Die Arbeit einer Hebamme im kapitalistischen Gesundheitswesen

07.02.2021, Lesezeit 9 Min.
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Von Maria Sbytova / Shutterstock.com

Leonie ist 25 Jahre alt und arbeitet Vollzeit als Hebamme in einem Krankenhaus in München im Kreißsaal. Im Interview kritisiert sie, wie der Kapitalismus die Gesundheitsversorgung und die Bedingungen bei der Geburt verschlechtert. Das Interview führte ihre Kollegin Charlotte Ruga.

Woran spürst du im Alltag, dass du in einem kapitalistischen Gesundheitssystem arbeitest?

In der Geburtshilfe ist der Profitdruck in den Krankenhäusern in den letzten Jahren vor allem dadurch extrem spürbar geworden, dass viele kleine Kreißsäle geschlossen wurden. Das bedeutet, dass die Kolleg:innen in den bestehenden Kreißsälen mehr abfangen müssen als sie können und viele Frauen, vor allem auf dem Land, teilweise über eine Stunde Fahrt zum nächsten Kreißsaal auf sich nehmen müssen. Das verschlechtert sowohl die Versorgung der Gebärenden als auch die Arbeitsbedingungen für uns Hebammen. Und so ist das bei vielen von diesen Sparmaßnahmen, die so spürbar sind.

Geburten werden mit den Fallpauschalen (DRG-System) sehr gering vergütet. Die Geburtshilfe, als ein Bereich der eher wenig Pathologien betreut, erwirtschaftet wenig für das Krankenhaus. Im DRG-System muss aber Geld erwirtschaftet werden, weil daran wieder Personalschlüssel, Investitionen und sowas hängen. Deshalb wird auch bei einer normalen Geburt geguckt, was sich Pathologisches finden und dokumentieren lässt, um das mit abzurechnen. Da geht der Druck vor allem auf unsere ärztlichen Kolleg:innen, die müssen mega wirtschaftlich denken, um ihre Arbeit „richtig“ zu machen.

Als Hebammen sind wir gespalten in Freiberufliche und Angestellte. Wenn wir Vorsorgen in der Schwangerschaft machen wollen oder Hausbesuche nach der Geburt, müssen wir uns dafür selbstständig machen, obwohl das eine total grundlegende Gesundheitsversorgung für Frauen ist. Also auch als Hebamme muss man wirtschaftlich denken und erlebt ständig die Zerrissenheit zwischen dem Wohlergehen der Frauen und Neugeborenen oder dem was sich finanziell lohnt.

Wenn man anfängt darüber nachzudenken, wo der Kapitalismus im Gesundheitssystem spürbar ist, merkt man wie umfassend das ist. Das sind Sachen, bei denen fast alle denken, dass sie normal sind. Zum Beispiel, dass die Reinigungskräfte und die Beschäftigten aus der Wäscherei nicht am Krankenhaus angestellt sind, sondern in externen Firmen, denn das ist billiger für‘s Krankenhaus. Das ist Outsourcing und so profitorientiert. Zum Beispiel ist die Wäscherei für unser Krankenhaus in Österreich, weil das billiger ist. In einem Winter mit viel Schnee, hatten wir phasenweise richtig lang keine Wäsche, weil die Wäscherei Lieferschwierigkeiten wegen dem Schnee hatte. Wie komisch ist das denn alles? Das ist so eine krasse Umweltbelastung und so sinnlos, dass das nicht hier in München gemacht wird.

Die Strukturen sind total durcheinander und widersprüchlich – Arbeitskraft wird verbraucht, ohne dass es ein sinnvolles Konstrukt gibt; es werden immer nur Löcher gestopft. So ist es auch allgemein mit dem Gesundheitssystem. Es gibt da auch einfach keinen Rahmen für präventives Arbeiten, keine Kapazitäten. Wir als Hebammen versuchen das so gut wie es geht in die gesamte Frauengesundheit einzubauen. Aber natürlich müssen wir auch in einem kapitalistischen Gesundheitssystem arbeiten. Ich hasse es und finde es so zermürbend, das die ganze Zeit zu spüren. Ich kann es immer nur bestmöglich machen, aber gut kann ich es nicht machen. Das ist so frustrierend täglich diese Grenzen zu spüren und zu wissen, dass es besser gehen würde.

Wie gehen du und deine Kolleg:innen damit um?

Wir sind alle erschöpft und frustriert davon, das ist spürbar. Aber für viele scheint der einzige Ausweg, einen individuellen Umgang mit dieser physischen und psychischen Belastung zu finden und zu akzeptieren, dass man es nicht so gut machen kann, wie man es gerne machen würde. Wir wissen gut, wo die Lücken sind und was anders sein müsste, aber wir sind als Berufsgruppe ziemlich isoliert von anderen im Gesundheitssystem.

Ich denke, man kann sagen, dass es bei Hebammen – obwohl wir natürlich genauso verschieden sind wie alle Frauen – eine sehr starke Identifizierung mit dem Beruf gibt und meine Kolleg:innen und ich einen realen Verantwortungsdruck spüren, für die Frauen, Familien und ihre Babys da zu sein. Klar finden wir unseren Beruf sehr schön – das ist er ja auch – aber wir wollen und müssen schon viel verändern. Oft verpufft unsere Energie aber darin, dass wir so isoliert sind oder der Rahmen zu klein ist, in dem Kämpfe stattfinden. Für etwas so Großes, wie ein anderes Gesundheitssystem braucht es eben auch große Kämpfe.

