„Der Zentralrat spricht nicht in unserem Namen“
Berliner Juden*Jüdinnen protestieren gegen rassistische Positionen des Zentralrats und setzen sich für Geflüchtete ein. Ein Gespräch mit Yossi Bartal aus Jerusalem, der seit zehn Jahren in Berlin wohnt. Zusammen mit anderen jüdischen antirassistischen Aktivist*innen organisierte eine Kundgebung unter dem Motto „Nicht in unserem Namen – Juden gegen Rassismus“.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, fordert eine Obergrenze für Geflüchtete in Deutschland. Wie reagiert die jüdische Community in Berlin auf derartige Aussagen?
Es gibt viele jüdische Communities und auch viele Juden*Jüdinnen, die keiner solchen angehören. Juden*Jüdinnen in Deutschland vertreten fast alle Positionen, die in der Gesellschaft zu finden sind – bis auf die der NPD. So gibt es auch viele rechtspopulistische und rassistische Einstellungen, auch Leute, die auf Pegida-Demos gehen. Es gab aber auch viele, die bestürzt auf die Äußerungen von Schuster reagiert haben und sich im Gegenteil für die Rechte von Geflüchteten einsetzen.
Wie lief die Kundgebung „Nicht in unserem Namen“ Ende November?
Bis zu 100 Menschen versammelten sich. Der Zentralrat spricht in unserem Namen, obwohl wir keine Mitglieder sind. Wir wollen nicht, dass er Pauschalisierungen und Vorurteile gegen Migrant*innen verbreitet. Für uns ist das Recht auf Asyl nicht verhandelbar – vor allem aufgrund unserer familiären Geschichten. Fast jede*r von uns hat Familienangehörige verloren, weil sie kein Visum bekommen haben und weil kein Staat seine Grenze für sie aufmachte.
Mit seiner Forderung nach Obergrenzen positioniert sich Schuster in der Nähe von Rechtspopulist*innen von AfD und CSU. Entstehen hier neue Allianzen?
Allianzen zwischen israelischen und europäischen Rechten existieren seit vielen Jahren. Die Siedler*innenbewegung lädt auch immer wieder rechtsextreme Politiker*innen aus Europa nach Israel ein. Ich sehe es nicht als besondere Entwicklung, dass konservative deutsche Juden*Jüdinnen die CSU oder die AfD unterstützen. Sie sind halt Deutsche, und manche von ihnen werden auch rechts und rassistisch wählen, solange diese rechten Parteien nicht zu offensichtlich Antisemitismus verbreiten.
Unter jüdischen Berliner*innen wird kontrovers diskutiert, ob es gefährlich ist, durch migrantisch geprägte Viertel wie Neukölln mit einer Kippa zu laufen. Wie schätzt du die Situation ein?
Diese Diskussion ist für mich seltsam. Erstens tragen deutsche Juden*Jüdinnen normalerweise keine Kippa in der Öffentlichkeit. Zweitens kann man hier überall antisemitische Anfeindungen erleben – meiner Meinung nach eher in einem Brandenburger Kaff als in Neukölln.
In Vierteln wie Neukölln und Kreuzberg leben heute Tausende Juden*Jüdinnen, vor allem aus Israel. Die Zahl hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Die meisten fühlen sich sicher und verstecken sich keineswegs; sie lesen Bücher auf Hebräisch in der Bahn und sprechen laut hebräisch, wenn sie in arabischen Restaurants essen.
Es ist allerdings nicht überraschend, dass es auch hier manchmal zu Gewalt und Anfeindungen kommt – vor allem aufgrund der angespannten Situation in Israel/Palästina. Man kann aber nicht davon sprechen, dass es in den genannten Stadtteilen besonderes schlimm ist. Migrant*innen zu Hauptverdächtigen für Antisemitismus zu machen, ist faktisch falsch und zutiefst rassistisch. Die Zahlen zeigen ganz klar, dass antisemitische Verbrechen vor allem von Deutschen ausgehen.
Gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen seitens jüdischer Menschen aus Israel, Deutschland, Russland und anderen Ländern?
Natürlich gibt es große Unterschiede: Israelis in Deutschland sind liberaler, säkularer und linker eingestellt als die Mitglieder der jüdischen Gemeinden. (Eine neue Studie zeigt, dass Israelis in Berlin auch viel linker sind als der Durchschnitt in Israel.) Darüber hinaus sind sie stärker von der israelischen Politik desillusioniert, während Juden*Jüdinnen, die hier geboren sind, die rassistische Besatzungspolitik eher unterstützen.
Solche Einstellungen beeinflussen auch die Reaktionen auf die Geflüchteten aus dem Nahen Osten. Die Israelis hier verstehen besser, dass der Hass vieler Araber*innen – besonders bei Palästinenser*innen und Libanes*innen – gegen den Staat Israel keinem pathologischen Antisemitismus entspringt. Vielmehr handelt es sich um eine nachvollziehbare Reaktion auf Besatzung und Krieg. Wenn man wie der Vorsitzende des Zentralrats die israelische Politik richtig findet, sogar für heilig erklärt, dann müssen die Araber*innen irrational und hasserfüllt sein. Diese rassistische Logik wendet sich dann auch gegen Syrer*innen, die hier her kommen und sich für die israelische Politik nicht so sehr interessieren.