reformvorschläge reichen nicht gerade weit. So soll der Mindestlohn, geht es nach der Linkspartei, auf 15 Euro angehoben werden. Zudem soll es einen jährlichen Inflationsausgleich geben. Der Entwurf für das Europawahlprogramm hatte noch eine Erhöhung auf „mindestens 14 Euro“ gefordert. Dem Ortsverband Stuttgart-Bad Cannstatt reichte das nicht. Er begründete seinen Änderungsantrag mit der Abgrenzung von der politischen Konkurrenz: „14 Euro sind zu niedrig. Selbst die Jusos und die AFA in der SPD fordern inzwischen 15 Euro.“ Die sogenannte Arbeitsgemeinschaft für Arbeit in der SPD gilt als gewerkschaftsnaher Teil der Sozialdemokratie. Selbst die Grünen und die SPD fordern inzwischen einen gesetzlichen Mindestlohn von 14 Euro. Ob 14 oder 15 Euro: Eine große politische Vision sieht anders aus.
Ein Änderungsantrag, der die Überführung aller Energiekonzerne in öffentliches Eigentum gefordert hatte, wurde abgelehnt. So bleibt es bei dem laschen Ziel, nachhaltige Alternativen stärker zu fördern, „mit öffentlichem Geld, das dann auch zu öffentlichem Eigentum und Beteiligungen führt.“ Eine Partei, die sich wirklich mit den Konzernen anlegt, klingt anders. Auch eine grundlegende Kritik an der Europäischen Union findet sich im Wahlprogramm nicht.
Interne Diskussion zum Nahostkonflikt
Am späten Freitagabend, schon nach 23 Uhr, wurde dann auch über den sogenannten Nahost-Konflikt diskutiert. Eine zentrale Rolle schien der andauernde Genozid in Gaza auf der Tagesordnung demnach nicht zu spielen.
Im Vorfeld der Tagung wurden zwei Anträge gestellt: Einerseits von den pro-palästinensischen Parteimitgliedern, unter anderem Özlem Alev Demirel, andererseits von Israel-solidarischen Delegierten wie dem ehemaligen Berliner Kultursenator Klaus Lederer. Letztere fokussierten sich auf das israelische Leid, das die Hamas verursache. Lederer nannte den Angriff eine „Manifestation des eliminatorischen Antisemitismus“, er sei tagelang sprachlos gewesen. Er ging sogar so weit, die Taten der Hamas als „genozidale Gewaltorgie“ zu nennen. Das Leid der Palästinenser:innen, allen voran der dort lebenden Kindern, und den Genozid am palästinensischen Volk erwähnt er nicht. Demirel und weitere Redner:innen verurteilten hingegen die israelische Regierung und die fortwährende Militäroffensive in Gaza. Als der Delegierte Nick Papak Amoozegar über den Genozid – er meinte damit, im Gegensatz zu Lederer, das Morden an den Bewohner:innen Gazas – und den Apartheitsstaat sprach, wurde dieser laut ausgebuht.
Beide Anträge wurden am Freitag nach einem dritten Vorschlag, einem „Kompromiss“, und einem Mehrheitsbeschluss zurückgezogen. Dieser Kompromiss beinhaltet eine Zweistaatenlösung für Israel und Gaza und betont das Existenzrecht Israels. Auch dies zeigt auf, dass DIE LINKE sich nicht grundsätzlich dem deutschen Imperialismus und den Interessen der herrschenden Klasse entgegenstellt.
