Die Errungenschaften der Frauen nach der Russischen Revolution – und unsere Situation heute

22.03.2017, Lesezeit 8 Min.
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Bei einer Veranstaltung in Berlin am 18.3. wurde über die aktuelle Frauenbewegung, die Frauen in der Russischen Revolution und Lehren für heute diskutiert. Im zweiten Teil des Vortrags geht es um die Errungenschaften der Revolution für die Frauen, ökonomische Widersprüche, die Rolle des Stalinismus – und die Situation der Frauen heute.

Im ersten Teil des Vortrags wurde beschrieben, wie die Vision der Bolschewiki aussah. Sie wollten Beziehungen ohne Zwänge schaffen und die vollständige Befreiung der Frauen erreichen. Dafür musste die Familie beseitigt werden. Auf dem Weg dahin war ihrem Verständnis nach eine bewusste kulturelle Entwicklung nötig, aber auch eine Veränderung der materiellen Grundlagen.

Hausarbeit vergesellschaften!

Die materielle Grundlage für die Befreiung sollte vor allem durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit gelegt werden. Denn wie Trotzki es sagte: „Man kann die Familie nicht ,abschaffen‘, man muss sie ersetzen.“ Es musste für die sozialen Funktionen, die die Familie noch hatte, Alternativen geschaffen werden. Das waren vor allem Alternativen dafür, wie Hausarbeit organisiert wurde.

Hausarbeit sollte also vergesellschaftet werden, damit keine Abhängigkeiten von der Familie mehr existierten. Außerdem sollten so die Frauen von dieser doppelten Arbeitsbelastung – neben der Arbeit in der Produktion! – befreit werden. Es sollten für alle öffentliche Wäschereien, Kantinen und Kindertagesstätten errichtet werden. Die Menschen, die dort arbeiteten, sollten gute Arbeitsbedingungen haben und die Einrichtungen sollten unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter*innen und Nutzer*innen stehen.

Und tatsächlich wurden nach der Oktoberrevolution in den Städten viele solcher Angebote aufgebaut.

Hausarbeit: Auch heute noch ein Kampffeld

Wie visionär das war, zeigt ein Blick nach heute: In Deutschland ist für einige wenige bürgerliche Familien auch die Vergesellschaftung erreicht – aber sie funktioniert über den kapitalistischen Markt, indem reiche Menschen für Restaurants und teure private Kinderbetreuung bezahlen können. Die Menschen, die dort arbeiten, tun dies unter schlechten Bedingungen. Die meisten von ihnen sind Frauen, viele von ihnen auch Migrantinnen.

In der großen Mehrheit der Familien machen heute aber trotzdem noch Frauen einen Großteil der Hausarbeit: 2013 arbeiteten Frauen im Schnitt jede Woche 10 Stunden mehr im Haushalt als Männer. Der Frauenstreik am 8. März richtete sich auch gegen diese Ungerechtigkeit. Oft beschränken sich die Forderungen leider aber nur auf die gerechtere Verteilung im Haushalt.

Dabei wissen wir: Im Kapitalismus profitieren die Bosse von der unbezahlten Hausarbeit, es ist nicht nur eine Frage des guten Willens, diese Ungerechtigkeit zu ändern. Nein, es gibt Strukturen, die der Staat schafft, um die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen so zu erhalten.

Die Vision der Bolschewiki war viel radikaler. Sie schloss alle Menschen mit ein, denn von einer gerechteren Aufteilung profitieren Alleinerziehende beispielsweise kaum. Sie war eben vor allem auf die Befreiung von allen Zwängen ausgerichtet, auch dem materiellen Zwang, einen romantischen Partner haben zu müssen, um die Aufgaben des Alltags leisten zu können. Das war alles nur möglich auf der Grundlage der Aufhebung der Herrschaft der Chefs.

Ein neues Familienrecht und Rechte für LGBTI*

Parallel wurde auch die Zivilrechtliche Ehe und die ganz einfache Scheidung eingeführt. Um sich scheiden zu lassen, musste man nur auf ein Papier schreiben, dass man es so wollte! Mit der zivilrechtlichen Ehe sollte vor allem der Macht der Kirche etwas entgegengesetzt werden. Männer hatten nun auch keine Vormundschaft mehr über Frauen und Kinder. Uneheliche und eheliche Kinder wurden gleichgestellt. Das heißt, Alleinerziehende hatten für beide einen Anspruch auf Unterhalt.
Die Gesetze zu Ehe und Unterhalt waren dabei nur für den Übergang gedacht, bis die Versorgung aller durch den Staat möglich war. Dann sollten die Menschen wirklich frei miteinander zusammenleben können.

In der BRD mussten diese Dinge in den 1970er Jahren hart erkämpft werden. Die Scheidung ist immer noch nicht so leicht – und so billig – wie in der frühen Sowjetunion. Vergewaltigung in der Ehe war noch bis 1997 legal.

Auch für LGBTI* Menschen gab es erhebliche Verbesserungen. Homosexualität wurde legalisiert. Es gab erste Operationen für trans Menschen und eine Akzeptanz von Seiten des Staates.

Um nicht zu sterben – das Recht auf freie, kostenlose und sichere Abtreibung

1920 wurde die freie und kostenlose Abtreibung für russische Frauen eingeführt, nachdem sich Bolschewiki wie Alexandra Kollontai dafür eingesetzt hatten.

