Die einzige Demokratie im Nahen Osten verbietet Kritiker*innen die Einreise
Seit letzter Woche ist ein neues Gesetz des israelischen Parlaments in Kraft getreten: Befürworter*innen jeglicher Art des Boykotts gegen Israel, israelische Siedlungen oder israelische Institutionen wird die Einreise ins Land verweigert. Von ersten Fällen der Umsetzung wurde schon berichtet.
„Der Kampf gegen die BDS“ ist in der israelischen Politik und Media in letzten Jahren zu einem Schlachtruf geworden. Millionen von Shekels, neue Ministerien und sogar Spionage-Maßnahmen werden verwendet, um gegen den neuen großen Feind des jüdischen Staats anzugehen: die liberale und gewaltfreie BDS-Kampagne, die zu Boykott, Disinvestitonen und Sanktionen gegen Israel aufruft, bis dieser dem bürgerlichen Völkerrecht nachkommt.
Jetzt hat das israelische Parlament durch eine neue Gesetzänderung den Kampf intensiviert. Jede Person, die sich öffentlich für einen Boykott auf Israel, seine Institutionen oder auch Gebiete unter seiner Kontrolle geäußert hat, darf ab jetzt die Einreise verboten werden. Der Mitverfasser des Gesetzes, MdK Roy Folkman der zentristischen Partei Kulanu („Wir alle“), begründete die Gesetzänderung: „Man kann nationale Stolz verspüren als auch an Menschenrechte glauben. Es ist keine Schande, den Namen und Ehre des Staates Israel zu verteidigen“. Und Name und Ehre werden jetzt wohl verteidigt – mindestens ein Aktivist der Solidaritätsbewegung wurde durch das neue Gesetz schon ausgewiesen, als Hugh Lanning der britischen Palestine Solidarity Campaign am vergangenen Sonntag nach langem Verhör am Flughafen abgeschoben wurde.
Unterstützer*innen der Zweistaatenlösung nah am Heulen
Das neue Gesetz sorgt auch für Aufruhr unter liberalen Zionist*innen aller Art. Und zwar nicht nur, weil es ihre Arbeit weiterhin erschwert, ein Kolonialprojekt als eine Demokratie zu verkaufen, sondern wegen der Formulierung des Gesetzes selbst. Das Gesetz betrifft ganz klar auch Personen und Institutionen, die zu Sanktionen oder Boykott gegen die nach Völkerrecht illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland aufrufen. Darunter fällt schon eine ganze Reihe von liberalen Organisationen, im Land selbst oder beispielsweise in den USA. Simone Zimmerman, eine jüdische amerikanische Aktivistin, die letztes Jahr ihre Stelle bei der Wahlkampagne des liberalen Bernie Sanders wegen „vulgärer“ Tweets gegen Netanyahu verloren hat, veröffentlichte ein tränennahes Video gegen das Gesetz. Sie selbst bevorzugt zwar eine selektive Solidarität und unterstützt BDS nicht, habe aber Angst, selbst zur Zielscheibe und Staatsfeind zu werden und in ihr „geliebtes Land“ nicht mehr einreisen zu dürfen. So geht es vielen Liberalen, wenn die Widersprüche zwischen einem jüdischen und demokratischen Staates ihnen ins Gesicht springen. Es ist sicherlich schwer, wenn man sich so viel Mühe gibt, ein Kolonialprojekt zu lieben, das sich hartnäckig nicht lieben lässt.
Bei der Diskussion wird wie immer gerne die Tatsache außer vor gelassen, dass für palästinensische Geflüchtete, die seit Generationen bis zu ihrer Vertreibung im Lande lebten, die Einreise in ihre Heimat sowieso seit 70 Jahren verboten ist. Da spielt ihre Unterstützung jener oder anderer Kampagne eh keine Rolle. Aber es gibt noch einen ganz wichtigen Punkt, der das neue Gesetz veranschaulicht: Für den Zionismus, nicht wie für seine heulende liberale Unterstützer*innen, gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Kritik an den Siedlungen im Westjordanland oder am Staat innerhalb der 48 Grenzen. „Hebron gilt genau wie Dimona oder Nazareth“ sagte mal Kulturministerin Regev, und meinte damit, dass sie keinerlei Unterschied sieht zwischen Siedlungen im Westjordanland und Siedlungen innerhalb der 48 Grenzen. Das neue Gesetz zeigt es auf unverwechselbare Art. Wer sich immer noch heulend erzählen möchte, dass die Kolonisierung 1948 anders wäre als die Kolonisierung 1967, lügt sich und die Welt nur an.
