„Die Arbeiter:innenbewegung ist zurück“: Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung hat begonnen

13.05.2023, Lesezeit 10 Min.
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Bild: Simon Zamora Martin

In Bochum diskutieren dieses Wochenende rund 1.700 linke Gewerkschafter:innen getragen von großem Optimismus. Zentrale Fragen bleiben aber bislang unbeantwortet.

Hunderte Teilnehmer:innen aus dem gesamten Bundesgebiet sind am Freitag nach Bochum gereist, um an der 5. Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung der Rosa-Luxemburg-Stiftung teilzunehmen. Unter dem Motto „Gemeinsam in die Offensive“ diskutieren an diesem Wochenende an der Ruhr-Universität (RUB) Kolleg:innen, Gewerkschaftsmitglieder, linke Klimaaktivist:innen und Intellektuelle die zentralen Frage von Krieg, Klimakrise und Inflation. Mit über 1.700 Angemeldeten ist die Konferenz gut doppelt so groß wie ihre Vorgängerin 2019 in Braunschweig. Besonders fiel auf, dass überdurchschnittlich viele junge Menschen den Weg nach Bochum gefunden haben. Der erste Tag begann mit einer Reihe an Praxis- und Themenseminaren.

Schon zu Beginn der Konferenz wurde die Rolle der Gewerkschaften in Kriegszeiten deutlich: Rund 200 Teilnehmende diskutierten im Themenseminar „Die Waffen nieder! Gewerkschaften in Kriegszeiten gestern und heute“ im imposanten Audimax der RUB. Mit fast einer Stunde Verspätung begann Frank Deppe seinen Vortrag – die Deutsche Bahn hatte dem prominenten Politikwissenschaftler zu schaffen gemacht. Dann lieferte er einen so unterhaltsamen wie gut informierten Abriss über die wechselvolle Geschichte der Haltung der Gewerkschaften zum Krieg vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Seine zentrale These: Die anfänglich oft breite Befürwortung von Kriegen schwindet stets mit dem Kriegsverlauf – umso wichtiger sei es, antimilitaristische Positionen gegen Widerstände aufrechtzuerhalten. Für die Diskussion warf er die wichtige Frage auf, wie der Kampf der Lohnabhängigen für ihre unmittelbaren Interessen mit antimilitaristischen Forderungen verbunden werden könnte.

Mit der Moderation von Dennis Olsen (IG Metall Hannover) wurde in der Diskussion schnell erkennbar, dass ein Konsens in der Ablehnung von Waffenlieferungen und der Aufrüstung der Bundeswehr herrscht. Auch stimmten fast alle der Wortmeldungen überein, dass der DGB sich klarer als Opposition gegen die Aufrüstungsbestrebungen der Bundesregierung stellen müsse. Ausgeklammert wurde dabei jedoch, dass der Kurs der Gewerkschaftsführungen, der die Politik der Regierung im Krieg mitträgt, nicht nur an einem „falschen Bewusstsein“ liegt. Die Haltung der Führungen sei nicht nur eine Frage des sozialdemokratischen Parteibuchs, hob Marco Helmbrecht in seinem Redebeitrag in der Diskussion hervor. Der KGK-Redakteur betonte, dass dies vielmehr auch an der sozialpartnerschaftlichen Vermittlungsfunktion der Bürokratie in den Gewerkschaften liege. Die Aufgabe sei deshalb nicht nur, linke Kräfte um antimilitaristische Forderungen zu sammeln, sondern eine antibürokratischen Strömung aufzubauen, die ihre Kraft aus den Betrieben schöpft.

Gleichzeitig fand das Themenseminar  „Als die Bänder stillstanden. Der wilde Streik bei Opel Bochum im Jahr 2004“ statt, wo zwei ehemalige Betriebsräte der damaligen Belegschaft über ihre Erfahrungen erzählten. Einer der beiden, Michael Müller, erzählte dabei auch, wie sie im Kampf gegen die Schließung des traditionsreichen Automobilwerks praktische Unterstützung von außen bekommen haben. „Die Studierenden haben uns Erbsensuppe gekocht und ins Werk gebracht“, so Müller. „Nachdem der Kampf dann vorbei war, war ich mit einem Kollegen hier in der Uni. Die haben uns eingeladen, dann sind wir in die Aula gekommen und die haben geklatscht, als wären wir Che Guevara. Dabei haben wir nur unser Werk verteidigt.“