500 neue „linksradikale“ Mitglieder
Gestern, nur einen Tag nach dem Bundesparteitag, kündigte das Bündnis „Wir, Jetzt, Hier“ einen Eintritt in DIE LINKE ein: rund 500 neue Mitglieder auf einen Schlag. Diese bestehen aus Antifa- und Klima-Aktivist:innen sowie Aktive in den Initiativen für Seenotrettung, in der Kampagne für die Enteignung von Immobilienkonzernen in Berlin sowie in der Geflüchtetensolidarität. Wer sich fragt, welche Gründe und Motivationen dahinterstehen, wird nur über Ecken fündig. Denn eigentlich beschreibt sich das Bündnis selbst als „Linke aus verschiedenen Teilen der Zivilgesellschaft, die sich der parlamentarischen Politik nie verbunden gefühlt haben“. Und weiter: „Wir wollten nie Mitglieder einer Partei werden, doch die politische Lage zwingt uns dazu“. Der plötzliche Umschwung sei mit dem aktuellen Rechtsruck und der Zersplitterung der Linken zu begründen.
Eine mögliche, weitaus profanere Motivation für das Engagement in der Partei lässt sich derweil schon aus der Einleitung des Statements erahnen. Dort wird neben der möglichen Verbannung der Partei aus dem Parlament auch die Gefahr benannt, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung „einen Großteil ihrer Gelder zur Förderung von politischer Bildung und Kultur“ verlieren könnte. Für Teile der außerparlamentarischen Linken, die mittelbar von der Finanzierung durch die Stiftung profitieren, ist das tatsächlich ein manifestes Problem.
Insgesamt schlussfolgert das Bündnis eine Notwendigkeit, zu handeln. Man wolle aktiv und radikal in der Partei DIE LINKE mitgestalten – eine Illusion, insbesondere im Bundestag. Bezüglich der Situation in Gaza müsse man „außenpolitischen Unstimmigkeiten eben mal kurz aushalten“. So beschreibt es die Initiative Interview mit dem parteinahen Medium nd. Inwiefern dies der humanitären Katastrophe und dem Genozid in Gaza helfen soll, trotz der „aktiven und radikalen“ Mitgestaltung, bleibt dort komplett offen. Im Interview heißt es zudem, man sei keine kohärente, geschlossene Struktur, die Disziplin einfordert. Klar ist jetzt schon: Die neuen Mitglieder ordnen sich augenblicklich dem vorherrschenden Diskurs in der Partei unter, nehmen Widersprüche hin und bereiten sich damit auf eine Politik vor, die den Kapitalismus mitverwalten will.
Und wie geht es weiter mit der Partei DIE LINKE?
Wieder einmal zeigt die Partei DIE LINKE, dass noch so viele vermeintlich arbeiter:innen-freundliche Reformvorschläge nichts daran ändern, dass ihre einzige Perspektive darin besteht, den Kapitalismus mitzuverwalten. Eine wirksame Opposition gegen den Rechtsruck der Regierung kann sie so nicht sein. Daran ändern auch 500 neue Mitglieder aus der radikalen Linken nichts. Ob sich die vermeintliche Erneuerung zumindest in der Gunst der Wähler:innen niederschlagen wird, ist offen. Aktuelle Umfragen sehen die Partei weiterhin bei etwa 4 Prozent.
Auch nach dem Parteitag gilt, was unser Genosse Lennart Schlüter vor einigen Wochen auf einer Podiumsdiskussion über die Aufgaben der revolutionären Linken formuliert hat: „DIE LINKE hat sich als morsch erwiesen“. Ihre Perspektiven, auch für die Arbeiter:innen Deutschlands, ordnen sich völlig dem Parlamentarismus unter. Ein Einzug in den Bundestag nach dem Austritt von Sahra Wagenknechts und Co. wird immer unwahrscheinlicher.
In einer Welt, in der sich Kriege, Wirtschaftskrisen und potenziell auch Revolutionen häufen, braucht es eine ganz andere politische Perspektive. Der linke Reformismus könne die Möglichkeiten in den Krisen und Kriegen nicht sehen, so Lennart Schlüter weiter. Doch diese Möglichkeiten gibt es. Wir können und wollen kein Vertrauen in gescheiterte Parteien wie DIE LINKE setzen. Um eine echte Opposition zur Ampel und zum Aufstieg der Rechten aufzubauen, brauchen wir eine revolutionäre Alternative, die ihren Schwerpunkt nicht in den Parlamenten hat, sondern um Klassenkampf.