78 Jahre Nagasaki: Auch Oppenheimer war ein Kriegsverbrecher

09.08.2023, Lesezeit 20 Min.
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Foto: Cillian Murphy in Oppenheimer / Universal Studios

Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA Atombomben auf Japan. Heute wird der Blockbuster über deren Vater viel gehyped – aber auch kritisiert. Eine marxistische Sicht auf Nolans Film, den historischen Kontext und die Beziehung zwischen Wissenschaft und Militarismus.

Der neue Blockbuster von Christopher Nolan behandelt als Filmbiographie von J. Robert Oppenheimer die Frage, was die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden ist. Wir möchten uns deshalb kritisch mit dem Film befassen, dabei besonders die Rolle des US-Imperialismus beleuchten und uns fragen, ob Oppenheimer ein gutes Vorbild für die Massen, die Intellektuellen und die Wissenschaft ist.

Die Filmbiografie – basierend auf dem Buch American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer von Kai Bird und Martin J. Sherwin – stellt das Leben von J. Robert Oppenheimer und die Erfindung der Atombombe dar. Der Film beginnt bei Oppenheimers Studienzeit mit seinen Stationen in Cambridge, Göttingen, Berkeley bis hin zu seiner Arbeit am Manhattan Project in Los Alamos und den Folgen der Bomben. Auch seine Beziehungen zur Kommunistischen Partei und ihren Mitgliedern werden auf die Leinwand gebracht, genauso wie seine Haltung vor, während und nach dem Bau der Atombombe beziehungsweise dem Abwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Unterstützt wird das von vielen bekannten Schauspieler:innen wie Cillian Murphy in der Hauptrolle, Emily Blunt als Kitty Oppenheimer, Robert Downey Jr. als Lewis Strauss, Florence Pugh als die Kommunistin Jean Tatlock oder Tom Conti als Albert Einstein.

Oppenheimers Symbiose von Wissenschaft und Militär

Zu Beginn des Films werden die fortschrittlichen Elemente aus Oppenheimers Leben gezeigt. Er unterstützt den Kampf gegen den Faschismus in Spanien, hilft bei gewerkschaftlicher Organisierung und besucht Veranstaltungen von kommunistischen Gruppierungen. Das wird jedoch kurz danach wieder erstickt und durch eine Militarisierung der Unis ersetzt. Völlig normalisiert wird gezeigt, wie das US-Militär freien Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten an den Universitäten hat, diese teilweise selbst betreut oder ausübt. Von Oppenheimer gab es diesbezüglich keine Antihaltung, sondern den gesamten Film über – wenn auch anfangs mit großer Skepsis dem betreuenden General gegenüber – eher Sympathie in Form einer konstatierten Notwendigkeit im Kampf gegen den Faschismus und einem deutlichen Patriotismus. Dabei wird auch ganz klar, dass es sich bei Oppenheimer keinesfalls um einen Anti-Kriegsfilm handelt. Ganz im Gegenteil: Der Film kritisiert den Antikommunismus der USA als überzogen, weil Oppenheimer dadurch Probleme hatte, seine Dienste als treuer und loyaler Wissenschaftler gegenüber dem US-Imperialismus zu bringen, obwohl er offensichtlich dazu gewillt war. Als diese Hürde überwunden ist, sieht man auch, wie Oppenheimer euphorisch seine Kolleg:innen für den Bomben-Bau gewinnen will.

Was hier als „normal“ dargestellt wird, darf nicht normal sein. Die wissenschaftlichen Arbeiten des US- oder deutschen Militärs dienen nie fortschrittlichen Zwecken wie dem Wohl der Gesellschaft, sondern imperialistischen Kriegen und ihrer grausamen Ausbeutung von Halbkolonien. Die Geschichte und die Gegenwart lehren uns das nur zu gut. Wissenschaftliche Erkenntnisse an Universitäten, die mit Kreativität, Begabung, harter Arbeit der Forschenden und Studierenden erreicht werden, werden durch einen freien Zugang des Militärs missbraucht und beispielsweise zum Zwecke der Modernisierung von Kriegsführung und Waffenproduktion ausgenutzt. Ein wirklicher Antikriegsfilm hätte sich dem klar und deutlich entgegengestellt. Das Militär darf keinen freien Zugang zu Universitäten und wissenschaftlichen Arbeiten haben. Weder in den USA, noch in Deutschland, noch anderswo.

