Die Bedeutung des Aufbaus von Institutionen der Selbstorganisation für den Klassenkampf
Die Arbeiter:innenklasse besitzt die gesellschaftliche Kraft und die Möglichkeit, die verschiedenen unterdrückten Sektoren zu vereinen. Aber sie muss sich der Bürokratisierung ihrer eigenen, dem Staat untergeordneten Organisationen entgegenstellen.
Diese Frage wurde von Leo Trotzki in seinen Überlegungen zur „Verstaatlichung der Gewerkschaften“ behandelt, auf deren Grundlage er eine Politik des aktiven Eingreifens in den Kampf gegen die Bürokratie formulierte. Ähnlich analysierte Antonio Gramsci die Entwicklung des alten Gewerkschaftswesens und seine Integration in den Staat und prägte den Begriff des „integralen Staates“. Diese Ausarbeitungen, die in der Zwischenkriegszeit vorgenommen wurden, sind auch heute noch voll gültig.
Obwohl unter der neoliberalen Offensive in vielen Ländern der Welt bestimmte Errungenschaften des so genannten „Wohlfahrtsstaates“ ausgehöhlt wurden, behielt die Gewerkschaftsbürokratie ihre Rolle als Vertreterin des Staates im Innern der Arbeiter:innenklasse. In vielen Ländern fand sogar ein Sprung in der Integration der Gewerkschaftsbürokratie statt, über Pfründe oder ihre direkte Verwandlung in Unternehmer:innen. Doch auch in Fällen, in denen die Gewerkschaftsbürokratien wirtschaftlich nicht so mächtig sind, sind sie dem Rechtsruck der Sozialdemokratie und des Reformismus gefolgt: Sie haben die Angriffe der verschiedenen Bourgeoisien im Wesentlichen mit dem Argument akzeptiert, dass „nicht genug Kraft“ vorhanden sei, um ihnen entgegenzutreten, und die verschiedenen Sektoren der Arbeiter:innenklasse auf korporative Weise gespalten. Angesichts der Entstehung vielfältiger sozialer Bewegungen sind auch in Bewegungen, die nicht direkt mit den Gewerkschaften verbunden sind, neue Vermittlungen oder bürokratische Führungen entstanden, wie zum Beispiel in der Frauenbewegung, der Umweltbewegung oder auch in den Arbeitslosenbewegungen. Sie sind getrennt von den Erwerbstätigen organisiert und stützen sich auf die Forderung nach Subventionen und anderen Formen der staatlichen Unterstützung.
Die Gewerkschaftsbürokratie ist Haupttriebkraft der Spaltung der Arbeiter:innenklasse in verschiedene Sektoren, die in vielen Fällen sogar direkt gegeneinander gerichtet zu sein scheinen. Deshalb muss die Arbeiter:innenklasse für eine möglichst breite gewerkschaftliche Demokratie kämpfen, indem sie den Bürokratien die Kontrolle über die Gewerkschaften entreißt und für die Unabhängigkeit ihrer Organisationen gegenüber dem Staat eintritt. Um aber eine echte Vereinigung aller ihrer Sektoren zu entwickeln und ihre Forderungen mit denen der anderen unterdrückten Sektoren in Einklang zu bringen, ist es notwendig, neue Organisationen zu entwickeln, die über die gewerkschaftlich organisierte Minderheit der Arbeiter:innen hinausgehen. Wir beziehen uns auf Instanzen der Selbstorganisation an der Basis, die es ermöglichen, die Klasse zu gruppieren, trotz ihrer Trennungen zwischen Festangestellten und Leiharbeiter:innen, Einheimischen und Migrant:innen, gewerkschaftlich organisierten und nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen. Diese Selbstorganisation kann die Avantgarde-Tendenzen stärken und auf diese Weise eine vom Staat unabhängige Arbeiter:innenbewegung aufbauen, die die Perspektive einer Regierung der Arbeiter:innenklasse und der Massen aufwirft.