In einem weiteren Workshop stellten Beschäftigte und Aktive der Berliner Krankenhausbewegung und der Unikliniken in NRW ihre neue Broschüre „Schwarzbuch Krankenhaus“ vor. Darin haben sie Erfahrungsberichte von Beschäftigten zusammengetragen, die von den Folgen der Unterbesetzung und Profitorientierung in den Kliniken berichten. Die Idee entstand im Laufe der Tarifverhandlungen um Entlastung in den NRW-Kliniken. Man wolle damit die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass nicht der Streik, sondern der „Normalzustand“, also das DRG-System, Kürzungen und Personalmangel Patient:innen massiv gefährdet. Redebeiträge aus dem Publikum zeigten auf, dass die diskursive Strategie nicht ausreiche, um etwas an den Verhältnissen zu ändern. Leonie Lieb, ver.di-Mitglied und Hebamme an einer Münchner Klinik, berichtete in einem Redebeitrag von den Erfahrungen im Kampf ihres Teams für den Erhalt ihrer Geburtshilfestation. Über die Veröffentlichung der Erfahrungsberichte hinaus müsse es auch um eine Kampagne für den politischen Kampf gehen.

Eine Klimadebatte ohne ein Wort zum Krieg

„Die Arbeiter:innenbewegung ist zurück und zwar europaweit.“ So begann der Soziologe Klaus Dörre seine Eröffnungsrede zur Auftaktveranstaltung im gut gefüllten Audimax. Dabei wies er auf einen staaten- und branchenübergreifenden Trend hin und illustrierte seinen Beitrag mit Bildern von Streikdemonstrationen aus England, Frankreich, Portugal und Deutschland. Mithilfe des an seinem Lehrstuhl in Jena entwickelten Machtressourcenansatz beschrieb Dörre den gestiegenen Einfluss der Lohnabhängigen international.

Anhand von sechs Thesen hielt er ein Plädoyer für ein Zusammendenken der sozialen mit der ökologischen Frage: Entgegen vieler Vorurteile erfüllten die große Mehrheit der Facharbeiter:innen mit ihrer Lebensweise erwiesenermaßen die Pariser Klimaziele, während die von den Eliten verursachten Emissionen in den letzten Jahrzehnten sprunghaft angewachsen sind. Aus diesem Grund müssen Eigentumsverhältnisse nach wie vor in Frage gestellt werden, wofür es starke Betriebsräte und Gewerkschaften brauche. Statt Zurückhaltung in Bezug auf Abschlüsse, aber auch Verbindungen zur Klimakrise, sollten kämpferische Vertreter:innen nicht – wie heute – trotz, sondern wegen ihrer kritischen Positionen gewählt werden.

Dörre zufolge sollen die, deren ökologischer Fußabdruck am größten ist, entsprechend an den Transformationskosten beteiligt werden. Zudem sei die Stärkung des öffentlichen Dienstes ein erster Schritt in die richtige Richtung, um die gesellschaftlichen Bedarfe in den Fokus zu rücken. Der Professor beendete seine Einleitung mit der Forderung nach einer 4-Tage- bzw. 32-Stunden-Woche und einem nachhaltigen Sozialismus. „Doch viele hier wollen keinen Sozialismus, deswegen brauchen wir einen Kompromissvorschlag“, verwässerte der Vortragende seine Position.

In der darauffolgende Podiumsdiskussion debattierten die LINKE-Vorsitzende Janine Wissler, Paul Hecker (Mitglied der Geschäftsführung IG Metall Köln-Leverkusen), Felicitas Heinisch von Fridays for Future (FFF) und die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle unter der Moderation von Ines Wallrodt (Tageszeitung nd) über die Rolle der Gewerkschaften in der Verkehrswende.

Heinisch von Fridays for Future betonte die Wichtigkeit einer Umorientierung weg vom Individualverkehr hin zu kollektiven Verkehrsmitteln wie Tram, Bus und Bahn. Vor allem berichtete sie von den positiven Erfahrungen von Klimaaktivist:innen und Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr. Mit dem Bündnis „Wir fahren zusammen“ waren im Rahmen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst bei ver.di organisierte Kolleg:innen im vergangenen März gemeinsam mit Klimaaktivist:innen auf die Straße gegangen. Dies sei das erste Mal, dass der Spruch „Streik in der Schule, Uni und Betrieb, das ist unsere Antwort auf eure Politik“ Wirklichkeit geworden sei. „Wir kombinieren die Streikmacht der Beschäftigten mit der gesellschaftlichen Macht der Klimabewegung“, so Heinisch. Auch Behles Bilanz fiel positiv aus. So würden Gewerkschaften immer in die Ecke gestellt, nur für mehr Lohn kämpfen zu wollen – der gemeinsame Streik mit FFF habe dieses Vorurteil widerlegt.