Wie hat sich das während der Corona-Pandemie verändert?

Ich finde, dass sich alles verschärft hat. Die Pandemie hat nur die Probleme noch sichtbarer gemacht, die schon da waren. Der Bedarf an Gesundheitsversorgung ist krass gestiegen, die Personalnot hat sich verschlimmert. Das Gesundheitssystem kann die Bedürfnisse nicht erfüllen, die die Gesellschaft hat, jetzt noch viel weniger. Das Coronavirus ist nicht das Grundproblem!

Dadurch ist die Frustration gewachsen, aber auch der Wunsch nach Veränderung bei Vielen.

Jetzt gibt es zum Beispiel die Initiative #ZeroCovid mit vielen wichtigen Ideen und Forderungen, trotzdem vernachlässigt sie die Frage der Strategie. Die große Frage ist ja, wie wir die Veränderungen, die wir wollen erreichen können, darüber müssen wir reden!

Wie stellst du dir ein Gesundheitssystem vor, das Menschen tatsächlich gesund hält und macht?

Ich liebe an der Hebammenarbeit, dass sie einen voll präventiven und ganzheitlichen Ansatz hat. Das ist insgesamt für eine gute Gesundheitsversorgung extrem sinnvoll und wichtig.

Ein gutes Gesundheitssystem bedeutet für mich kostenlose, flächendeckende und für alle zugängliche Angebote. Das fängt schon bei Bildung und Aufklärung an, geht über gleiche Leistungen für alle (also keine Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung) und einer anderen Infrastruktur. Ich fänd’s zum Beispiel total sinnvoll, wenn es in jedem Bezirk Gesundheitszentren gäbe, wo interdisziplinär gearbeitet wird und welche die ersten Anlaufstellen für alle Leute sind. Jetzt ist es so, dass die Praxen total überladen sind und schlecht verteilt, so dass die Menschen oft wegen unnötigen Sachen ins Krankenhaus gehen. Oder in unserem Fall gehen die Schwangeren für die Vorsorge zur Frauenärztin, zur Geburt ins Krankenhaus und zur Nachsorge kommt die Hebamme. Das ist keine gute kontinuierliche Betreuung, alle sagen was Unterschiedliches und die Behandlung kann nur oberflächlich bleiben. Diese oberflächlichen Behandlungen schmälern die Professionalität sehr!

Außerdem soll ein gutes Gesundheitssystem nicht nur die Patient:innen gesund machen, sondern auch die Gesundheitsarbeiter:innen. Momentan denk ich so oft nach der Arbeit, wie paradox das Arbeiten ist. Wir sind da, um Menschen gesund zu machen und arbeiten uns wirklich krank, physisch und psychisch.

Ich denke, ein gutes Gesundheitssystem kann nicht für Profite ausgelegt sein. Demnach muss es verstaatlicht sein – aber mehr als das muss es auch von uns selbst geleitet werden, weil wir, also jede Berufsgruppe, ja am besten versteht, wie die ideale Versorgung aussieht. Wir brauchen Strukturen, in denen wir uns interdisziplinär dazu austauschen und organisieren.

Es ist mega schwer, sich das im Kapitalismus vorzustellen. Um das zu überwinden, brauchen wir einen Plan, eine Strategie und die fängt auch im Kleinen, am eigenen Arbeitsplatz an und mit den Überlegungen, wie sich das verändern kann und wie wir dazu kommen, große Kämpfe zu führen.

Was denkst du – wie kann so etwas erkämpft werden?

Ich denke, dass das möglich ist und dass es auch viel Wissen darüber gibt. Momentan wird das bewusst von Arbeitgeber:innen und bürokratischen Strukturen gebremst und große Veränderungen können in diesem Rahmen nicht stattfinden. Es ist nicht so, dass es gerade eine Gesundheitsversorgung gibt, die alle daran Beteiligten gesund halten und machen soll, sondern die wirtschaftlich funktionieren muss. Ich denke, dass wir als Gesundheitsarbeiter:innen das Gesundheitssystem kontrollieren und aufbauen sollten, so wie es für alle am besten ist. Die Mittel sind ja da, es richtig gut zu machen.

Wir müssen uns gewerkschaftlich organisieren, denn die Gewerkschaften sind die Organe der Arbeiter:innen. Wir brauchen Streiks und Kämpfe mit Arbeiter:innen aus anderen Bereichen zusammen, die diese Interessen auch unterstützen. Dazu müssen wir die Führungen der Gewerkschaften unter Druck setzen und auch fordern, dass unsere Kolleg:innen aus outgesourcten Bereichen z.B. die gleichen Tarifverträge wie wir haben. Die politischen Fragen, die uns betreffen von Rassismus, Sexismus, sozialen Fragen… alles was uns täglich betrifft, müssen zusammen diskutiert werden in unserer gewerkschaftlichen Organisierung.

Für mich ist die Frage vor allem, wie viele Arbeiter:innen davon überzeugt werden können, mit diesem Bewusstsein gewerkschaftlich aktiv zu sein. Deshalb bin ich politisch bei akut organisiert, wo wir über diese Fragen diskutieren und mit diesem Programm Politik machen. Mir gibt das eine Perspektive. Wir reden darüber, was für eine Gesellschaft wir uns vorstellen – nämliche eine klassenlose, die nicht in diesem kranken System immer tiefere Abgründe zwischen Reich und Arm aufreißt, sondern in der alle Menschen die gleichen materiellen Bedingungen haben.

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