1.Mai: DGB-Vorstand stellt sich hinter die Regierung – Wie viele Jobs ist die Sozialpartnerschaft wert?

01.05.2020, Lesezeit 9 Min.
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Dieses Jahr steht der 1.Mai ganz unter dem Zeichen von Corona und Wirtschaftskrise. Anstatt eine Perspektive gegen Entlassungen, Schließungen und Armut aufzustellen, nimmt der DGB-Vorstand die heutige online-Kundgebung zum Anlass, sich hinter Regierung und Unternehmen zu stellen.

Bildquelle: Screenshot aus dgb.de

Der 1. Mai findet dieses Jahr mit größeren Einschränkungen statt. Die traditionelle DGB-Mobilisierung in Berlin fällt aus. Stattdessen entschied sich die DGB-Führung für eine Live-Veranstaltung auf Facebook. Währenddessen werden in unterschiedliche Städten viele kleinere Kundgebungen gegen die Ausweitung der Arbeitszeit, unternehmensfreundliche Kurzarbeit oder Lage der Geflüchteten und Migrant*innen in der Krise abgehalten.

Angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und drastischen Auswirkungen auf Arbeiter*innen war die Aufmerksamkeit für die Kundgebung des DGB groß. Man wollte wissen, was die Funktionär*innen des DGB-Gewerkschaftsbundes über die Auswirkungen der Krise auf die Arbeiter*innen sagen, und was für ein Signal sie an die 6 Millionen Gewerkschaftsmitglieder und 45 Millionen Arbeiter*innen im Land senden. Die Arbeiter*innen, unter denen 10 Millionen Beschäftigten, die in Kurzarbeit sind, 300.000, die entlassen wurden und weitere Hunderttausende, die kurz vor Entlassung stehen.

DGB-Funktionär*innen stellen sich hinter die Regierung, Kurzarbeit und Hilfspakete für Kapitalist*innen

Und tatsächlich, Kurzarbeit war ein zentrales Thema der Kundgebung. Viele der Beschäftigten haben durch die Kurzarbeit-Regelungen höhere Lohnkürzungen und fürchten sich vor Entlassungen, während Unternehmen keinen einzigen Euro zahlen.

Stefan Körzell von DGB-Bundesvorstand meint dazu im Live-Stream:

(Die) Politik hat Milliarden Euro in die Hand genommen. Wir brauchen weitere Investitionen, damit die Wirtschaft wieder wächst. Es war genau richtig, was von der Bundesregierung gemacht worden ist. Es ist gut, dass wir 10 Millionen Arbeiter*innen auf Kurzarbeit haben, die nicht arbeitslos sind. In USA sind 30 Millionen arbeitslos geworden. Wir sind froh, dass wir einen Sozialstaat haben. Wenn das Geld nicht reicht, das bei der Bundesagentur für Arbeit existiert, muss der Staat mehr Geld in die Hand nehmen.

Diese Aussage sagt vieles. Sowohl die Regierung und Unternehmensverbände als auch die Gewerkschaftsbürokratie will uns Arbeiter*innen klar machen, die Kurzarbeitsregelung sei im Interesse der Beschäftigten.

Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Durch Kurzarbeit befreien sich die Unternehmen und Aktionär*innen von jeglichen Lohnkosten und schützen ihre privaten Profite, ja erhöhen sie sogar trotz der Krise. Währenddessen werden Milliarden von Euro an Unternehmen als Subventionen verschenkt, indem das Kurzarbeitergeld, das vom Staat an die Beschäftigten bezahlt wird, vollständig aus den Kassen der Bundesagentur der Arbeit finanziert wird. Also von Arbeitslosenfonds, die von Beschäftigten selbst bezahlt werden! Die Kolleg*innen verzichten also bis zu 40% ihrer aktuellen Löhne, und finanzieren damit noch die Profite der Aktionäre und Kapitalist*innen durch die vergangenen Kürzungen in Löhnen und öffentlicher Daseinsvorsorge.