Hecker von der IG Metall hingegen hatte der Klimabewegung direkt in seinem ersten Redebeitrag Worte in den Mund gelegt, die deren Vertreterin vor Ort gar nicht ausssprach: „Industriearbeiter:innen wollen gar nicht zwingend Verbrenner fahren“.

Im Gegenteil: Heinisch zufolge seien Autofahrer:innen nicht zu verteufeln – es gebe ja noch gar keine Alternative. Die junge Frau war sogar explizit auf der Suche nach „neuen Allianzen“, um so Mehrheiten zu organisieren. Im Bündnis mit ÖPNV-Beschäftigten habe FFF mit den gemeinsamen Streiks aufgezeigt, dass dies möglich ist.

Doch der Metaller wiederholte unangenehm oft, nicht viele Überschneidungspunkte zwischen der Jugendbewegung und seiner Gewerkschaft zu sehen: Der Weg sei steinig, der Wille sei da. Statt einer Kritik am motorisierten Individualverkehr betonte Hecker die „Technologieoffenheit“ – ein umständliches Plädoyer für das E-Auto. Im Raum herrschte Unmut. Den Zuhörenden schien klar zu sein: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Fortschrittlich ist unzureichend

Wissler hingegen gab sich in Worten sehr radikal. So forderte die Ko-Parteivorsitzende der Partei DIE LINKE Enteignungen, Vergesellschaftungen und Vermögensumverteilung. Sie stellte die Produktionsverhältnisse an und für sich infrage, indem sie mit dem bekannten Marx-Zitat aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie forderte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Doch Wissler verschwieg gekonnt, dass ihre Partei selbst mit dem Auftrag einer gesellschaftlichen Mehrheit nicht enteignet. So ist die Linkspartei in Berlin der Umsetzung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ in anderthalb Jahren an der Regierung kein Stück näher gekommen.

Um den Klimawandel aufzuhalten, bleibe uns nur noch sehr wenig Zeit, so Wissler weiter. Währenddessen entschied sich die Berliner LINKE gegen die Weiterführung des 9-Euro-Tickets, führte an seiner statt ein 29-Euro-Ticket ein und trieb die Teilprivatisierung der S-Bahn mit Grünen und SPD zusammen weiter voran. „Klimaschutz ist als Klassenfrage zu begreifen“ und „Massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr“, wie Wissler auf dem Podium gestern sagte? In Berlin Fehlanzeige.

Eine weitere deutliche Lücke klaffte in der Diskussion: Während dem Thema in der ersten Seminarphase noch Raum eingeräumt war, ging es nun mit keinem Wort mehr um den Krieg. Dabei gehören die Themen Krieg und Klima untrennbar zusammen, wie auch Dörre zu Beginn noch angesprochen hatte. Inés Heider, Sozialarbeiterin und Redakteurin von Klasse Gegen Klasse kommentierte: „Wir möchten zum Thema machen, dass gewerkschaftliche Erneuerung ohne Antimilitarismus eine Sackgasse ist.“


Mit Klasse gegen Klasse berichten wir auch über den weiteren Verlauf der Konferenz. Auch die Arbeiter:innengruppierung KGK Workers und die marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik sind mit vielen Aktiven vor Ort, um über die Aufgaben von Linken in Gewerkschaften und Arbeitskämpfen zu diskutieren.

Auch der heutige Konferenztag hält mit etlichen Arbeitsgruppen und Branchentreffen ein volles Programm bereit. Doch heute soll nicht nur diskutiert werden, sondern auch gemeinsame Positionen über die Konferenz hinaus nach außen stark gemacht werden. Klasse gegen Klasse bringt gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht eine Resolution ein. Darin betonen wir unter anderem, dass der gewerkschaftliche Widerstand gegen die angedrohte Sparpolitik der Ampelregierung mit einer Positionierung gegen Waffenexporte und Aufrüstung verbunden werden muss.

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