DGB-Chefin erneut für Treue zur Marktwirtschaft

28.01.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Stephan Röhl

Bei einer Veranstaltung der Böckler-Stiftung rief Yasmin Fahimi zur altbekannten Einheit auf. Eine Einordnung.

Der Nebel legt sich auf die Neubauten am Spreeufer. Sie spiegeln sich im ruhigen Wasser, an einem der schönsten Orte Berlin-Mittes. Die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) – die Gewerkschaftsstiftung – hatte zum Neujahresempfang geladen.

Unter dem Motto „Zeitenwende – Transformation – Zusammenhalt“ fand er am Mittwoch, den 25. Januar statt. Zwischen der Begrüßung und dem Schlusswort vergingen Stunden: Prof. Dr. Axel Honneth von der Columbia University hielt einen Vortrag über sein neu erschienenes Buch „Der arbeitende Souverän“. Später durften Studienstipendiat:innen, Promovierende, bei der Stiftung Beschäftigte sowie eingeladene Freund:innen der HBS einer Podiumsdiskussion folgen. Der Sozialphilosoph Honneth ist Teil davon – neben ihm aber unter anderem auch ein Betriebsrat. Es geht um den Vorschlag, das Betriebsverfassungsgesetz zu reformieren.

Das ist bitter notwendig. Heute hat nur jeder zehnte Betrieb in Deutschland einen Betriebsrat und jede sechste Betriebsratsgründung wird verhindert, so Yasmin Fahimi in ihrer Abschlussrede.

Fahimi ist die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Ihr zufolge brauche es bessere Arbeitsbedingungen, um die Teilhabe aller an der Demokratie zu gewährleisten. Es brauche mehr Tarifverträge und mehr Rechte für Betriebsräte sowie eine Deklarierung von Union Busting als Straftat.

Dann erzählt Fahimi, die Erwerbstätigenbefragung habe ergeben, „dass wir als Gewerkschaften an Vertrauen gewonnen haben; dass man merkt, dass man auf uns zählen kann, auch in der Krise; mit Wohngeld, mit Inflationsausgleichszahlungen, mit Energiepreisbremsen – all das, was wir letztes Jahr erwirkt haben“. Ganz so als könne man mit einer zeitnahen Bearbeitung des eigenen Antrags auf Wohnungsgeld rechnen. So, als wären die Inflationsausgleichszahlungen mehr als nur eine Option für unsere Chefs. Als würde die Gaspreisbremse nicht Unternehmen mehr und früher entlasten als Privathaushalte. So erhalten Unternehmen Gas für sieben Cent pro Kilowattstunde, während Privatpersonen für dasselbe Gas zwölf Cent pro Stunde zahlen müssen, sodass innerhalb von einem Jahr neue Leopardpanzer gebaut werden können, während Schulen heruntergeheizt werden.

DGB-Vorstand: Antikapitalist:innen sollten wieder entrechtet werden

Insgesamt könnte Fahimis Rede im Kontext der aktuellen Situation durchaus als rückschrittlich bezeichnet werden. Sie drehte sich viel um sozialen Frieden und gemeinsame Verantwortung. Durch die Krisen müssten wir doch gemeinsam durch und: „Wer aus diesem gemeinsamen Pfad ausscheidet, darf auch nicht erwarten, in Krisenzeiten unterstützt zu werden. Kurzum: Ohne Treue zu den Werten und Grundlagen einer sozialen Marktwirtschaft, kein Zugang zu den Vorteilen der sozialen Marktwirtschaft“.

Klar, gemeint sind in erster Linie Unternehmer:innen. Aber die Flanke nach links bleibt offen – ganz in der Tradition des Verbandes, den Fahimi vertritt. Als 1950 klassenkämpferische Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurden, ergänzten die DGB-Gewerkschaften diese Operationen mit riesigen Ausschlusswellen von Kommunist:innen und Sozialist:innen aus ihren Reihen.

Auch an anderer Stelle blieb Fahimi nicht einmal zweideutig. So ginge es für sie 2023 darum, „miteinander die Kraft zu entwickeln, dass das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit nicht nur nach wie vor eine prägende Komponente für die Gesellschaft ist, sondern dass sie Regeln braucht“.

Für Marxist:innen ist das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit das den Kapitalismus kennzeichnende. Aus ihm gehen zwei sich diametral gegenüberstehende Klassen hervor. Beschäftigte, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, weil sie sonst nichts besitzen undinfolge dieses Verkaufs lohnabhängig sind, auf der einen Seite.

Doch bei dem Tausch von Kapital und Arbeit handelt es sich um einen ungleichen Tausch, den wir Ausbeutung nennen. Kapitalist:innen, die selbst keine produktive Arbeit leisten, kaufen auf dem Markt die Arbeitskraft der Beschäftigten. Dieser, dann unmittelbar in der Produktion arbeitende Teil der Bevölkerung produziert jedoch mehr Wert als er in Form von Lohn erhält, den sogenannten Mehrwert. Diesen eignen sich ihre Bosse an.

Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit braucht also nicht mehr Regeln. Vielmehr muss Ausbeutung an und für sich ein Ende gesetzt werden. Doch Fahimi hatte schon Ende Dezember klargestellt, dass gerade nicht die Zeit für „kapitalismuskritische Grundsatzdebatten“ sei.

Dividenden? Nicht gezahlte Löhne!

Dies ist nur eine der Aussagen, durch die die Vertreterin von Millionen Beschäftigten in den letzten Wochen aufgefallen ist. Zuvor hatte sie kritisiert, dass Unternehmen, die über den Energiepreisdeckel 25 Millionen Euro staatliche Forderung erhalten „nur“ noch ohnehin vorab vereinbarte Boni an ihre Manager:innen auszahlen dürfen. Und: Firmen, die eben diese Subventionen in Höhe von 50 Millionen Euro oder mehr entgegennehmen, sollten entgegen der aktuellen Gesetzeslage weiterhin Dividenden an ihre Aktionär:innen ausschütten dürfen.

Worte wie diese zeugen von einem Rollenverständnis, das man wohl eher vom Arbeitgeberverband als von der Beschäftigtenvertretung erwarten würde. Daher hagelte es schnell Kritik – unter anderen vom Jugendverband der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem Studierendenverband der Brandenburger Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Aber Fahimi sitzt weiterhin im Rahmen der konzertierten Aktion regelmäßig mit der Bundesbank und Unternehmensverbänden zusammen – also CEOs, die in den für viele Menschen in diesem Land ökonomisch schwierigen letzten Jahren Milliardengewinne gemacht haben. Neben der Gaspreisbremse waren bisher schwache Tarifabschlüsse Ergebnis dieser Sitzungen.

Stattdessen sollten Gewerkschaften wieder kämpferische Organisationen werden. Dafür müssen wir sie aus den Händen dieser sozialpartnerschaftlichen Unternehmensfreund:innen zurückerobern.

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