Es ist das gleiche Spiel, das in der Finanzkrise 2008/9 von allen Regierungen gespielt wurde: die Unternehmen und Banken werden durch Milliardenhilfen gerettet, während die Kosten der Krise vollständig auf Arbeiter*innen geladen wird. Diese Politik wird nicht nur von SPD und Linke (und andere Parteien sowieso) getragen, sondern auch von unseren Gewerkschaftsspitzen, die nicht die objektiven Interessen der Arbeiter*innen in den Vordergrund stellen, sondern eine Sozialpartnerschaft mit Unternehmen und Bankiers, die alles andere als „sozial“ ist.

Nicht umsonst predigte die Verteidigungsministerin und Vorsitzende der CDU Anne Kramp-Karrenbauer, eine direkte Vertreterin der Kriegsindustrie und des Großkapitals, die heilige Sozialpartnerschaft, den Ausverkauf der Interessen der Arbeiter*innen an Unternehmen:

Solidarität ist für mich ein großartiger Wert, den wir gerade jetzt in der aktuellen Corona-Situation sehen… Ein Wert, der die Sozialpartnerschaft mitbegründet hat und bis zum heutigen Tag lebendig hält

Wie sollen die Hilfen für Unternehmen und Bankiers finanziert werden?

Wie die ganzen weiteren Hilfen für das Kapital finanziert werden sollen, sagt uns  der Berliner SPD-Finanzsenators Matthias Kollatz: Der Tagesspiegel berichtete gestern:

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) rechnet damit, dass wegen der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise im Doppelhaushalt 2020/21 „im günstigsten Fall“ rund sechs Milliarden Euro fehlen werden. […] Der Senator kündigte „ernste Konsequenzen“ an und hält es für möglich,eine Milliarde Euro bis Ende nächsten Jahres einzusparen, auch bei öffentlichen Investitionen und beim Landespersonal.

So müssen die Arbeiter*innen nicht nur mit Entlassungen und Kurzarbeit die Krise bezahlen, sondern auch mit weiterer Kaputtsparpolitik in Gesundheitsvorsorge und Landespersonal rechnen. Genau diese Politik ist für die heutige desaströse Lage in Krankenhäuser verantwortlich, wogegen es in vergangenen Jahren viele Streiks und zuletzt eine Unterschriftenliste von 5.000 Beschäftigten gab.

Anstatt die Arbeiter*innen für die Krise zahlen zu lassen, sollten hunderte von Milliarden Euro Vermögen der Aktionär*innen und Kapitalist*innen, die auf dem Rücken der Arbeiter*innen akkumuliert werden, massiv besteuert werden. Außerdem müssen Entlassungen komplett verboten werden. Unternehmen, die sich diesen Maßnahmen verweigern, müssen unter Kontrolle der Arbeiter*innen verstaatlicht werden.

#SolidarischNichtAlleine – solidarisch mit wem?

Die Gewerkschaftsbürokratie – die Funktionär*innen, Vorstände etc. – betonten auf der Kundgebung wie wichtig die Solidarität in Zeiten wie dieser sei. So war auch das Motto der Kundgebung #SolidarischNichtAlleine. Da stellt sich aber die Frage, um was für eine Solidarität es sich hier handelt?

Diese Frage beantworten die Worte des Vorsitzenden der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Guido Zeitler:

„Wir sind solidarisch mit denen, die den Laden in der Krise zusammenhalten. Auch mit den Beschäftigten der Lebensmittelindustrie. Danke, dass ihr dafür sorgt, dass die Regale im Supermacht voll haltet. Viele Läden in Gastronomie sind geschlossen. Beschäftigten bekommen [wenn sie nicht bereits entlassen sind.] viel weniger Geld und kommen schwer über die Runden. Lasst uns alle dazu beitragen, dass wir gut über die Krise kommen.“

Erstmal muss man klarstellen, dass die Arbeiter*innen keine „Danke“ brauchen. „Danke, dass ihr viel längere Schichten macht, weniger Lohn bekommt und von Entlassungen bedroht seid.“ Weder von der Regierung, noch von Gewerkschaftsspitzen. Wir brauchen eine Kampfperspektive für den Erhalt unserer Arbeitsplätze, gegen die Lohnkürzungen und Erweiterung unserer Schichten.