Der Film macht auch deutlich, dass Oppenheimer die Atombombe nicht mehr als rein wissenschaftliche Meisterleistung gesehen hat. Wissenschaftlich betrachtet war er ein Genie. Immerhin hat er die Quantenphysik enorm vorangebracht. Mit dem Manhattan-Projekt hat er definitiv auch einen riesigen Teil zur Forschung beigetragen. Aber Wissenschaft ist nicht in einer isolierten, hermetisch abgeriegelten Welt zu betrachten. Für die Politik war wohl klar, dass das Manhattan-Projekt nicht finanziert wurde, um Wissenschaftler:innen einfach Forschung zu ermöglichen. Vielmehr wollte sie etwas von der Wissenschaft, was sie offensichtlich auch bekam.

Heute wird bei Forschungsanträgen eine Stellungnahme darüber verlangt, ob man davon ausgeht, dass die eigene Forschung zur Gefahr werden könnte, geriete sie in “falsche Hände”, beziehungsweise, ob sie neben zivilen auch für militärische Zwecke eingesetzt werden könnte. Diese Praxis wird derzeit aber immer schärfer in Frage gestellt. So fordert unter anderem CDU-Politiker Friedrich Merz, dass die Bundeswehr freien Zugriff auf die Forschung an Unis in Deutschland bekommen und Zivilklauseln – die Verpflichtung, lediglich zu zivilen Zwecken zu forschen – abgeschafft werden sollen. In Bayern gibt es diese hingegen nicht einmal, weshalb der Chemie-Exzentriker Thommy Klapötke an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München auch explizit an der grünen Bombe für die US Army forschen kann. Auch das Pentagon – das Verteidigungsministeriums der USA – finanziert Rüstungsforschung mit Drittmitteln an der LMU.

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Foto: Cillian Murphy in Oppenheimer / Universal Studios

Wir sehen: Diese Fragen sind hochaktuell. Auch deshalb, weil von Drittmitteln oftmals abhängt, ob man die eigene Forschung überhaupt realisieren kann und eine Stelle bekommt. Auf die eine oder andere Art werden Wissenschaftler:innen immer in den Konflikt kommen: Geld haben, forschen können, seine Existenz sichern, aber womöglich die eigenen ethischen und politischen Ideale verraten oder kein Geld haben, nicht forschen können, arbeitslos sein, aber seine ethischen und politischen Ideale nicht verraten. Der Film insistierte an einer Stelle explizit darauf, dass Oppenheimer Sanskrit – eine hinduistische Sprache – gelernt hat, um einerseits seine Genialität herauszustellen. Andererseits könnte hieran, also der Auseinandersetzung mit dem Hinduismus und Buddhismus, möglicherweise deutlich werden, dass selbst Menschen, die die Welt bis zum Atom hin rational erforschen, dennoch an etwas hängen, das gerade nicht rational erklärbar ist. Und dass sie eben nicht die Welt in ihrer Gesamtheit überblicken, weder theoretisch noch praktisch. Zum Beispiel hinsichtlich dessen, was die Ziele der Herrschenden sind oder welche Konsequenzen etwas haben könnte, wenn es außerhalb der Theorie stattfindet.

Atomforschung, Atomkraft, Atombomben

Es wäre auch falsch, der Erforschung von Atomkraft von Beginn an einen Riegel vorzuschieben. Der sozialistische Revolutionär Leo Trotzki schrieb 1926 – also lange vor dem Bau der Bombe und auch vor der Erforschung der Negativfolgen, die uns heute bewusst sind – sehr positiv über atomare Forschung:

“Das Atom enthält in sich eine gewaltige verborgene Energie, und die größte Aufgabe der Physik besteht darin, diese Energie freizusetzen, den Korken herauszuziehen, damit diese verborgene Energie hervorbrechen kann. Dann eröffnet sich die Möglichkeit, Kohle und Öl durch Atomenergie zu ersetzen, die auch zur wichtigsten Antriebskraft wird. […] Vor der befreiten Menschheit werden sich unbegrenzte technische Möglichkeiten auftun.”

