Deutschrap und sexualisierte Gewalt: Samra ist kein Einzelfall
TW: sexualisierte Gewalt. Am Mittwoch traute sich Nika Irani über ihre Erfahrungen mit dem Rapper Samra zu sprechen, wie er sie sexuell belästigt und vergewaltigt habe. Daraufhin meldeten sich immer mehr Frauen und Mädchen bei ihr, die ähnliche Erfahrungen mit Samra und anderen Rappern gemacht haben. Über Deutschrap und sexualisierte Gewalt.
Eigentlich sollten diese Vorwürfe niemanden überraschen, da es in der Rapszene – aber auch allgemein in der Musikindustrie – absolut geläufig ist, Frauen zu sexualisieren. Allerdings wird das oft damit gerechtfertigt, dass Worte etwas anders als Taten seien. Wenn in so vielen Texten Misogynie und sexualisierte Gewalt als “Stilmittel” benutzt wird, müsste man meinen, dass das irgendwann nicht mehr als solches abgetan wird. Sondern dass es als das verstanden wird, was dahinter steckt: misogynes Denken und gewalttätige Fantasien gegenüber Frauen.
Denn diese Taten in der Szene gibt es und das wird inzwischen immer klarer. Aktuell macht Nika Irani ihre Erfahrungen und die anderer Frauen publik, wodurch eine längst überfällige größere Welle bezüglich sexualisierte Gewalt in der Deutschrapszene losgetreten wurde.
Dass es sich bei Samra nicht um einen Einzelfall handelt, verdeutlicht sich, wenn man sich Berichte anderer Frauen – von denen Nika Irani Hunderte bekommen hat – durchliest. Immer wieder beschreiben sie ähnliche Situationen: im Studio, Backstage, in VIP Bereichen. Anscheinend werden auch in vielen Fällen die Handys vorher weggenommen, wahrscheinlich damit es keine Beweise geben kann. Oft wird dafür die Ausrede benutzt, dass der Rapper ja bekannt sei und nicht überall auf Fotos und Social Media zu sehen sein möchte.
Victim Blaming gegen Nika
Oft werden Opfer von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt gefragt, warum sie jetzt erst etwas sagen. Dabei wird vergessen, was für Traumata, Komplexe und Selbstvorwürfe mit solchen Erfahrungen verbunden sind. Auch Nika Irani fragt sich in ihrem Video, in dem sie von dem Vorfall erzählt, ob sie nicht auch einen Teil der Schuld trage. Als Opfer fragt man sich: Hätte ich mich anders verhalten sollen? Wäre die Situation eine andere gewesen, wenn ich nicht alleine hingegangen wäre? Habe ich falsche Signale gesendet? Hätte ich weniger trinken sollen? Was anderes anziehen sollen? Die Antwort auf all diese Fragen ist die gleiche: Nein. Vergewaltigungen finden aufgrund des Patriarchats statt und weil Vergewaltiger vergewaltigen. Dazu kommt auch oft das Herunterspielen von dem, was passiert ist: Vielleicht war das auch gar nicht so krass, vielleicht habe ich es anders in Erinnerung, als es wirklich war.
Es ist Realität, dass Opfern – vor allem wenn die Täter prominent sind – vorgeworfen wird, dass es falsche Beschuldigungen sind. Auch das trägt dazu bei, dass Frauen sich nach Übergriffen nicht äußern wollen und die Vorfälle für sich behalten. Tatsächlich ist es in nur drei Prozent der Fällen so, dass Vergewaltigungsvorwürfe ausgedacht sind, während nur jeder hundertste Vergewaltiger rechtskräftig verurteilt wird. Nichtsdestotrotz – und auch nach Bewegungen wie #metoo – ist es ein Vorwurf, mit dem Opfer immer wieder konfrontiert sind.
Auch die Reaktion aus Teilen der Deutschrap-Szene, die sonst immer mit “All Cops are Bastards” rum mackert, beschränkten sich auf eine billige Argumentation, dass Nika bisher keine Anzeige erstattet hätte. Die Rechtsprechung des angeblich so verhassten Staates wird auf einmal zum grundlegenden Mittel erklärt. Ganz in diesem Sinne berufen sie sich dann auch noch auf die Unschuldsvermutung, obwohl sich bei Nika dutzende Frauen gemeldet haben. Auch Samra will nun juristische Schritte gehen, da für den sonst so “Ghetto”-Rapper auf einmal die Aussagen von Staat und Polizei die wichtigste Instanz sind.
Auch Samras Anwältin Arabella Pooth beruft sich auf diese Rechtsklausel. Dafür schreckt sie auch nicht vor Unwahrheiten zurück. Aus ihrer praktischen Erfahrung heraus seien “Falschbeschuldigungen […] sehr, sehr häufig”, obwohl die Statistiken eindeutig dagegen sprechen. Ihre praktische Arbeit ist nichts als Täterschutz und dass sie die Vergewaltigungen dann auch noch als “Gerüchte” ab tut, ist ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Frauen. Fakt ist, dass nur ein Prozent aller Vergewaltiger rechtskräftig verurteilt wird. Es gibt unheimliche Hürden in den Gerichtsverfahren, die für die betroffenen Frauen traumatisierend und erniedrigend sind.