Wir brauchen Widerstand, damit nicht die Arbeiter*innen für die Krise bezahlen

Während es massive Angriffe (Entlassungswelle in Einzelhandel, Gastronomie: 10 Millionen Kurzarbeiter, 300.000 Tausend Arbeitslose etc.) auf die Arbeiter*innen seitens Unternehmer*innen und Regierung gemacht werden, müssen also „wir alle“ dazu „beitragen“, dass „wir“ über die Krise kommen, während die Kapitalist*innen ihr Vermögen weiter und weiter akkumulieren, sodass die Ungleichheit wächst.

Das ist die aktuelle Ansage der Gewerkschaftsführung an die hunderttausenden Arbeiter*innen, die entlassen wurden: dass sie durch eigene Armut, Leben von Hartz IV, Besuche bei der örtlichen Tafel, usw. dazu beitragen müssen, dass die Kapitalist*innen und Unternehmen ihre Profite retten.

Wenn man nicht in der Lage ist, die Aussagen der Gewerkschaftsführungen von den Aussagen von Regierungsmitgliedern oder Unternehmensverbänden zu unterscheiden, läuft hier etwas sehr grundlegend falsch. Das Problem heißt Sozialpartnerschaft, der Ausverkauf der Interessen der Arbeiter*innen an die Regierung und Unternehmer*innen, durch eine Kaste in unseren Gewerkschaften, die eng mit der Regierung zusammenarbeiten. Das sahen wir damals bei der Agenda 2010 und sehen es jetzt wieder in der Wirtschaftskrise.

Dabei ist es auch exemplarisch, dass bei der Kundgebung über 15 Regierungsmitglieder geredet haben, die den Kampftag der Arbeiter*innenklasse zu einer Bühne für die Regierung und Interessen der Kapitalist*innen verwandelt hat. So redete unter anderem Verteidigungsministerin Anne-Kramp-Karrenbauer (CDU), bis SPD-Vorsitzender Saskia Esken oder Grünen Bundesgeschäftsführerin Annalena Baerbock. Diese Regierungspolitiker*innen predigten gemeinsam mit Gewerkschaftsfunktionär*innen den Ausverkauf der Interessen der Arbeiter*innen an Unternehmen, also die Sozialpartnerschaft.

Jedoch ist eine Gewerkschaft und Arbeiter*innenschaft größer als ein paar dutzend Funktionär*innen, die sich mit der Regierungspolitik zufriedengeben. Zehntausende Kolleg*innen sind anderer Meinung. So kämpfen viele Kolleg*innen gegen Entlassungen wie in Metallbetrieb Voith oder mobilisieren sich gegen die unhaltbaren Zustände in Gesundheitssektor.

Damit wir als gesamte Arbeiter*innenklasse aus dieser Krise stärker rausgehen können und es nicht erlauben, dass wir die Krise bezahlen müssen, müssen wir unsere Kämpfe vereinen und in größeren Versammlungen selber über unsere Forderungen und über einen Kampfplan gegen die Regierungspolitik bestimmen. Dagegen ist die Politik der Gewerkschaftsbürokratie und „Chefetagen“ der Gewerkschaften ein Hindernis, die in unserem Namen die Politik der Regierung und Unternehmensverbände unterstützen.

Wir dürfen es nicht mehr zulassen, dass unsere Kämpfe seitens der Gewerkschaftsführung voneinander getrennt und lokal geführt werden. Wir brauchen größere Mobilisierungen aus allen Bereichen gegen die Ausweitung der Arbeitszeit, für ein Verbot aller Entlassungen, Vermögenssteuer auf die Unternehmenseigentümer*innen, Arbeiter*innenkontrolle und Verstaatlichungen der von Schließung bedrohte Unternehmen anhand eines Notfallprogramms für die Arbeiter*innenklasse.

[Hier kann man das Live-Stream der DGB-Kundgebung nachgucken.]

Wir wollen die online-Zeitung Klasse Gegen Klasse als eine Stimme der Linken und der Arbeiter*innen aufbauen, die von den Regierungsparteien unabhängig ist, damit die Kapitalist*innen für die Krise zahlen. Dafür wollen wir bundesweit ein Netzwerk von klassenkämpferischen Arbeiter*innen aufbauen, damit wir unsere Kämpfe bündeln und eine unabhängige Kraft der Arbeiter*innenklasse gegen die Krise organisieren können.

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