Die „Kurskorrektur“ der Berliner Wohnungspolitik: Zwangsräumungen gehen weiter, aber mit „Bedauern“

30.12.2016, Lesezeit 5 Min.
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Für die erste Zwangsräumung unter Rot-Rot-Grün in Berlin hatte der Bausenat nur „Bedauern“ übrig. So offenbarte die neue Regierung nur zwölf Tage nach ihrem Amtsantritt, was sie von ihren Versprechungen in der Wohnungspolitik hält: nichts.

Foto: Peter Homann (Quelle: Umbruch Bildarchiv)

Zwölf Tage – so lange dauerte es, bis der neue rot-rot-grüne Senat in Berlin seine vollmundigen Ankündigungen für eine Kehrtwende in der Wohnungspolitik in der Luft zerriss. Der von der Linkspartei-Politikerin Katrin Lompscher geführte Bausenat kommentierte zynisch zur ersten Zwangsräumung unter „R2G“, es sei zwar „bedauerlich“, doch die „Rechtslage lässt keine andere Lösung zu“.

So wurden nach zwölf Tagen nicht nur die Erwartungen hunderttausender Mieter*innen und dutzender Verbände auf einen Schlag wertlos; es wurde auch ein 31 Jahre lang aufgebautes Leben zerstört. Vier Tage vor Weihnachten wurde Tom, Bewohner einer Mietswohnung in der Skalitzer Straße 64 in Kreuzberg, wohnungslos.

Ein Großaufgebot der Polizei räumte ihn am 20. Dezember aus seiner Wohnung, die er 31 Jahre lang bewohnt hatte. Der erste Räumungsversuch Mitte November scheiterte nur aufgrund des massiven Widerstands solidarischer Unterstützer*innen. Am vergangenen Dienstag reichte das aber nicht. Obwohl bis zu 200 Menschen sich der Zwangsräumung entgegenstellten, kamen sie gegen mehr als 40 Polizeiwannen nicht an, die angerückt waren, um Tom aus seiner Wohnung zu werfen.

Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ erklärte in einer Pressemitteilung:
„Heute sperrte die Polizei die Skalitzer Straße vom Schlesischen Tor bis zum Kottbuser Tor über mehrere Kilometer ab. Im ganzen Wrangelkiez standen Polizeifahrzeuge auf Kreuzungen, Polizeihunde wurden bereitgehalten. Die Skalitzerstraße vor dem Haus und die Oppelenerstraße waren mit Hamburger Gittern abgesperrt, dahinter dutzende Polizeiwannen abgestellt. Der Wrangelkiez glich einer Polizeifestung.“

Polizei und Gerichtsvollzieherin setzten mit massiver Repression das Interesse eines Wohnungsspekulanten durch, wie das Bündnis weiter erklärte: „Vor einem Jahr wechselte der Vermieter und versuchte sofort Tom zwangsräumen zu lassen. Der Vermieter hat dutzende weitere Häuser in Berlin und hat sich mit seinen Profiten eine Riesenvilla in Ibiza bauen lassen.“

Der Politologe Raul Zelik, der Mitglied im Parteivorstand der Linkspartei ist, kommentierte – auch angesichts der Forderungen nach mehr Polizei nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz: „Deutschland, einschließlich meiner Partei, ruft ja jetzt mal wieder nach mehr Polizei. Da möchte ich doch dran erinnern, dass im Morgengrauen nach dem Anschlag in Berlin 300 Cops ein ganzes Viertel in unserer Stadt abgesperrt haben, um eine (!) Wohnung zu räumen – weil der Mieter nach einem Eigentümerwechsel die Miete irrtümlich auf das falsche Konto überwiesen hat. Eure weihnachtliche Sehnsucht nach Harmonie in allen Ehren, aber der Staat bleibt nun mal eine Herrschaftseinrichtung des Kapitals.“

R2G und Holm werden weiterhin zwangsräumen

Im Klartext: Der neue rot-rot-grüne Senat – mit dem unter Beschuss stehenden neuen Staatssekretär Andrej Holm oder ohne –, verhindert legalisierte Zwangsräumungen nicht. Seine Politik ist ein „Weiter so“. Wenn Spekulant*innen entmieten wollen, wird weiterhin die Polizei ihr Interesse durchsetzen. Der Senat „bedauert“ das dann – und die ehemaligen Mieter*innen werden weiterhin obdachlos. Tom hat das Glück, dass er dank solidarischen Unterstützer*innen erst einmal ein paar Monate in einem Hausprojekt unterkommen kann. Für die allermeisten der durchschnittlich 22 Mieter*innen, die zwangsweise pro Tag in Berlin aus ihren Wohnungen geworfen werden, gibt es diese Option leider nicht.

Deshalb ist es richtig, sich weiterhin Zwangsräumungen entschlossen entgegenzustellen. Die Hoffnung, dass eine Linkspartei-geführte Wohnungspolitik oder Andrej Holm als Staatssekretär etwas grundsätzlich daran ändern werden, hat sich schon weniger als zwei Wochen nach Beginn ihres Mandats in Luft aufgelöst.

Das Bündnis „Wir bleiben alle“ und viele andere Initiativen scheinen leider dennoch daran zu glauben. Der Aufruf zur Verhinderung der Zwangsräumung ist nicht nur mit dem Hashtag #tombleibt überschrieben, sondern auch mit dem Hashtag #holmbleibt. Doch das vorläufige Bleiben von Andrej Holm hat die Zwangsräumung von Tom nicht verhindert. Und der „bedauernde“ Standpunkt des Bausenats lässt darauf schließen, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird.

Es ist zwar absolut richtig, sich der antikommunistischen Propaganda entgegenzustellen, die Holm aufgrund seiner Stasi-Vergangenheit entgegenschlägt. Und verschiedenste stadtpolitische Initiativen analysieren auch richtigerweise in einem offen Brief: „Wir sehen deshalb die Angriffe auf Andrej Holm als Versuch, eine anstehende Kurskorrektur durch das Diskreditieren des Personals zu erschweren.“

Aber es ist genauso illusorisch zu glauben, dass Holm gegen die Interessen der Berliner Baumafia agieren wird. Eine „Kurskorrektur“ in der Berliner Wohnungspolitik wird nicht vom rot-rot-grünen Senat kommen, sondern nur von einer starken, von der Regierung unabhängigen Mieter*innenbewegung in Verbindung mit kämpferischen Sektoren der Arbeiter*innen und der Jugend, die ein Programm der Enteignung der großen Immobilienbesitzer*innen durchsetzen.

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