Die Antwort auf rassistische Strukturen in der Polizei ist ein Ausbau ihrer Befugnisse?
Während fast wöchentlich rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Polizei aufgedeckt werden, erteilen die Landesregierungen der Polizei immer mehr Befugnisse. Was für eine Perspektive brauchen wir im Kampf gegen Rechtsextremismus innerhalb der Polizei und institutionellen Rassismus?
Letztes Wochenende hatte die Polizei in Nordrhein Westfalen eine klare Antwort auf die 8.000 Menschen, die gegen eine Ausweitung der Polizeibefugnisse demonstrierten: Knüppel und Pfefferspray. Teilnehmer:innen “der Antifa” wurden über Stunden ohne Zugang zu Wasser und Toiletten festgehalten, um von jeder einzelnen Person die Personalien festzustellen. Ausgerechnet in einem Moment, in welchem fast wöchentlich rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Polizei ans Licht kommen, werden der Polizei in verschiedenen Bundesländern immer weitreichendere Befugnisse eingeräumt.
Erst vor einer Woche flammte die leidige Debatte um „Einzelfälle“ und eine „fragwürdige Polizeikultur“ durch eine Recherche der taz erneut auf. Diesmal ging es um rechtsextreme Beamt:innen innerhalb der Bundestagspolizei. Um Verstrickungen von Mitarbeiter:innen der Bundestagspolizei, Menschen an den Pforten des Bundestages und Angestellten privater Sicherheitsfirmen. Die Recherche brachte erneut zutage, wie das Sicherheitspersonal des Bundestages im Pausenraum Hitlergrüße zeigt, in rechten Chatgruppen rassistische und antisemitische Memes und Nachrichten verschickt und Flyer für Reichsbürgerbewegungen verteilt, um nur einige der Beispiele zu nennen.
Es lässt sich nicht stark genug betonen, dass solche Recherchen eine enorme Wichtigkeit in der Diskussion um den Zustand und die Rolle der Polizei haben. Ohne die unermüdliche Arbeit von Betroffenen (rassistischer) Polizeigewalt und kritischen Journalist:innen, wären die unzähligen „Einzelfälle“ nie an die Öffentlichkeit gekommen und eine Debatte um ein systematisches und institutionelles Rassismusproblem im Sicherheitsapparat nie entstanden.
Aber genau dieses Verständnis von einem „institutionellen“ Problem scheint selbst in dieser Recherche nicht vorhanden zu sein, wenn auch hier schon wieder die Frage aufgeworfen wird, wie es sein kann, „dass sich ausgerechnet im Herzen der Demokratie solche Vorfälle häufen.“
Es lassen sich unzählige Beispiele finden, dass die Polizei eine ihr immanente Tendenz hat, sich von ihren rechtlichen Vorgaben zu lösen, sich zu verselbständigen und ein rechtes politisches Programm zu verfolgen. Historisch entstand die Polizei als eine Institution, welche die wirtschaftliche und politische Herrschaft imperialistischer Staaten aufrechterhalten sollte. Bis in die heutige Zeit zieht sich diese Logik der Disziplinierung und Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen, um Menschen für die Gesellschaft “nützlich” zu machen. Dies findet über polizeiliche Maßnahmen statt, welche eben damals wie heute zutiefst rassistisch sind. Konkret zeigt sich das daran, wer von uns und der Polizei als schützenswert und wer als Gefahr für die öffentliche Sicherheit wahrgenommen wird, was sich in folgendem Zitat der taz-Recherche ausdrückt:
„Immer wieder gibt es Berichte über rechtsradikale Chatgruppen in Polizeibehörden. Doch bei der Bundestagspolizei geht es nicht um ein normales Polizeirevier, sondern um den Schutz des Parlaments und der Abgeordneten.“
Dieser Satz drückt genau diese Logik von Polizeiarbeit aus, nach welcher bestimmte Menschen und Interessen als besonders schützenswert gesehen und andere als Gefahr wahrgenommen werden. Besonders nachdem bekannt wurde, dass 13 der 19 rechtsextremen Polizeibeamt:innen aus der aufgelösten SEK-Einheit in Hanau im Einsatz waren, erscheint dieser Satz zynisch und die Frage „Wie kann es sein, dass sich ausgerechnet im Herzen der Demokratie solche Vorfälle häufen?“ ist naiv. Der Glaube daran, dass sich die Polizei, welche den Bundestag beschützt, von der unterscheidet, welche den Terroranschlag von Hanau hätte verhindern, die Betroffenen schützen oder die Geschehnisse aufklären sollen, zeugt von einer immer noch vorherrschenden Annahme, dass es sich bei solchen Fällen um Einzelfälle handle und die Polizei eine allgemeingültige Schutzfunktion erfüllen würde. Die demokratietheoretische Annahme, dass die Staatsgewalt als Ausdruck der Selbstbindung der Bürger:innen zu verstehen ist, lässt dabei schnell die Frage aufkommen, wer in diesem Sinne als Bürger:in und damit als schützenswert und wer als Gefahr für die öffentliche Ordnung verstanden wird. Diese differentielle Funktionslogik stellt ein inhärentes Problem der Polizei dar. Die Recherche zeigt, dass das Institutionelle des Rassismusproblems innerhalb des Sicherheitsapparates immer noch nicht verstanden wurde.
