Die „Gefährderin“ sitzt im Ministerium: Über Rechtsextremismus in der Bundeswehr, AKK und antimilitaristische Strategie

22.07.2019, Lesezeit 9 Min.
Gastbeitrag

In den vergangenen Tagen sind weitere Informationen über Vorfälle öffentlich geworden, die einmal mehr zeigen, dass Rechte sich in der Bundeswehr frei entfalten können und nur wenig zu fürchten haben. Wie gehen wir mit diesen Erkenntnissen um und welche Strategien gibt es gegen die Interventionen der Bundeswehr in die verschiedenen Bereiche des Lebens?

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Vergangenen November habe ich bereits einen Artikel über die Bundeswehr und ihren unsäglichen, bis heute währenden Charakter des Dritten Reiches in den eigenen Strukturen geschrieben. Es war der Versuch, eine Kontinuität von der Ära Adenauer, die sich zum Zwecke der Wiederbewaffnung unter anderem mit ehemaligen Wehrmachtsgenerälen gemein machte, bis heute zu skizzieren und somit aufzuzeigen, dass der Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr keine Neuerscheinung ist, sondern von Beginn an Teil von ihr war. Damals standen insbesondere die jüngsten Erkenntnisse um den mutmaßlichen rechtsterroristischen Bundeswehrsoldaten Franco A. und seiner Unterstützer*innen im Mittelpunkt. Geschlossen habe ich den erwähnten Artikel mit folgenden Worten: „Der Fall rund um Franco A. stellt daher nur den aktuellen Höhepunkt dar. Dass es angesichts der Normalisierung positiver Äußerungen über die Wehrmacht und die Zeit des Nationalsozialismus im Allgemeinen aus den Reihen der AfD und die stetigen Verstrickungen von Personen aus dem Umfeld der Bundeswehr mit rechten Organisationen und Formierungen noch weitere Vorfälle geben wird, steht eigentlich jetzt schon fest.“ Neue Informationen wurden jüngst veröffentlicht.

„Erhebliche Versäumnisse“

Ein Ständig Bevollmächtigter des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags kam vor kurzem zu dem Ergebnis, dass innerhalb der Bundeswehr erhebliche Versäumnisse im Umgang mit Rechtsextremist*innen vorliegen. Demnach seien Informationen über Soldat*innen, welche aufgrund extrem rechter Einstellungen suspendiert wurden, nicht konsequent an den Militärischen Abschirmdienst (MAD), den abwehrenden Militärnachrichtendienst des Bundesministeriums der Verteidigung, weitergegeben worden. Ebenso wenig wurden Informationen, die zwar an den MAD übergeben wurden, anschließend nicht an den Verfassungsschutz weitergereicht. An vielen Stellen wird nun der Versuch unternommen, diese Situation als Lappalie abzutun, schließlich müsse erst einmal festgestellt werden, was Rechtsextremismus sei, dass es sich oftmals nur um Verdachtsfälle handle und es vielmehr der Linksextremismus sei, der im Auge zu behalten sei. Doch welche Konsequenzen und Folgen aus diesen verharmlosend als „Versäumnisse“ bezeichnenden Fällen entstehen können, ist längst bekannt.

Wir erinnern uns an den MAD-Oberstleutnant Peter W., der 2017 KSK-Soldat*innen vor möglichen Razzien gewarnt hat, die in Zusammenhang mit Franco A. standen. Wir erinnern uns darüber hinaus daran, dass eine Professorin Franco A. als völkisch und rechtsradikal einstufte, dies seinen vorgesetzten Offizieren weiterleitete, diese aber keinen Grund sahen, den MAD zu informieren. Auch ist natürlich längst bekannt, welche Rolle der Verfassungsschutz in Bezug auf die Blutspur, die der rechtsterroristische NSU jahrelang durch ganz Deutschland zog, mit Vertuschung, Vernichtung von Beweismaterial und Unterstützung von V-Personen einnimmt. Dass nun erneut Informationen und Zahlen auftauchen, die den laxen Umgang mit rechten „Einzelpersonen“ und Strukturen darlegen, verwundert nicht mehr, zeigt aber erneut in aller Deutlichkeit auf, welche Prioritäten die Bundeswehr setzt und wem sie dient.