Die zentrale Frage ist jedoch, wer die Wissenschaft kontrolliert und für sich nutzen kann. Während Trotzki davon schreibt, das Leben der Menschheit zu verbessern, wollten die Militärs und Politiker:innen des US-Imperialismus sie für ihre kriegerischen Interessen nutzen und eine Massenvernichtungswaffe schaffen. Dieses Verhältnis von Forschung, Maschinen und Privateigentum brachte der brillante Astrophysiker Stephen Hawking (1942 – 2018) auf den Punkt:

“Wenn Maschinen all das herstellen, was wir brauchen, wird das Ergebnis davon abhängen, wie diese Dinge verteilt sind. Jede:r kann ein Leben voll luxuriösen Müßiggangs führen, wenn der von den Maschinen produzierte Wohlstand geteilt wird, oder aber die meisten Menschen könnten erbärmlich arm werden, wenn die Besitzer:innen der Maschinen erfolgreich gegen eine Verteilung des Wohlstands vorgehen.” (Eigene Übersetzung)

Nun war die Forschung allerdings im Interesse der Imperialist:innen, es gibt diese Massenvernichtungswaffen und Linke müssen sich dazu positionieren. Angesichts der Zeitenwende und des Ukrainekriegs wird immer deutlicher, dass Waffenlieferungen keinen Sieg für “die Richtigen” bedeuten, wie es sich Liberale und Rechte wünschen. Trotz der vielen Waffen dauert dieser Krieg nun schon über 500 Tage. Und seit Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute wurde lediglich im September 1945 kein Krieg mehr auf der Welt gezählt. All jene, die „auf die 40 Jahre europäischen Friedens hinweisen, vergaßen die Kriege, die außerhalb Europas sich abspielten und in denen Europa die Hand mit im Spiele hatte“, so Rosa Luxemburg. In vielen von ihnen und gerade auch in der Ukraine ist das Thema der Massenvernichtungswaffen präsent (gewesen). Während Putin bereits damit gedroht hat, dass er atomare Waffen einsetzen könnte, liefern die USA schon jetzt Streumunition, die zwangsläufig zu toten Zivilist:innen führt.

Gerade das Thema rund um Atomwaffen ist auch für den deutschen Diskurs ausschlaggebend. Die USA lagern aktuell etwa zwanzig B61-Atombomben auf dem deutschen Atomwaffenstützpunkt „Fliegerhorst Büchel“. Sie sind für den Ernstfall stationiert und zur Benutzung durch die Bundeswehr freigegeben. Diese gelagerten Bomben sind kein Vergleich zu den Atombomben, die in Hiroshima und Nagasaki Hunderttausende töteten. Nein, jede dieser Bomben hat eine maximale Sprengkraft, die mit der von 13 Hiroshima-Bomben vergleichbar ist. Das Ausmaß der Zerstörung ist nahezu unvorstellbar und dennoch wird sie durch die nukleare NATO-Teilhabe, an der sich die Bundesregierung freiwillig beteiligt, legitimiert. Immerhin üben deutsche Soldat:innen regelmäßig den Abwurf in Simulationsprozessen, da sie im besagten Ernstfall verpflichtet sind, die Bomben auf Zielgebiete abzuwerfen. Die aktuellen B61-Bomben sollen 2024 übrigens durch modernisierte Versionen ersetzt werden, die nicht mehr frei fliegen, sondern sogar gelenkt werden können. Im Zuge des Sondervermögens hat Deutschland auch für zehn Milliarden Euro Kampfjets gekauft, die diese Bomben abwerfen könnten.

Linke müssen zweifelsfrei für die Abschaffung aller Atomwaffen eintreten. Statt der Erforschung immer neuer, größerer und neuerdings auch umweltfreundlicher Bomben, braucht es eine Forschung, die einen Plan entwickelt, wie man den ganzen Atommüll und die rund 12.500 nuklearen Sprengköpfe sicher entsorgen kann. Auch das wird eine Mammutaufgabe – schließlich strahlt der Müll die nächsten 50.000 Jahre.

