Die Harten vom Garten
Zweiter Warnstreik der Beschäftigten des Botanischen Gartens in Berlin gegen Dumpinglöhne. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ist die Forderung der Kolleg*innen.
„Wir hängen in der Luft“ sagt Carolin Zoellner über ihre aktuelle Arbeitssituation. Seit neun Jahren arbeitet sie als Reinigungskraft im Berliner Botanischen Garten. 30.000 Quadratmeter müssen von nur sechs Frauen geputzt werden. Zoellners Arbeitsvertrag ist unbefristet. Doch zum Ende des Monats löst die „Betriebsgesellschaft für die Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum“ (BG BGBM) den Bereich Reinigung auf. Diese Arbeit soll mittels Werkvertrag an eine Fremdfirma vergeben werden. Zoellner hat die Anweisung, ihre Arbeitsmittel am 31. März abzugeben. Was sie am folgenden Tag machen wird? „Wir bekommen keine ehrlichen Antworten“, sagt die Arbeiterin.
Am Freitag vormittag ist Zoellner zusammen mit 20 Kolleg*innen in den Warnstreik getreten. Die Kassen blieben besetzt, weshalb es entgegen mancher Erwartungen keinen freien Eintritt gab. Aber die Geschäftsführer*innen mussten selbst mit anpacken, um die Gebäude zu öffnen. „Das zeigt, wie dünn die Personaldecke ist“, sagte ein Arbeiter. „Sie haben keinen Puffer.“
Zum Ausstand aufgerufen waren die Mitarbeiter*innen der BG BGBM. Die ist eine Tochterfirma der Freien Universität Berlin (FU), zu der der Garten gehört. Die Löhne liegen hier um bis zu 42 Prozent unter Tarifniveau. Im gleichen Blumenbeet sind manche Gärtner*innen noch Angestellte der FU und werden nach dem Tarifvertrag für Landesbeschäftigte (TV-L) bezahlt, andere bekommen nur Niedriglöhne. Ein*e Techniker*in bei der BG BGBM zum Beispiel verdient so fünf Euro weniger pro Stunde.
Die Betriebsgesellschaft hatte zuletzt angeboten, die Löhne bis 2019 auf 75 Prozent des TV-L-Niveaus anzuheben. „Das ist doch kein Angebot“, findet ver.di-Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt. Viele direkt bei der FU Beschäftigte drückten den Kolleg*innen am Freitag ihre Solidarität aus. „Viel Erfolg“ sagten sie an den Streikposten. Bald könnten sie auch zu Solidaritätsstreiks aufgerufen werden.
Eine Reinigungskraft in der BG BGBM verdient aktuell 8,77 Euro pro Stunde, obwohl der allgemeinverbindliche Mindestlohn für die Branche bei 9,80 Euro liegt. Außerdem müssen die Frauen Wochenenddienste schieben. „An zwölf Tagen hintereinander müssen wir um vier Uhr aufstehen“, sagt eine Kollegin von Zoellner.
Wie sind diese Löhne unter Mindestlohn möglich? Der Trick: Die Betriebsgesellschaft beschäftigt keine „Reinigungskräfte“, sondern einen „Reinigungsservice“. Deswegen wäre eine Fremdfirma, die die Arbeit per Werkvertrag erledigt, sogar erheblich teurer als die Weiterbeschäftigung der Frauen. Es geht hier aber nicht in erster Linie um Kostenersparnisse: Zoellner ist auch Betriebsrätin. Zu den 31 Beschäftigten, die von betriebsbedingten Kündigungen bedroht sind, gehören die meisten Mitglieder des Betriebsrats.
Die BG BGBM hat rund 70 Beschäftigte – und leistet sich vier Geschäftsführer. Ein guter Betreuungsschlüssel, könnte man meinen. Doch „Betreuung bei uns bedeutet nur Druck“, sagte Lukas S., Vorsitzender des Betriebsrats, auf der Kundgebung. Die Reinigerinnen erfahren nicht, was mit ihnen passiert, werden aber ständig zu Personalgesprächen aufgefordert. „Wir sind mit den Nerven am Ende“, sagt Carolin Zoellner.
Aufgeben will hier jedoch niemand. Die Streikenden zogen zusammen mit Unterstützer*innen durch den Stadtteil Steglitz – allerdings auf den Bürger*innensteigen. Die Situation im Garten ist im öffentlichen Dienst der Hauptstadt keine Besonderheit. Auf der Kundgebung sprach auch eine Therapeutin, die in einem Krankenhaus des stadteigenen Vivantes-Konzerns arbeitet: Dort werde ebenfalls prekäre Beschäftigung mittels Ausgründung von Tochtergesellschaften ermöglicht. Auch Busfahrer*innen der BVG (von der Gruppe ver.di aktiv) und solidarische Studierende (von der Revolutionär-kommunistischen Jugend) nahmen an dem Protest teil. „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen!“ rief der Jura-Student Bastian Schmidt ins Mikrofon. Arash Dosthossein, ein Geflüchteter aus dem Iran, sprach von der Notwendigkeit, dass Lohnabhängige mit und Menschen ohne Papiere gemeinsam kämpfen.
Laut Berechnungen von ver.di würde die Übernahme des TV-L für alle Beschäftigten im Garten 1,3 Millionen Euro jährlich kosten. Das seien für Berlin „Peanuts“. Ein Erfolg dieser kleinen Belegschaft könnte Signalwirkung für viele prekär Beschäftigte in der Hauptstadt haben. Auch deshalb wollen Zoellner und ihre Kolleg*innen weitermachen. „Wir sind die Harten vom Garten“, rufen sie.