Keine gewöhnliche Arbeitgeberin

Die Bundeswehr ist nämlich keine gewöhnliche Arbeitgeberin, die lediglich auf Familienfreundlichkeit und Ausbildungsmöglichkeiten etwa in Form eines Studiums setzt. Die Bundeswehr wurde 1955 gegründet, um wirtschaftliche und imperialistische Interessen zu verfolgen, die 1999, im Zuge des Krieges gegen Jugoslawien, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg auch wieder außerhalb Deutschlands umzusetzen versucht wurden. Seither ist es wieder normal, dass deutsche Truppen weltweit an Einsätzen beteiligt sind, etwa in Afghanistan, im Libanon, im Irak, in Mali, im Sudan und vielen weiteren Ländern. Aktuell gibt es zwei Beispiele, die diese „Normalität“ weiter verstärken und verschärfen. Zum einen herrscht im Bundestag momentan eine Debatte darüber, ob sich deutsche Soldat*innen, auf Wunsch der USA, am Einsatz gegen den IS in Syrien beteiligen sollen. Dabei soll es nicht nur um Ausbildung und Logistik gehen, sondern, wie der US-Sonderbeauftrage James Jeffrey sagte, auch um den aktiven Kampf. Zum anderen wurde vor wenigen Tagen davon berichtet, dass Deutschland in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 Rüstungsgüter im Wert von rund 180 Millionen Euro an die Türkei verkauft hat. Durch den Einsatz von Truppen der Bundeswehr werden demnach einerseits imperialistische Interessen bedient, welche sich durch Millionendeals der Rüstungskonzerne andererseits wirtschaftlich zeigen.

Bundeswehrkampagnen abwehren, eine antimilitaristische Strategie entwickeln

Trotz der unaufgearbeiteten Geschichte, der Verstrickungen in rechte Terrornetzwerke wie Uniter, sowie deren Unterstützung durch Geheimhaltung und Vertuschung von Informationen und weltweiten Kriegseinsätzen versucht die Bundeswehr insbesondere seit der Aussetzung der Wehrpflicht Jugendliche und junge Erwachsene verstärkt mit teils widerwärtigen Kampagnen zu gewinnen. (Nebenbei: Der Begriff Aussetzung spielt eine wesentliche Rolle. Die Wehrpflicht wurde nämlich nicht abgeschafft, wie oftmals behauptet. Die Wehrpflicht bleibt somit im Grundgesetz verankert und kann mit einfacher Mehrheit des Bundestages wieder eingeführt werden.) Es wurden YouTube-Serien wie „Die Rekruten“, „Biwak“ und „Die Springer“ produziert, die abgesehen vom Militarismus vor Sexismus und machistischem Gehabe triefen und damit ein völlig falsches Gesellschaftsbild vermitteln. Es wurden Postkarten verschickt, auf welchen eine Uniform zu sehen ist, die mit dem Namen des*der jeweiligen Adressat*in und potenziellen Anwerber*in versehen war. Die Bundeswehr veranstaltet jährlich mehrere Tage der offenen Tür, tritt auf Jobmessen auf und kommt sogar an Schulen, um für sich zu werben.

Doch einer Gesellschaft, in der Rechtsextremismus bagatellisiert, vertuscht und unterstützt wird, in der imperialistische und kapitalistische Interessen an erster Stelle stehen, die Kriege zum Normalzustand macht und damit verantwortlich ist für Flucht und Vertreibung, müssen wir als Revolutionär*innen eine andere gegenüberstellen, wofür eine konsequent antimilitaristische Strategie und eine theoretische Grundlage unverzichtbar sind.

Wie sieht diese Strategie aus?

Wenn wir in diesem Zusammenhang von Militarisierung sprechen, dann dürfen wir auch die innere Militarisierung nicht vergessen. In den vergangenen Jahren hat sich diese massiv verstärkt. Mit Ankerzentren und dem Polizeiaufgabengesetz (PAG), um nur zwei zu nennen, haben der Staat und seine Repressionsorgane weitere tiefgreifende Befugnisse erhalten, um in die Rechte und das Leben von Menschen einzugreifen. Sie verkaufen es als Maßnahme, die gegen Gefährder*innen vorgehen und für Sicherheit sorgen soll. Doch was sind Gefährder*innen? Wo beginnt eine drohende Gefahr? Von wem geht sie aus? Das PAG ist ein Angriff gegen uns alle, gegen die fortschrittlichen Kräfte, insbesondere aber gegen Migrant*innen und Geflüchtete.