Nicht zuletzt ist die Aufrüstung auch direkt mit der sozialen Frage verbunden, denn die Militarisierung hat gravierende Auswirkungen für die Bevölkerung: Um sie zu gewährleisten, wird in anderen Sektoren drastisch gekürzt, vor allem im Sozial- und Gesundheitssektor. In Oppenheimer wird zwar erwähnt, wie teuer der Bau der Bomben war, aber auf die sozialen Folgen wird überhaupt nicht eingegangen. Die aktuelle Kürzungspolitk der Bundesregierung ist ein Paradebeispiel. Während über 100 Milliarden für die Bundeswehr über Nacht positiv entschieden werden konnte, protestieren Lehrkräfte seit Jahren für die Sanierung und Modernisierung ihrer Schulen und gegen den Personalmangel. Auch in der Pflege fehlen über 100.000 Arbeiter:innen, was eng mit den niedrigen Löhnen und dem hohen Arbeitsdruck zusammenhängt.

Die Erfindung der Atombombe wird von Nolan einerseits als wissenschaftlicher Fortschritt dargestellt. Andererseits wird sie mit dem Kampf gegen den deutschen Faschismus legitimiert und in Zusammenhang mit der jüdischen Abstammung Oppenheimers gesetzt. Damit wird schon relativ früh versucht darzustellen, dass dessen Meisterleistung notwendig gewesen sei, um die Nationalsozialist:innen zu besiegen. Gewissensbisse Oppenheimers und seine Antihaltung gegen eine noch stärkere Wasserstoffbombe sollen eine kriegskritische Perspektive aufweisen und die Zuschauer:innen zu einer gewissen Sympathie mit der Entscheidung zum Abwurf der Atombombe bringen. Nolan versucht damit wohl, eine liberale Position zu zeigen, in der Krieg zwar generell abgelehnt wird, aber gegebenenfalls notwendig ist, um die gesellschaftliche Ordnung zu wahren. Dabei nimmt er während des Films im Zusammenhang mit der Atombombe selbst zwar weder eine linke noch eine rechte Positionierung ein. Jedoch macht er an anderen Stellen klar, dass er durch und durch Patriot und Anhänger der Demokratischen Partei ist. Dies zeigt sich auch, wenn man den Film an der realen Geschichte misst.

Verzerrte Realität

Aufmerksame Leser:innen werden bemerkt haben, dass im letzten Absatz eine gravierende Verzerrung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs wiederholt wird. Die USA hat Hitler-Deutschland nicht besiegt. Es war die Rote Armee, die Berlin eroberte und Auschwitz befreite. Sie war es auch, die die größten Opferzahlen vorzuweisen hatte, während die USA als eine der letzten Kriegsparteien aufgetreten ist. Dieses verzerrte Weltbild zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Die Sieger:innen sind es eben immer diejenigen, welche die Geschichtsbücher schreiben und die großen Propagandafilme drehen.

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Foto: Cillian Murphy in Oppenheimer / Universal Studios

Im Film wird behauptet, dass der Abwurf der Atombomben in Japan notwendig war, um dem Krieg ein Ende zu setzen. Japan musste zur Kapitulation gezwungen werden und die beiden Bomben seien das kleinere Übel gewesen. Mit dieser verlogenen Friedensrhetorik wird der genozidale Akt in Hiroshima und Nagasaki verharmlost. Japan war militärisch schon geschlagen. Vor den Atombombenabwürfen hatten bereits bis zu einer Millionen Menschen ihr Leben durch die alliierten Napalmbomben verloren. Die US-Führung hatte mehr Angst vor einem Aufstand der japanischen Massen, die sie mit den Bomben einschüchtern wollten, als vor dem japanischen Kaiser Hirohito, der selbst nach Japans Kapitulation – allerdings ohne politische und militärische Befugnisse – im Amt bleiben durfte. Die beiden Bomben hinterließen ein gewaltiges Trauma bei den japanischen Massen, das genauso wie die gesundheitlichen Folgen bis heute anhält. Ihre grausamen Kriegsverbrechen vertuschten die USA auch, indem sie die Berichterstattung darüber verboten. Unter diesen Umständen konnte Japan weiterhin eine imperialistische Macht bleiben, auch wenn sie dem Diktat der USA untergeordnet ist.