Seit der Krise von 2008 haben sich verschiedene Formen der Massenbewegung außerhalb der traditionellen Kanäle entwickelt. Von den Massenkundgebungen wie auf dem Taksim- oder Tahrir-Platz bis hin zu den Territorialversammlungen in Chile oder den Cabildos in El Alto (Bolivien) und anderen. Als Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale haben wir in den verschiedenen Erfahrungen des Klassenkampfes, an denen wir teilhaben durften, die Entwicklung von Institutionen der Selbstorganisation gefördert. Unser Ziel ist es, dass sie zu effektiven Mechanismen der Entscheidung und Vorbereitung des Kampfes werden. Wir werden auf einige von ihnen eingehen.
In Argentinien haben wir von der PTS seit den Anfängen unserer Strömung die Bildung von antibürokratischen Basisorganisationen gefördert. Eine der wichtigsten Erfahrungen in diesem Sinne war der beispielhafte Kampf von Cerámica Zanon in Neuquén, einer Fabrik, die bereits seit mehr als 20 Jahren unter direkter Führung der Arbeiter:innen steht. 2003 führte die Besetzung der Fabrik zur Einheit zwischen der Gewerkschaft der Keramikarbeiter:innen und der Bewegung der Arbeitslosen, aus der später das regionale Koordinationskomitee des Alto Valle hervorging. Es brachte erwerbstätige und erwerbslose Arbeiter:innen, verschiedene kämpferische Sektoren und klassenkämpferische Gruppierungen zusammen, die damals die Sektionen der Provinzhauptstadt und des Ortsverbands Centenario der Lehrer:innengewerkschaft anführten. Dieses Koordinationskomitee gruppierte die kämpferischen und antibürokratischen Sektoren und stellte gleichzeitig Forderungen nach einem Streik und einer Aktionseinheit mit dem Gewerkschaftsverband CTA. Häufig ging es zusammen mit den Gewerkschaften der Arbeiter:innen des öffentlichen Dienstes in der Provinz auf die Straße. Zugleich etablierte die Arbeiter:innenselbstverwaltung ein Bündnis mit dem Mapuche-Volk, das bis heute anhält. Wir förderten die Einheit der Beschäftigten und Arbeitslosen in der landesweiten Erwerbslosenversammlung und kämpften für eine einheitliche Bewegung der arbeitslosen Arbeiter:innen mit politischer Tendenzfreiheit und unter dem Banner würdevoller Arbeit. Dieser Kampf dauert bis heute an. Seit 2004 durchzogen verschiedene Erfahrungen eines antibürokratischen Phänomens die Arbeiter:innenbewegung der Industrie und des Transports. Dies wurde als „Basisgewerkschaftstum“ bekannt. In diesem Phänomen sowie in den Kämpfen der Arbeiter:innen im Gesundheits- und Bildungswesen versuchen wir, die Basisorganisation, die Koordination zwischen verschiedenen Sektoren der Arbeiter:innen und die Einheit mit anderen Massensektoren voranzutreiben. In diesem Sinne intervenierten wir im jüngsten Kampf für Land und Wohnraum mit Epizentrum in der Landbesetzung von Guernica, indem wir die Einheit der verschiedenen Viertel anstrebten, in denen die Besetzung organisiert war. Wir schlugen eine einheitliche Versammlung vor, anstelle von nach politischen Strömungen gespaltenten Versammlungen. Dabei forderten wir, dass die Gewerkschaftszentralen den Kampf der obdachlosen Familien unterstützen müssen, und trieben die Einheit mit den erwerbstätigen Arbeiter:innen und der Studierendenbewegung voran. Wir standen an der vordersten Front bei der Konfrontation mit dem repressiven Polizeieinsatzes des Kirchnerismus. Auch nach der Räumung kämpften wir dafür, die Organisierung mit der Versammlung von Guernica aufrecht zu erhalten. Gegenwärtig nehmen die Mitglieder der PTS direkt an den verschiedenen Prozessen der entstehenden Arbeiter:innenkämpfe teil und stellen die bürokratischen Gewerkschaftsführungen in Frage. So wie bei den harten Kämpfen der Weinbäuer:innen und bei der Rebellion der Beschäftigten im Gesundheitswesen in Neuquén. Diese legten mit Streikpostenketten und großer Unterstützung der Bevölkerung die ganze Provinz lahm und versuchten, Instanzen zur Vereinigung der kämpferischen Sektoren zu entwickeln. Gleichzeitig fordern wir von den Gewerkschaften und Gewerkschaftszentralen Maßnahmen gegen die Aushöhlung der Löhne, für Gesundheit und gute Arbeitsbedingungen und auch zur Verteidigung der Arbeiter:innen und der Massensektoren, die nicht in den Gewerkschaftsorganisationen gruppiert sind. Deshalb unterstützen wir die notwendige Politik der Einheit zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen, entgegen der von der Gewerkschaftsbürokratie und dem Staat auferlegten Grenzen.