Apartheid als innere Angelegenheit
Bezalel Smotrich ist ein weiterer Mitverfasser des Gesetzes. Smotrich ist eine bunte Figur: Er war Veranstalter des „Marsches der Bestien“ gegen die LGBTIQ*-Parade in Jerusalem und ist starker Gegner von „gemischten“ Krankenhauszimmern für Jüden*Jüdinnen und Araber*innen. Sein Gesetz verteidigte er damit, dass es ganz normal wäre, wenn „ein gesunder Mann seine Liebenden liebt und seine Hasser hasst“. Das Recht auf Einreise ins Land, sowie die Zustände im Lande allgemein, wird im Zionismus sehr gerne als eine interne Diskussion beschrieben. Viele Nationalist*innen verstehen überhaupt nicht, was die ganzen Antisemit*innen von außerhalb in inneren Angelegenheiten des jüdischen Volkes zu suchen haben.
Aber die Besatzung Palästinas und die Apartheid sind alles anderes als eine interne israelische Sache, und die Frage der Einreise ins Land ist ein Kernpunkt. Denn die internationalen Solidaritätsaktivist*innen, denen die Einreise jetzt verboten wird, fliegen nicht in den Ben-Gurion-Flughafen (Israel beklagt gerne, dass palästinensische Straßen nach Terrorist*innen genannt würden, nennt aber seinen internationalen Flughafen nach einem), um am Strand von Tel-Aviv „nationale israelische“ Spezialitäten wie Falafel und Humus zu essen, sondern um in die palästinensische Gebiete im Westjordanland oder Gaza zu gelangen, die man nur durch die israelische Grenzübergänge erreichen kann. Die Rahmung der Diskussion als eine Maßnahme gegen heuchlerische Europäer*innen, die Israel diffamieren und gleichzeitig das Land zum Spaß bereisen wollen, ist nur weitere Propaganda. Dieser Anschein versteckt auch, dass die wahren Opfer auch hier die Palästinenser*innen sind: Das Gesetz gilt nicht für israelische Staatsbürger*innen und Besitzer*innen von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen, aber sehr wohl für Palästinenser*innen mit befristeten Erlaubnissen, wie für den Mitbegründer der BDS-Kampagne, Omar Barghouti, der in Akkon lebt und seit mehreren Jahren im Visier der Regierung ist.
Was das Gesetz für nicht-israelische Juden*Jüdinnen heißt, die pro-BDS sind, wie Mitglieder der amerikanischen pro-BDS Jewish Voice for Peace, ist noch nicht klar: Diese könnten schließlich in jedem beliebigen Moment mit Hilfe des „Rückkehrgesetzes“ Staatsbürger*innen werden. Aber erste komische Fälle von Schikanen gegen die eigenen Staatsbürger*innen werden schon bekannt. Letzte Woche wurde der israelische Aktivist Jeff Halper von der Polizei kurz ins Gewahrsam genommen, nachdem er internationale Besucher*innen bei einer Rundfahrt in ein Siedlungsgebiet führte. Der Grund: „Besitz von BDS-bezogenen Materialien“. Vielleicht deutet der Fall nicht auf einen Kurswechsel hin, zeigt aber den aktuellen Zeitgeist. Auch hier ist natürlich die Repression des Staates nebensächlich im Vergleich zu der Repression, die nicht-jüdischen Aktivist*innen im Lande erleben.
Am Rande: bald Einreiseverbot für die UN?
Und um das Ganze noch interessanter zu machen, hat letzte Woche eine Kommission der Vereinten Nationen (UN) einen Bericht veröffentlicht: Demnach habe Israel „ein Apartheidsregime etabliert, das die Palästinenser*innen als ganze Bevölkerung unterdrückt und dominiert“. Der Bericht, der von der Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien verfasst wurde, ruft Regierungen auf, BDS-Kampagnen gegen die israelische Apartheid zu unterstützen.
Auch wenn dieser Bericht ganz klar die Position der bürgerlichen UN nicht repräsentiert, ist es ein weiterer Schritt für die UN in die Liste der globalen Antisemit*innen. Eine Sprechperson des israelischen Auswärtigen Amtes nannte den Bericht auf Twitter „ähnlich wie Der Stürmer“. Sicherheitsminister Avigdor Lieberman und andere Parlamentsmitglieder appellierten schon für einen Austritt Israels und der USA aus dem UN-Menschenrechtsrat. Vielleicht kommt es bald zur Abschiebungen von UN-Funktionär*innen aus dem Land. Das Land, dessen berechtigte Bewohner*innen es seit sieben Jahrzehnten nicht betreten dürfen.
Für uns außerhalb des Landes gibt es nur eine Schlussfolgerung aus dem neuen Gesetz: Unsere Solidarität muss praktisch werden. Wir sollen weiterhin die BDS-Kampagne klar und lauthals unterstützen, und auf die Widersprüche des israelischen Apartheidssystems zeigen. Den Urlaub am Strand von Tel Aviv sollen wir sowieso unterlassen.