Es ist also nicht verwunderlich, dass Frauen lieber schweigen, anstatt sich anhören zu müssen, sie würden nur für Fame oder aus Aufmerksamkeitsgeilheit Vorwürfe von sexualisierter Gewalt erheben. Dass das unglaublich schmerzhaft für die Betroffenen ist, muss an dieser Stelle hoffentlich nicht weiter ausgeführt werden.
Viele Frauen – wie auch Nika Irani – wissen, dass auf die Polizei kein Verlass sein kann und deshalb hatte sie sich anfänglich entschieden keine Anzeige zu erstatten. Inzwischen will sie Anzeige erstatten und auch Samra habe die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Wir respektieren und unterstützen ihre Entscheidung. Dennoch: Es reicht nicht eine Entschuldigung zu fordern oder Anzeige zu erstatten. Die Dunkelziffer solcher Fälle ist wahrscheinlich gigantisch, was man auch an den Übergriffen von Gzuz, Bonez MC und Co. sieht. Um diese Fälle aufzuklären, braucht es unabhängige Untersuchungen von den Betroffenen. Darüber hinaus braucht es einen Kampf gegen jede patriarchale Gewalt, die in Vergewaltigungen und Femiziden ihren gewaltvollen oder sogar tödlichen Ausdruck findet. Diese Taten sind die letzten Glieder einer Kette der Gewalt, die sich durch alle Bereiche der Gesellschaft zieht: Durch Texte wie die von Samra und Gzuz, mit Objektifizierung und Sexualisierung von Frauen, mit ungleichen Löhnen, unbezahlter Reproduktionsarbeit, mit Catcalling, all das dient dem gleichen System.
Gerade in der Musikindustrie kann man auch die Rolle von Labels nicht ignorieren. Samra ist bei Universal unter Vertrag – so wie Gzuz auch. Zwei Tage nach der Veröffentlichung der Anschuldigungen posteten sie ein unspezifischen und heuchlerisches Statement auf Instagram – und deaktivierten die Kommentare.
Auch das zweite Statement, einen Tag später, ist nur eine erbärmliche Ausflucht um sich abzusichern. Was wir verstehen müssen ist, dass es für solche Labels nicht darum geht, ob die Texte, die Musik und die Künstler:innen frauenfeindlich, gewalttätig oder sonstiges sind. Solange aus und mit ihnen Profit geschlagen werden kann, ist alles gut. Am besten zeigt uns das Universal selbst, denn nur zwei Tage nach den ersten Anschuldigungen erschien am Freitag Nimos neuer Song “Komm Mit”.
Einen solchen Text zu veröffentlichen, während unter dem Hashtag #deutschrapmetoo und auf Nika Iranis Instagram-Profil stündlich neue Betroffene ihre Stimme erheben, lässt sich an Dreistigkeit kaum überbieten. Erst nach massiver Kritik haben Nimo und Universal den Song wieder zurückgezogen und sich entschuldigt – als ob sie vorher den Text nicht gekannt hätten. Ihre Entschuldigung ist somit eher eine Entschuldigung dafür einen schlechten Zeitpunkt für einen solchen Text gewählt zu haben, als eine Entschuldigung für den Inhalt.
Doch es gab auch Solidarisierungen von Rapper:innen und Musikjournalist:innen. Shirin David stellt sich klar hinter Nika Irani und ruft auf, nicht länger über den Sexismus in der Szene zu schweigen. Eine solche Reichweite und Solidarisierung wäre vor einigen Jahren in der männerdominierten Rapbranche unvorstellbar gewesen. Immer mehr weibliche Rapperinnen schaffen den Durchbruch und ermöglichen somit solche Diskussionen.
Aber zu hoffen, dass wir das Problem des Sexismus gelöst bekommen, indem wir mehr Frauen in den Vorstand von Universal und Co. schicken, ist leider zu kurz gedacht. Auch Frauen können ein Interesse an patriarchalen Texten und Verhalten haben – wenn sie damit Profit machen können. Das Interesse von den Bookerinnen, Producerinnen, allen Frauen, die in der Szene arbeiten, ist nicht das gleiche wie das der weiblichen CEOs. Durch ihre Position wollen sie das System aufrechterhalten, welches wir stürzen wollen.
Sexismus können wir nicht individuell lösen. Er wird aktiv aufrecht erhalten, damit mehr Profit gemacht werden kann und wir gespalten werden, anhand von geschlechtlichen und sexuellen Kategorien. Deshalb müssen wir bei den Ursachen ansetzen und gegen das System kämpfen, das solche Männer wie Samra und Nimo hervorbringt. Dafür müssen wir uns vernetzen und organisieren, um unsere Interessen durchzusetzen. Wir brauchen Komitees gegen Sexismus in den Labels, wir brauchen Frauenkommissionen, die politisch diskutieren, wie wir kämpfen wollen und eine demokratische Verwaltung der Branche. Wir müssen uns zusammentun mit allen, die unter Unterdrückung und Ausbeutung leiden und eine Bewegung aufbauen, die weder auf Vermittlungsinstanzen noch auf den Staat und seine Polizei vertraut, um Patriarchat und Kapitalismus endlich zu stürzen.
Aus rechtlichen Gründen müssen wir darauf hinweisen, dass die Anschuldigungen gegen Samra noch nicht bewiesen wurde und wir deshalb in diesem Artikel bzgl. Samra nicht faktisch, sondern spekulativ schreiben. Diese juristische Hürde ändert nichts daran, dass wir uns auf die Seite der betroffenen Frauen stellen.