In Chile war die Partei Revolutionärer Arbeiter:innen (Partido de Trabajadores Revolucionarios – PTR) eine der treibenden Organisationen des Comité de Emergencia y Resguardo („Notfall- und Schutzkomitees“) von Antofagasta – einer Organisation, die Gewerkschaften aus der Metall- und Hafenindustrie, Lehrer:innen, prekäre Jugendliche und Komitees der armen Stadtviertel zusammenbrachte. Das Komitee übernahm die Führung bei der Organisation und dem Aufruf zum Generalstreik, mit der gemeinsamen Forderung nach dem Sturz Piñeras inmitten der chilenischen Massenrebellion von 2019. Organismen wie diese erlaubten es, Sektoren der Arbeiter:innenklasse mit der „Frontlinie“ der kämpferischen Jugend in den Nachbarschaften zu koordinieren. Der Höhepunkt war der Generalstreik vom 12. November 2019, zu dem eine Versammlung von 400 Delegierten aus verschiedenen Positionen die Lähmung der Stadt organisierte: Sie brachte 25.000 Arbeiter:innen auf dem „Platz der Revolution“ zusammen und bildete einen kämpferischen Pol, der den kriminellen Waffenstillstand anprangerte, den die Organisationen des Reformismus und die Gewerkschaftsbürokratie der CUT anstrebten, und agitierte für den revolutionären Sturz der Regierung. Wir waren auch Teil des Sicherheitskomitees des Krankenhauses Barros Luco in der Gemeinde San Miguel in Santiago, was ein Beispiel für die Koordination mit Bewohner:innen aus den Armenvierteln, Schüler:innen und politischen und sozialen Organisationen war. Um an den Tagen des Generalstreiks zu agieren, haben wir versucht, in den wichtigsten Städten des Landes wie Arica, Antofagasta, Santiago, Valparaíso und Temuco Instanzen der Koordination zu fördern.
Während des langen Kampfes gegen die Rentenreform in Frankreich im Jahr 2020 standen die Aktivist:innen der CCR im Zentrum der Koordination zwischen SNCF (Eisenbahn) und RATP (städtischer Nahverkehr in der Region Paris). Dies war entscheidend dafür, den Streiks aufrechtzuerhalten, trotz des mehr oder weniger offenen Aufrufs zum Waffenstillstand, den die Gewerkschaftsbürokratie während der Feiertage zum Jahresende verkündete. Das Koordinationskomitee brachte mehr als 100 Vertreter:innen von bis zu 14 der insgesamt 21 Buszentren, von drei U-Bahn-Linien und von den beiden S-Bahn-Linien zusammen und war während des gesamten Konflikts gewissermaßen eine alternative Stimme zu den Gewerkschaftsführungen.
Der Aufbau von Institutionen der Selbstorganisation der Arbeiter:innen und der Massen bereitet uns auf die kommenden Schlachten im Klassenkampf vor. Wir nehmen uns vor, das Bündnis zwischen den Arbeiter:innen und den unterdrückten Sektoren zu vertiefen und die Gewerkschaftsbürokratien und den Reformismus zu bekämpfen. Denn die Bürokratien waren es, die die Massenaufstände, welche die Welt erschütterten, teilweise umlenkten.
Der Kampf dafür, solche Instanzen der Selbstorganisation zu entwickeln, ist eng mit dem Kampf für die Einheit der verschiedenen Sektoren der Arbeiter:innenklasse und ihrer Verteidigung verbunden. Dieser kann wiederum nicht von der Politik gegenüber den großen Gewerkschaften getrennt werden. Dort ist es notwendig, revolutionäre Fraktionen zu entwickeln und gleichzeitig für die Einheitsfront der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen, damit sie als Akteurin im Klassenkampf auftritt und die kämpferischsten Sektoren sich mit den Massen verbinden können.
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