Die Juni-Tage in der Charité
// Nach elf Streiktagen kam zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Vorstand des größten Universitätsklinikums Europas ein sogenanntes Eckpunktepapier heraus. Was sind dessen Ergebnisse und welche Bilanz kann gezogen werden? //
Kaum ein Streik der letzten Monate erfuhr wohl so viel Unterstützung aus der Bevölkerung wie der Streik der Krankenhausbeschäftigten an der Charité in Berlin. Ein überwältigender Teil der BewohnerInnen Berlins und der PatientInnen stellte sich hinter diesen Streik und unterstützte die Forderungen der Streikenden. Ziel waren Neueinstellungen, welche die bisherigen KollegInnen entlasten sollten. Denn diese sind aufgrund von Personalmangel, der infolge der Kürzungspolitik des Berliner Senats in den letzten Jahren (auch mit maßgeblicher Hilfe der Linkspartei) herrscht, überfordert und waren quasi auch zum Wohle der PatientInnen „genötigt“, in den Streik zu treten. Die Tatsache, dass nacheinander erst das Arbeitsgericht und sodann das Landesarbeitsgericht Versuche des Vorstandes zurückwiesen, den Streik zu verbieten, zeigt auf, wie legitim und überfällig ein solcher Streik war.
Ähnlich wie beim Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) oder beim Streik im Sozial- und Erziehungsdienst handelte es sich hier um einen Streik in der öffentlichen Daseinsvorsorge. Schließlich müssen die Charité-Beschäftigten die kranken Menschen pflegen und die meisten tun dies aus Überzeugung an der Sache, weshalb ein Beschluss zum Arbeitskampf umso schwerer fiel. Doch die Streikenden hatten von Beginn an klar gemacht, dass dies nicht ein Streik sei, der auf dem Rücken der PatientInnen auszutragen sei, sondern vielmehr ein Ausstand für eine bessere Pflege in Zukunft. Der Streik richtete sich gegen den profitgierigen Vorstand und war ebenso ein Kampf für die gesamte Gesellschaft sowie die Gesundheit der überlasteten KollegInnen und kranken PatientInnen. Vor diesem Hintergrund war das Motto des Streikes passend gewählt: Mehr von uns ist besser für alle.
Spiegelbilder der Gesellschaft
Es spricht für die zunehmende Prekarisierung in Deutschland, wenn innerhalb eines halben Jahres nacheinander LehrerInnen, ErzieherInnen und sodann KrankenpflegerInnen in den Streik treten. In Erinnerung geblieben sind auch die Streiks der GDL und der Deutschen Post AG, die ebenfalls in den ersten Monaten des Jahres 2015 stattfanden. Nimmt man die ersten drei genannten Gruppen, so handelt es sich jeweils um Berufsfelder, die direkt einen zwischenmenschlichen Bezug haben: mit SchülerInnen, kleinen Kindern und PatientInnen. Sie alle hatten ähnliche Gründe, warum sie in den Streik traten: für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, mehr Geld und soziale Aufwertung sowie mehr Personal. Dabei ist besonders der Streik bei der Charité historisch, da dieser sich für Neueinstellungen einsetzte, also für potentielle KollegInnen, die zum Beispiel jetzt in der Ausbildung sind.
Doch nicht nur das, denn es war auch ein politischer Streik, der darauf aufmerksam machte, dass nach Schätzungen von ver.di bundesweit etwa 162.000 Stellen (!) in diesem Sektor fehlen. Daher passt es auch, dass während der elf Streiktage eine Streik-Uni vom Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus veranstaltet wurde, wo beispielweise über die Notwendigkeit eines Generalstreiks diskutiert wurde. Ein Erfolg des Streikes war sicherlich, dass viele KollegInnen nicht nur Erfahrungen im Arbeitskampf machten, sondern auch politisiert wurden.
Doch der Streik war auch deswegen besonders, weil in täglichen Streikversammlungen über den weiteren Verlauf des Streiks diskutiert wurde. Es ist immer wieder wichtig zu betonen, dass die Leitung des Streiks in den Händen der Streikenden selbst liegen muss. Schließlich sind sie es, die aufgrund ihrer Arbeit tagtäglich mit den PatientInnen zu tun haben und den Betrieb von innen her am besten kennen. Ein solche Strategie des Streiks mitsamt einer Streikdemokratie von den Beschäftigten für die Beschäftigten hat von vornherein die besten Chancen auf Erfolg. Die Erfahrungen während des Charité-Streiks sind gute Schritte in diese Richtung.
Der Streik hatte von Anfang an eine große Dynamik: Rund 20 von 26 Stationen waren komplett geschlossen; jeder Streiktag kostete den Vorstand des größten Uniklinikums Europas etwa eine halbe Million Euro. Nach Angaben der Betriebsgruppe hieß es gar, die Einbußen seien doppelt so hoch. Obzwar selbst aus der Politik seitens der Linkspartei und sogar des Berliner Gesundheitssenators Mario Czaja (CDU) Verständnis aufkam, wurde der Streik für eine „Verhandlungsphase“ nach einem „Eckpunktepapier“, der als Basis für einen Tarifvertrag dienen soll, ausgesetzt. War das die richtige Entscheidung? Und was beinhaltet diese Grundlage?
Es geht um die Zukunft!
Eines ist klar: Es kann nicht so weitergehen wie bisher! Deshalb ist es ein Schritt in die richtige Richtung, dass folgende Quoten festgelegt wurden: In den Intensivbereichen sollen in allen Schichten maximal zwei PatientInnen von einer Pflegekraft betreut werden, für die Überwachungsbereiche beträgt die Quote 1:3, für die stationäre Pflege in der Kinderklinik beträgt die Quote in den Früh- und Spätdiensten durchschnittlich 1:6,5. Weiterhin ist interessant, dass ein etwaiger – dringend benötigter! – Personalaufbau nicht hintergangen werden kann, indem hinterrücks Personal abgebaut wird. Ferner sollen befristete Arbeitsverträge im Pflege- und Funktionsdienst entfristet werden, wenn dem nicht persönliche oder sachliche Gründe entgegenstehen. Man sieht also, dass konkrete Forderungen nun zumindest zur Diskussion stehen und man kann nur hoffen, dass der Grundsatz „Das Personal folgt den PatientInnen“ auch konsequent umgesetzt wird.
Dieser Grundsatz soll sicherstellen, dass nicht das Budget des Klinikums, sondern die Bedürfnisse der PatientInnen im Mittelpunkt stehen. Ein Grundsatz, der neben einer kostenlosen gesundheitlichen Versorgung für alle, selbstverständlich sein sollte. In dieser Hinsicht bleibt also noch viel zu tun. Eines jedoch sollte dem Vorstandsvorsitzenden der Charité, Prof. Karl Max Einhäupl, hinter die Ohren geschrieben werden: Sollten die Forderungen nichts durchgesetzt werden, muss ein Streik jederzeit wieder möglich sein.
Die KollegInnen an der Charité dürfen sich nicht durch halbgare Vereinbarungen übers Ohr hauen lassen; es sei daran erinnert, dass der Charité-Vorstand in den Streiks der vergangenen Jahre – gemeinsam mit der ver.di-Führung – immer wieder faule Kompromisse gegen die Beschäftigten durchgesetzt hat. Sie müssen wachsam sein, wie die Tarifverhandlungen weitergehen, damit ihre Forderung nach mehr Personal bis zum Schluss durchgesetzt und ihr Streik ein Signal für weitere im Gesundheitssystem und in der öffentlichen Daseinsvorsorge insgesamt werden kann.