Die blutige Promenade: Demonstrant bei Blockade in der Türkei getötet

05.09.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Symbolbild Schusswaffe /PickPik

In Hopa (Türkei) wurde ein Dorfbewohner von einem Firmenvertreter erschossen. Die Dorfbewohner blockierten eine Waldrodung für ein geplantes Promenaden-Projekt der türkischen Regierung.

Das nächste blutige Staatsprojekt des AKP-Regimes kostet ein weiteres Leben. In Cankurtaran, einem Dorf in Hopa (Türkei), wurden die protestierenden Dorfbewohner Reşit Kibar, Ersan Koyuncu und Gökhan Koyuncu von Muhammet Ustabaş, einem Firmenvertreter von Yapisoy Beton, mit einer Pistole erschossen. Während die Koyuncu-Brüder überleben konnten, erlag Reşit Kibar seinen Schusswunden noch vor dem Erreichen des Krankenhauses.

Wie kam es dazu?

In Cankurtaran fuhren Baumaschinen in den größten regionalen Wald, um Bäume für ein Erholungsgebiet der türkischen Regierung zu fällen. Die geplante Touristen-Promenade soll dort gebaut werden. Dorfbewohner, die in der landwirtschaftlichen Initiative Çifteköprü organisiert sind, wollten die Baumfällung verhindern.

Beim Blockieren der Baumaschinen kam es zu einem aktiven Kampf, bei dem die Dorfbewohner:innen Barrikaden mit Holzbalken aufbauten und mit kleinen Steinschleudern Kieselsteine auf die Baumaschinen schossen. Das scheint Grund genug für die anwesenden Bauleiter der staatlichbeauftragten Firma Yapisoy gewesen zu sein. Erst kam es zu einer Schlägerei zwischen den Bauleiter:innen und den Dorfbewohner:innen, dann zogen zwei Firmenvertreter ihre Pistolen – Muhammet Ustabaş zögerte nicht und schoss. Drei Personen wurden schwer verletzt, einer von ihnen starb. Die Firma gab ein lächerliches Statement ab und nahm sich aus der Verantwortung, indem sie sich aus dem Projekt zurückzog.

Geplantes Attentat?

Aktivist:innen, die schon länger den Kampf von Dorfbewohner:innen im Nordosten der Türkei verfolgen, fanden interessante Fakten über den Mord heraus. Der getötete Reşit Kibar ist ein bekannter Aktivist, der sich bereits vor mehr als einem Jahr in einem Video zu einem anderen Waldrodungsprojekt äußerte. Die zweite Person in dem Video, Dursun Ali Koyuncu, ein Verwandter der zwei anderen Verletzten und auch bekannter Aktivist, beklagte in einem neuen Video zur aktuellen Tat, dass die Dorfbewohner:innen mehrfach gegen den Mörder Ustabaş Anzeige gestellt hatten bei der örtlichen Polizei, aber diese Anzeigen nie weiter verfolgt wurden. Die beiden sind der Firma scheinbar schon lange ein Dorn im Auge.

Dass gerade Reşit und die Verwandten von Dursun Ali Koyuncu angeschossen wurden, kann also faktisch kein Zufall sein. Dass es in einem Mord endete, ist dennoch eine erschreckende Entwicklung. Die Kaltblütigkeit der vom Staat finanzierten Baufirmen nimmt immer weiter zu. Bereits bei den Waldbesetzungen in Akbelen und Sögütlü, zwei anderen Städten in der Türkei und Aserbaidschan, kam es durch Firmenvertreter:innen zu massiven Angriffen auf die Dorfbewohner:innen, die bis heute gegen die Bauprojekte der Regierung protestieren.

Das Regime der blutigen Zerstörungsprojekte

Erdoğan und seine AKP-Regierung fahren seit Anbeginn ihrer Zeit einen massiven Industrialisierungskurs. Tausende massive Bauprojekte kosteten ebenso vielen Arbeiter:innen das Leben, ebenso vielen Dorfbewohner:innen ihre Heimat. Umwelt und Menschenleben sind nichts wert in den Augen der Regierung – wichtiger ist der Profit. Man könnte hunderte Beweise für diese Tatsache aufzählen: Die toten Arbeiter:innen bei des Mineneinsturzes in Soma, die zehntausenden Toten bei den Erdbeben letztes Jahr im Osten der Türkei, die tausenden Inhaftierten, die sich gegen Bauprojekte der Regierung auflehnten oder nur zivile Katastrophenhilfe leisten wollten.

Und die Projekte werden nicht weniger: In Sapanca sollen Luxus-Residenzen für Hunderte Millionen Dollar gebaut werden, in Mersin neue Hotels für weitere Hunderte Millionen Dollar. Die Türkei sucht händeringend nach Investoren aus dem Ausland, um sich auf dem Weltmarkt etablieren zu können, während die eigene Wirtschaftskrise konstant verschlimmert wird. Expert:innen sprechen bereits nicht mehr von einer Inflation, sondern von einer Stagflation oder gar schlimmer.

Die Arbeitslosigkeit steigt gewaltig an, die Lebenshaltungskosten ebenso, der Mindestlohn reicht schon lange nicht mal mehr für die Hungergrenze. Diese liegt bei 20.098 TL (Türkische Lira), der Mindestlohn bei 20.002 TL. Und weil dieser Fakt nicht ganz ausreicht, um die miserable Situation der türkischen Arbeiter:innen zu verdeutlichen: Die Armutsgrenze liegt bei 57.280 TL.

Unter all diesen Umständen ist klar, dass die türkische Regierung und ihre finanzierten Baukonzerne keine positive Entwicklung für die Türkei bringen, sondern nur pure Zerstörung. Zerstörung der Umwelt, der Dörfer und der Wälder, ebenso wie die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Arbeiter:innen, Erwerbslosen, Student:innen und allen, die nichts vom Kuchen der reichen Kapitalist:innen abbekommen.

Solidarität mit allen protestierenden Dorfbewohner:innern und Inhaftierten

Die Türkei erlebt eine langsam wieder aufkeimende Protestwelle. Nicht nur die Dorfbewohner:innen in den ländlichen Regionen lehnen sich auf, sondern auch Studierende in den Großstädten. In Ankara wurden bei der Abschlussfeier an der ODTÜ-Universität nicht nur Zertifikate entgegen genommen, sondern auch eine Protestparade mit etlichen Bannern veranstaltet, die die Regierung und ihre Politik anklagen. Auf den Bannern sind Slogans gegen Femizide, gegen die Euthanasierung und Tötung von Straßentieren, gegen die enormen Lebenskosten, etc. zu lesen.

Wir solidarisieren uns mit allen Protesten und Streiks der Arbeiter:innen gegen die Regierung und ihre arbeiter:innenfeindliche, mörderische Politik. Reşit Kibar ist kein Einzelfall – sie sind alle unsere internationalen Klassengeschwister. Ein Angriff auf sie ist ein Angriff auf alle von uns. Nieder mit den profitgierigen Bossen und Nieder mit der kapitalistischen Regierung. Hoch die internationale Solidarität!

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