Das Recht auf kostenlose und freie Abtreibung ist auf der Welt heute noch umkämpft. In Polen wehren sich zur Zeit Frauen gegen Angriffe auf das eh schon restriktive Abtreibungsrecht. In Deutschland mobilisiert die AfD mit anderen Rechten gegen Abtreibung. Dabei existiert hier immer noch kein Recht darauf, es wird nur in bestimmten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt.

In Ländern wie Argentinien oder Chile sind Abtreibungen auch heute noch vollkommen illegalisiert. Dort zeigt sich auch, dass das Recht auf Abtreibung eine Klassenfrage bleibt: Tausende arme Frauen sterben weltweit an unsicheren, illegalisierten Abtreibungen, wohlhabende Frauen können gegen viel Geld immer irgendwo Abbrüche bekommen, zum Beispiel dafür ins Ausland gehen.

Heute und damals: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Besonders wurden nach der Revolution Verbesserungen für Arbeiterinnen eingeführt. So gab es zum Beispiel bezahlte Auszeiten bei einer Geburt. Vor allem wurde aber das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ eingeführt!

Die Bosse profitieren von der Spaltung und den Gewinnen, die es ihnen bringt, Frauen für ihre Arbeit weniger zu bezahlen. Sie verteidigen das Recht zu diskriminieren deshalb bis aufs Blut. Mit ihrem Sturz war erstmals die Grundlage gelegt, gegen die niedrigen Löhne der Frauen zu kämpfen!

Heute, im ach so fortschrittlichen Kapitalismus verdienen Frauen immer noch 21 Prozent weniger! Es gab in den letzten Jahrzehnten dabei kaum Verbesserungen. Das heißt, dass Frauen fast drei Monate im Jahr kostenlos für die Bosse arbeiten!

Die Ökonomischen Widersprüche…

Hört sich alles super an, oder? Ja! Aber es gab ein paar Probleme

Die Wirtschaft in der Sowjetunion lag nach dem Krieg am Boden. Die Industrie war eingebrochen von der Kriegsanstrengung. Auf die Revolution folgte der Bürgerkrieg. Die junge Sowjetunion musste sich gegen Angriffe der bürgerlichen Konterrevolutionäre wehren. Das verlangte große Anstrengungen.

Es kam zu Mangel und Hungersnöten. Zwar war die Versorgung vergesellschaftet worden, aber die Notwendigkeiten stiegen schneller als das Angebot. Und auch eine öffentliche Kantine hilft nicht, wenn es dort nichts zu essen gibt. Es gab massenhaft Straßenkinder und gerade Frauen litten darunter, von ihren Ehemännern verlassen zu sein und sich und ihre Kindern irgendwie durchbringen zu müssen. Die Ideale der Revolution stießen an die harten Tatsachen der ökonomischen Rückständigkeit.

Dazu kam, dass die Bolschewiki nicht homogen waren. Wenn es auch ein gemeinsames Ziel der Frauenemanzipation gab, so waren sich nicht alle einig, wie dahin zu gelangen ist und welche Priorität sie hatte.

Die Hoffnung der Revolutionär*innen war auf die Revolutionen in anderen Ländern gerichtet, vor allem auf eine Revolution in Deutschland. Denn wenn die Arbeiter*innen die Macht in dem reichen Land erobert hätten, hätten sie die Sowjetunion unterstützen können.

…und der Stalinismus

Durch das Scheitern der Revolution in anderen Ländern war erst einmal keine Aussicht auf Hilfe von außen. In dieser Situation etablierte sich der Stalinismus; Es festigte sich eine Bürokratie, die ihre Privilegien gegen die Mehrheit verteidigte. Die Grundlage dafür war der Mangel. Die bürokratische Kaste unterdrückte die innere Demokratie und behauptete, es sei möglich den Sozialismus in einem Land aufzubauen.

Im Stalinismus wurden viele der Rechte wieder zurückgenommen: Die Gleichstellung der verheirateten mit den unverheirateten Frauen in Bezug auf Unterhalt wurde abgeschafft. Homosexualität und Abtreibung wurden wieder verboten. Das Frauensekretariat der Partei wurde aufgelöst. Scheidung wurde wieder erheblich erschwert. Den Frauen, für die ein Kind oft eine echte Belastung war, wurde wieder ein Lied auf die „Mutterfreuden“ gesungen.

Gleichzeitig wurde dies nicht mit der ökonomischen Notwendigkeit begründet, also damit, dass der Staat noch nicht reich genug war, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Die Begründung war eine ideologische. Die Familie wurde zur „kleinsten Zelle der sozialistischen Gesellschaft“ erklärt. Ein Grund war sicherlich auch, dass die Familie dabei hilft, stabile soziale Hierarchien zu etablieren und zu konservieren.

Die Frauen der Bürokratie indessen hatten selber Hausangestellte und musste sich so nicht zurück an den heimischen Herd begeben.

Diese Rückschritte gingen weit über die ökonomischen Notwendigkeiten hinaus. Sie waren nur möglich durch die gewaltsame Zerschlagung des Widerstandes gegen die Bürokratisierung. Eine ganze Generation von Revolutionärinnen und Revolutionären musste dafür umgebracht oder jahrelang eingesperrt werden. Darunter auch Frauen, wie Eugenia Bosch, Nadejda Joffe oder Tatiana Miagkova.

Im dritten und letzten Teil soll es um die Lehren dieser Erfahrungen für die Frauenbewegung heute gehen.

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