Die USA nutzten die Atombomben also in erster Linie nicht aus militärischer Ausweglosigkeit, sondern um ihre Hegemonie zu manifestieren. Der damalige US-Präsident Harry Truman sprach davon, dass die Bomben die Möglichkeit boten, „am Ende des Krieges unsere eigenen Bedingungen zu diktieren“. Oppenheimer ist so gesehen geschichtsrevisionistisch. Nolan versucht, das historische Ereignis, nämlich die Anwendung der Atombombe ein Stück weit zu legitimieren und klammert dabei bestimmte Entwicklungen aus. Nolan vermittelt – wie Robert Oppenheimer auch – die Ansicht, dass Hiroshima zwar notwendig gewesen sei und Nagasaki eher politisch motiviert war, um Japan zu Fall zu bringen. Der Film behandelt Oppenheimers Gewissensbisse in Bezug auf Nagasaki, aber dass er von Hiroshima überzeugt war, tritt in den Hintergrund.

Eine lesenswerte Bilanz von Hiroshima und Nagasaki


Mehr dazu, wie die US-Hegemonie in der Welt begründet wurde, ist hier zu finden

Das grausame Interesse des US-Imperialismus wird von Nolan nicht entlarvt und auch das unfassbare Leid der Massen spielt keine Rolle. Die „Hibakushas“ – Hunderttausende von Bombenüberlebenden – blieben nicht nur „in Echt“ jahrelang sich selbst überlassen, auch in Nolans Film spielen sie gar keine Rolle. Es sind eine Handvoll abstrakter Bilder in Oppenheimers Halluzinationen zu sehen, aber eben nur in diesem extrem begrenzten Kontext der Gewissensbisse. Selbst die indigene Bevölkerung, die teilweise auf oder sehr nah am Testgelände lebte, und die Zivilbevölkerung New Mexicos wird mehr oder weniger außen vor gelassen. Der Trinity Test führte zu einer zwölf Kilometer hohen Explosion und der Regen, der wenige Stunden danach auf die Erde fiel, war radioaktiv. Es gab damals weder Warnungen noch Informationen, ganz zu schweigen von Evakuierungen. Selbst das Regenwasser wurde als Trinkwasser genutzt. Diese mörderische Ignoranz wird von Nolan reproduziert, doch die Bevölkerung New Mexicos – in der es überdurchschnittlich großes Interesse an Oppenheimer gab – wird enttäuscht sein, wenn sie den Film gesehen hat. Das Leiden ihrer Eltern und Großeltern wird links liegen gelassen. Nolan hatte die Chance, vor allem einer jüngeren Zielgruppe, die Bilder von Hiroshima und Nagasaki nicht mehr unbedingt in der Schule gesehen hat, zu zeigen und dennoch hat er darauf verzichtet. Diese Ignoranz führt aktuell auch dazu, dass Oppenheimer in Japan nicht während der Jahrestage in die dortigen Kinos kommt während das unsensible Marketing eine berechtigte Empörung ausgelöst hat.

Oppenheimer und der Kommunismus

Nicht nur, was die Atombomben angeht, vertritt Nolan eine ziemlich banale konservative Ideologie. Auch beim Versuch, die antikommunistische Jagd gegenüber Oppenheimer zu verurteilen, kommt er zu dem Schluss, dass er trotz seiner Jugendsünden schließlich loyal gegenüber seinem Land war. Seine Integrität sei nicht zu leugnen. Er habe nämlich große Hilfe mit der Leitung des Manhattan Projekts geleistet. Sicherlich wurde in der Ära von Joseph McCarthy alles und jede:r als Kommunist:in bezeichnet, weil man so Leute loswerden konnte. Oppenheimer traf es allein schon dadurch, weil er sich gegen den Bau der Wasserstoffbombe aussprach. Der Antikommunismus von Lewis Strauss und Edward Teller wird in dem Film bloßgestellt, weil dahinter der Interessenkonflikt um die Wasserstoffbombe steckt. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass der Kommunismus gut wegkommt. Oppenheimer wird von Nolan nur aufgrund seiner Loyalität nicht infrage gestellt, aber das wird der historischen Figur und den Umständen, in denen er gelebt hat, nicht unbedingt gerecht.