Nun hat es vor wenigen Tagen einen Personalwechsel innerhalb des Verteidigungsministeriums gegeben. Für die bisherige Ministerin von der Leyen kam Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie hat in der Vergangenheit bereits deutlich gezeigt, „wes Geistes Kind“ sie ist. Sie setzt sich nicht nur für Abschiebungen von Geflüchteten ein, sondern unterstützt zudem die sogenannte Grenzschutzagentur Frontex, die an den Außengrenzen Europas brutale Einsätze gegen Geflüchtete führt. Vor kurzem sprach sie sich zudem über Regeln der Meinungsäußerungen im Internet aus, nachdem der YouTuber Rezo ein Video veröffentlichte, in der er die CDU massiv kritisierte. Auch Kramp-Karrenbauer wird demnach keine Änderungen in ihrem neuen Amt vornehmen, das zeigt sie bereits jetzt schon an zwei Aspekten. Zum einen sieht sie in der Bundeswehr trotz all den Enthüllungen der letzten Jahre kein generelles Haltungsproblem in Bezug auf Rechtsextremismus. Zum anderen – und damit kommen wir zur eigentlichen Intention des Artikels – möchte sie, ganz den Vorstellungen Trumps entsprechend, die Rüstungsausgaben konstant dem 2%-Ziel der Nato anpassen.

Als Revolutionär*innen müssen wir in diesen Situationen des aggressiven Militarismus einerseits auf konkrete Forderungen setzen. Dazu muss der sofortige Stopp aller Rüstungsexporte zählen, sowie der Rückzug der Bundeswehr aus all ihren Einsatzgebieten. Andererseits, um nicht nur auf Worte, sondern auch auf die konkrete Aktion zu setzen, sollten wir uns auf die jüngsten Erfahrungen stützen, die bereits von der Arbeiter*innenklasse gemacht wurden. Im Mai kam es zu einer Reihe von Streiks von Hafenarbeiter*innen: im italienischen Genua, im französischen Le Havre und im spanischen Santander. Sie protestierten gegen die Anlegung und Beladung des saudi-arabischen Frachtschiffes „Bahri Yanbu“, welches Waffen für den Krieg gegen den Jemen nach Saudi-Arabien bringen sollte. Ebenso setzten sich die Arbeiter*innen des Ford-Werks in Köln im April dieses Jahres zur Wehr. Da in der Kölner Niederlassung rund 5000 Stellen gestrichen werden sollen, ließ die Bundeswehr einen Lieferwagen mit einer Plakatwand vor dem Werksgelände parken, auf der „Job Ford? Mach, was wirklich zählt“ stand. Die Arbeiter*innen und der Betriebsrat gingen nicht auf diese Provokation ein, sondern bezeichneten sie als „respektlos“ und „niveaulos“. Die Bundeswehr hat damit nicht versucht, auf die individuellen Situationen und Probleme der Arbeiter*innen einzugehen, sondern hat einzig ihr eigenes Interesse im Fokus.

Dies sind nur zwei Beispiele, aber sie machen deutlich, dass wir aus diesen wichtigen Kämpfen und Erfahrungen lernen und daran anknüpfen sollten, denn dieser gemeinsame Kampf und die internationale Solidarität sind essentiell und wirksam! Dabei müssen auch die Gewerkschaften und Betriebsräte eine deutliche Position, gegen jeden Versuch des Militarismus zu intervenieren, einnehmen. Schließlich sind Interventionsversuche des Militarismus kein isoliertes Vorgehen, sondern ein Angriff gegen alle Arbeiter*innen. Denn die Bundeswehr, mit der im einen Moment paktiert wird, ist diejenige Bundeswehr, die im anderen Moment bewaffnet gegen Zivilist*innen, Geflüchtete und Arbeiter*innen vorgeht.

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