Die Linke debattiert: Wieviel Rassismus soll in einer linken Partei erlaubt sein?

01.08.2016, Lesezeit 6 Min.
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Das größte Theater des Sommerlochs fing mit einer Pressemitteilung an: Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, schrieb nach dem Anschlag in Ansbach, dass die Zahl der Geflüchteten in Deutschland zu Unsicherheit führe. Das ist nichts überraschendes, denn Wagenknecht plädierte schon vorher für Abschiebungen von Menschen, die ihr „Gastrecht verwirkt“ hätten.

Genauso wenig überraschend war ihre sogenannte „Richtigstellung“ am nächsten Tag. Sie behauptet einfach, missverstanden worden zu sein. Das ist typisch für chauvinistische Demagog*innen: Zuerst kommt eine zutiefst menschenfeindliche Parole und darauf folgt dann die Versicherung, man sei falsch zitiert worden oder schlicht auf der Maus ausgerutscht.

Wagenknechts Äußerungen müssen von allen Internationalist*innen aufs Schärfste zurückgewiesen werden.

Doch hier wurde das Theater erst wirklich absurd: Es gibt nun zwar auch eine Online-Petition mit dem Titel „Sahra, es reicht“ – die schärfste Kritik an ihren Aussagen kam jedoch vor allem vom rechten Flügel der Linkspartei, von Politiker*innen wie Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, und Benjamin Immanuel-Hoff, seinem Kultusminister. Sie werfen Wagenknecht (völlig zu Recht) Nationalismus vor.

Dabei ist es die Regierung von Ramelow und Immanuel-Hoff, die Menschen abschiebt – genauer gesagt: Sie zerrt Familien mitten in der Nacht aus ihren Häusern und zwingt sie in ein Flugzeug, nur weil sie nicht die richtigen Papiere besitzen. Wie soll man das bezeichnen, wenn nicht als staatlichen Rassismus unter der Ägide der Linkspartei? Ihre Kritik an Wagenknecht ist pure Heuchelei. Stattdessen müsste man sagen: „Sahra und Bodo und Dietmar und ganz viele anderen: Es reicht!“

Claudia Roth von den Grünen warf Wagenknecht den „Verrat linker Prinzipien vor“. Der Vorwurf ist zweifelsohne richtig. Doch von welcher Seite kommt er? Roth trägt die Verantwortung für Hartz IV, den Afghanistankrieg und auch die Verschärfung des Asylrechts. Gibt es ein einziges linkes Prinzip, das sie nicht verraten hat? Diese ganzen Heuchler*innen unterstützen rassistische Politik, solange zu offensichtlich rassistische Parolen vermieden werden.

Doch die Absurdität fand kein Ende: Viele Menschen in der Linkspartei, die sich selbst am linken Rand der Partei verorten oder sich als revolutionäre Sozialist*innen verstehen, haben Wagenknecht gegen die Kritik verteidigt. Das ist der Fall bei Sevim Dagdelen oder den Nachdenkseiten. Spekuliert wird um eine Verschwörung gegen Wagenknecht, seitens der Menschen, die am stärksten eine rot-rot-grüne Bundesregierung befürworten.

In der Linkspartei ist die Befürwortung von „R2G“ jedoch absoluter Konsens. Der „rechte“ Flügel will durch eine möglichst theatralische Anbiederung an SPD und Grüne in die Bundesregierung kommen. Der „linke“ Flügel will sich möglichst oppositionell geben, um viele Stimmen zu bekommen und dann in die Regierung zu kommen. Wagenknecht spielt auch gern die Oppositionelle – gemischt mit rassistischen Ressentiments –, aber lässt keinen Zweifel dran, dass sie lieber heute als morgen Ministerin in einem bürgerlichen Kabinett werden will.

Wir haben uns gefragt, wie viele Mitglieder der Linkspartei für den Ausschluss Sahra Wagenknechts wegen ihrer wiederholt rassistischen Äußerungen eintreten würden?

Wir bekamen nicht viel Zuspruch, aber viele Kommentare, die in zwei Kategorien passen. Erstens von linken Menschen, die Wagenknecht verteidigen, weil jede Kritik an ihr nur den rechten Flügel der Linkspartei stärken würde. Zweitens von Rassist*innen, die Wagenknecht verteidigen, weil sie sonst den „Volkstod“ fürchten. Das sollte den linken Wagenknecht-Fans wirklich zu denken geben. Sie ist eine sehr begabte Politikerin und weiß genau, um wessen Unterstützung sie mit solchen Aussagen wirbt.

So weit wir wissen, haben keine linken Kräften in der Linkspartei gefordert, dass rassistische Hetze irgendwelche Konsequenzen haben sollte. Sie beschworen stattdessen die „Meinungsfreiheit“ und den „Pluralismus“. In der Praxis bedeutet das: Auch wenn das Programm der Linkspartei vorschreibt, dass man gegen alle Kriegseinsätze der Bundeswehr ist, können Abgeordnete sich bei bestimmten Kriegseinsätzen enthalten oder sogar dafür stimmen. Denn linke Prinzipien sind offenbar weniger Wert als “Pluralismus“.

Marx21 nennt Wagenknecht und Ramelow Weichspüler(*innen), die das eigentliche Programm der Linkspartei verwässern würden. Erstaunlicherweise behaupten sie, Bodo Ramelow hätte „es stets abgelehnt irgendwelche Abstriche beim antirassistischen Profil der LINKEN zu machen.“ Kann jemand die Menschen, die von Ramelow abgeschoben worden, darüber informieren? Denn die Linkspartei stand immer für Regierungsbeteiligung und die daraus folgenden „Sachzwänge“… wie Abschiebungen und Privatisierungen. Wenn das Profil der Linkspartei tatsächlich so klar antirassistisch wäre, wäre es nicht selbstverständlich, den Ausschluss oder mindestens die Abwahl von diesen prominenten Rassist*innen zu fordern? Von Marx21 hören wir nichts dergleichen.

Jemand hat gefragt: Wenn Wagenknecht und Lafontaine wegen ihres Chauvinismus ausgeschlossen werden, sollten nicht auch Ramelow und Immanuel-Hoff wegen ihrer Regierungsbeteiligung rausfliegen? Und dann nicht auch der gesamte Berliner Landesverband wegen jahrelanger Privatisierungspolitik? Und der Brandenburger wegen seine Unterstützung für Braunkohle? Irgendwann fragt man sich: Bleibt etwas von der Linkspartei übrig? In der Tat sind es nur ganz kleine Teile dieser Partei, die eine im Ansatz internationalistische und antikapitalistische Perspektive vertreten.

Diesen Teilen sagen wir: Ja, man muss den Ausschluss von allen Chauvinist*innen fordern. Denn die verschiedenen Fraktionen der Regierungssozialist*innen – sowohl Wagenknecht wie Ramelow als auch Riexinger – können unserer Klasse nichts bieten als eine „linke“ Regierung, die „links“ privatisiert und „links“ abschiebt. Wir brauchen eine Linke, die internationalistisch, klassenkämpferisch und kompromisslos antirassistisch ist. Wir brauchen keine Dauerbündnisse mit sozialdemokratischen Karrierepolitker*innen im Namen der „Einheit der Linken“. Nein, wir brauchen eine Einheit der Revolutionär*innen, die konsequent gegen dieses System kämpfen wollen. Und wir müssen auf der Straße für offene Grenzen und gegen den rechten Terror kämpfen, wie es Geflüchtete und Jugendlichen in den letzten Jahren immer wieder getan haben.

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