Oppenheimer ist nach einer unpolitischen Jugend sehr spät politisiert worden. Er hatte kaum Freund:innen, beschäftigte sich obsessiv mit Physik und wurde von der hinduistischen Mystik beeinflusst. Doch das persönliche Umfeld, die Unterdrückung und der Holocaust an Jüd:innen haben ihn politisiert. Sein Bruder und seine erste Partnerin waren in der Kommunistischen Partei (KP) organisiert, viele jüdische Wissenschaftler:innen – auch seine Student:innen – waren von der Oktoberrevolution und dem Marxismus inspiriert und nicht zuletzt gab es in den USA eine starke Arbeiter:innenbewegung. Diese Umstände haben einen wirklich unpolitischen Moralisten in die Nähe der kommunistisch-proletarischen Bewegung gebracht.

Die Phase seiner Politisierung sehen wir in dem Film aber nur sehr kurz. Die Dialoge im Film waren nicht besonders tiefgreifend und die KP-Mitglieder bleiben in dem Film zu oberflächlich. Obwohl Oppenheimer behauptet, er habe alle drei Bände des Kapitals gelesen, ordnet er Karl Marx ein Zitat von Pierre-Joseph Proudhon, einem Anarchisten, zu, gegen den ausgerechnet Marx eine unter Kommunist:innen bekannte Auseinandersetzung geführt hat. Der Kommunistin Jean Tatlock verfügt im Film nicht über die notwendige Akkumulation, um ihn zu korrigieren. Obwohl sie sich kritisch gegenüber der Parteilinie äußert, wird dies nicht weiter vertieft. Diese Rolle hätte sehr spannend sein können, wird aber auf eine politische Romanze reduziert. Sie taucht, je länger der Film, immer stärker als traurige Geliebte auf und nicht als politische Akteurin.

So kommt die große Tragödie der US-amerikanischen KP gar nicht vor. Durch die starke stalinistische Prägung in den 1930ern und 1940ern verfolgten die von der KP beeinflussten Arbeiter:innen und die Gewerkschaftsbürokratie die Doktrin der Volksfront gegen den Faschismus. So schlossen sie sich der Allianz der Sowjetunion mit dem US-Imperialismus an und bekämpften nicht den Hauptfeind im eigenen Land. Die Kommunistischen Parteien haben damals die Atombomben auf Japan nicht konfrontiert, weil „Japan genauso faschistisch wie Deutschland“ gewesen sei.

Dass die Kombination aus dem starken Antikommunismus an den Universitäten der USA und die verfehlte stalinistische Politik dafür sorgten, dass Oppenheimers Begegnung mit dem Kommunismus kurz und schwach blieb, führt der Film nicht aus. So konnte Oppenheimer nicht verstehen, dass nach der Kapitulation des Hitler-Faschismus und angesichts der Isolation und Schwäche Japans beide Atombomben nur nötig für die USA waren, um aus dem Krieg als Welthegemon herauszugehen. Eine klare, historische Bilanz hat Albert Einstein vor seinem Tod gezogen, der den Brief an US-Präsident Franklin D. Roosevelt – der unter anderem zum Beginn der Erforschung der Atombombe führte – als größten Fehler seines Lebens bezeichnete. Dass Einstein sich selbst als Sozialist bezeichnete und 1949 sogar das Essay “Warum Sozialismus” veröffentlichte, blieb im Film allerdings auch außen vor. Oppenheimer konnte den Kontext seiner Handelns nicht bis zum Ende verstehen und schwankte so zwischen kommunistischen und patriotischen Positionen. Hätte der Film die Rolle der Kommunist:innen oder auch nur die Genozide besser gezeigt, wäre es den Zuschauer:innen möglich gewesen, kritischer und aktiver die Haltung von Oppenheimer zu hinterfragen.

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