Dabei lässt sich jedoch nicht alles durch die historische Entstehungsgeschichte und Funktionslogik der Polizei erklären – denn Polizeiarbeit findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Polizist:innen haben aufgrund ihrer Arbeitsweise immer eine eigenständige Definitionsmacht innerhalb konkreter Situationen, welche ihnen einen gewissen Handlungsspielraum erlaubt. Sobald es um Themen wie „öffentliche Sicherheit“ und „Gefahrenabwehr“ geht, ist dieser besonders groß und stark von gesellschaftspolitischen Prozessen geprägt. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, welches Selbstverständnis die Beamt:innen haben und welche Rolle sie denken erfüllen zu müssen. Das wiederum existiert nicht getrennt von politischen Diskursen. So schlägt sich also in einer Institution, welche von ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Funktionslogik her schon grundlegend antidemokratische, beziehungsweise faschistische Tendenzen hat, der gesellschaftliche Rechtsruck besonders drastisch nieder, was auch die Recherche der taz bestätigt.
Ermittlungsinstanzen unter wessen Kontrolle?
Selbst nachdem sich Beamt:innen der Bundestagspolizei bei ihren Vorgesetzten über rechte Sprüche beschwerten und der Vorfall mit dem Hitlergruß durch die taz-Recherche an die Öffentlichkeit gelangte, wurden diese Vorwürfe als unbestätigt zur Akte gelegt, da die beschuldigten Personen derartige Handlungen abstritten. Dieser Tathergang zeigt erneut, dass wir nicht davon ausgehen können, dass eine Polizei, welche sich selbst kontrolliert, sich selbst zur Rechenschaft zieht. Die Umsetzung der lange überfälligen Forderung nach einer vom Staat unabhängigen Meldestelle und Ermittlungsinstanz wäre dafür ein erster Schritt, welcher den autoritären Charakter der Polizei einhegen könnte. Diese Strukturen müssen unter Arbeiter:innenkontrolle stehen, die Delegierten müssen von Arbeiter:innen gewählt werden und jederzeit abwählbar sein. Dabei könnte man beispielsweise auf bereits existierende Strukturen, wie die KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt) oder Death in Custody zurückgreifen, welche bereits seit Jahren diese Aufgabe übernehmen. Der Ausbau solcher Institutionen könnte dafür sorgen, dass wir endlich das ungefähre Ausmaß rechtsextremer Strukturen einschätzen können und sich Opfer staatlicher Gewalt weniger Sorgen um Folgerepressionen, wie beispielsweise Gegenanzeigen machen müssten.
Gleichzeitig ist es aber eine Illusion daran zu glauben, dass sich durch solche Reformen die Logik und die Rolle der polizeilichen Arbeit ändern würde. Ein erster nachhaltiger Schritt wäre, der Polizei ihre Finanzierung zu entziehen, statt diese immer weiter aufzurüsten und wie jetzt mit den neuen Plänen zum Versammlungsgesetz in Nordrhein Westfalen, ihre Kompetenzen zu erweitern. Diese freigewordenen Ressourcen sollten wir stattdessen in soziale Bereiche, wie Wohnungen und Gesundheit stecken, denn soziale Probleme können nicht durch eine weitere Spirale von Gewalt gelöst werden, sondern brauchen soziale Lösungen.