Deutsche Chemie, syrische Tote
Am 7. April feuerte die US Navy 59 Tomahawk-Raketen auf den Al-Shayrat-Luftwaffenstützpunkt in Syrien. Überparteilich erntete Trumps Angriff Lob, nicht nur in den Vereinigten Staaten. Auch Deutschland drückte Zustimmung für den Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt aus, der als Basis der vermeintlichen Chemiewaffenangriffe des Assad-Regimes gilt.
Bild: Chemiewaffeninspektoren in Syrien
„Wir wissen alle, dass Chemiewaffen international geächtet sind, und wer sie einsetzt, begeht ein Kriegsverbrechen“, so die Kanzlerin. Weiterhin ist der Stellungnahme der Regierung zu entnehmen, der Angriff sei angesichts der Dimension der Kriegsverbrechen, angesichts des Leids der unschuldigen Menschen und der Blockade im UN-Sicherheitsrat „nachvollziehbar“. Zuspruch fand Merkel außerdem in einem Gespräch mit Frankreichs Präsident Hollande und dem italienischen Ministerpräsidenten Gentiloni. Sie waren sich einig, dass, „die alleinige Verantwortung für diese Entwicklung Präsident Assad trage“. Diese völlige Verdrehung der Logik ist zumindest außenpolitisch konsequent. Verantwortung für Luftangriffe wird auf die Bombardierten geschoben, während sich die Aggressoren, die die eigentliche Kriegshandlung ausüben, gegenseitig reinwaschen. Dabei bedient sich die Bundesregierung der gleichen Logik, welche sie dem Assad-Regime vorwirft, die Opfer hätten eigenverantwortlich die Aggressoren zum Angriff genötigt. Diese Nötigung zum Angriff hängt von der willkürlichen US-amerikanischen Außen- und vor allem Innenpolitik ab und hat somit nur Gültigkeit, wenn Aussicht auf politische Instrumentalisierung besteht.
Giftgas aus Tradition
„Konsequent“ ist die Kanzlerin auch, wenn sie den Einsatz von Chemiewaffen als Kriegsverbrechen bezeichnet. Diese Aussage entwickelt zusätzliche Bedeutung, wenn man Deutschlands Exporte etwas genauer betrachtet. Bereits während des Vietnamkrieges 1965 wurde Agent Orange, welches von einem Gemeinschaftsunternehmen von Monsanto und Bayer AG hergestellt und vertrieben wurde, an die US-Streitkräfte im Vietnam geliefert. Allein im Jahr 1967 wurden Zwischenprodukte, notwendig zur Herstellung von Agent Orange, in einer Menge von 720 Tonnen von der deutschen Firma Boehringer Ingelheim exportiert. Die katastrophalen Konsequenzen des biochemischen Kampfstoffes Agent Orange, die bis heute schätzungsweise ein bis vier Millionen Menschen durch Spätfolgen betreffen, sind im Vietnam noch deutlich zu spüren. Gut zwanzig Jahre später, im Jahr 1988, halfen deutsche Firmen, durch jahrelange biochemische Aufrüstung, bei Saddam Husseins Vernichtung Tausender Kurd*innen. Der Irak, ein wichtiger Verbündeter gegen den durch eine islamische Revolution abtrünnig gewordenen Iran, war damals allerdings noch geostrategischer Partner der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Aufrüstung mit biologischen und chemischen Kampfstoffen durch deutsche Unternehmen hat Tradition.
Zahnpasta statt Massenvernichtungswaffen
Aus den Fehlern der Vergangenheit haben die Bundesregierung und die Waffenindustrie gelernt. Zwischen 2002 und 2006 hat Deutschland 111 Tonnen „ausschließlich zivile“ Chemikalien nach Syrien exportiert. Die zivile Nutzung versicherte die syrische Regierung. Fluorwasserstoff, welches den Großteil der Lieferungen ausmachte, kann man zum Beispiel für Zahnpasta verwenden. Allerdings kann man es ebenso für Massenvernichtungswaffen verwenden. Fluorwasserstoff ist somit „Dual Use“ und kann problemlos, legal, exportiert werden, auch in Krisenregionen. Falls dennoch Zweifel entstehen, versichert die Kanzlerin, dass die zivile Nutzung „plausibel dargestellt worden“ sei und dass es „keine Hinweise“ auf Waffenbau gäbe.
Chemiewaffenprogramm Made in Germany
Der Exportweltmeister Deutschland beschränkt sich nicht nur auf „Dual Use“-Exporte, sondern hat auch zwischen 1982 und 1993 mit über 50 Lieferungen maßgeblich am Aufbau des syrischen Giftgas-Programms mitgewirkt. Nach Information der „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“, der Süddeutschen Zeitung und dem NDR, exportierte Deutschland unter anderem Steueranlagen, Pumpen, Kontrollventile, Gas-Detektoren, eine Chemiewaschanlage und 2400 Tonnen Schwefelsäure nach Syrien. Außerdem exportierten deutsche Firmen Anlagen, welche Vorstoffe produzieren, die in Verbindung mit Schwefelsäure die Produktion des Giftgases Sarin ermöglichen. Die Berichte über die UN-Ermittlungen zum Chemiewaffenprogramm unterliegen der zweithöchsten Sicherheitsstufe und sind somit der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Nach Anfrage der Linkspartei teilte die Bundesregierung mit, dass die Geheimhaltung dem Schutz der betroffen Unternehmen gelte. Es handele sich um „Geschäftsgeheimnisse“, die Lieferungen unterlägen keinem Verbot und es gäbe keine Genehmigungspflicht.
Die „rote Linie“, welche mit dem Einsatz von Chemiewaffen als überschritten gilt, dient lediglich als Vorwand für die Umsetzung geostrategischer Ziele. Die gefühlte moralische Überlegenheit der imperialistischen Staaten entlarvt sich nicht nur selbst als Profitgier, sondern ist auch zutiefst scheinheilig und menschenverachtend. „Wir wissen alle, dass Chemiewaffen international geächtet sind, und wer sie einsetzt, begeht ein Kriegsverbrechen“, so die Kanzlerin. Die Anwendung wird verurteilt, während die Produktion nicht nur gebilligt, sondern aktiv geschützt wird. Das ist deutsche Außenpolitik.