„Der Streik ist für die Fahrgäste“ – Interview zum BVG-Streik am Freitag

14.02.2019, Lesezeit 4 Min.
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Am Freitag streiken die Berliner Verkehrsbetriebe zum ersten Mal seit Jahren. Wird der Arbeitskampf auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen? Ganz im Gegenteil, sagt Aimo Tügel, U-Bahn-Fahrer und Mitglied der Basisgewerkschaftsgruppe ver.di aktiv, im Interview.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) stecken in der Krise. U-Bahne und Busse sind immer unzuverlässiger. Jetzt wollt ihr am Freitag noch streiken. Wie sollen arbeitende Berliner*innen das verstehen?

Die Berliner*innen sind ja nun nicht dumm. Sie wissen, dass miese Arbeitsbedingungen und Kürzungsorgien miese Folgen haben. Deshalb ist der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen auch richtig. Wir normale arbeitende Berliner*innen – die Fahrgäste genauso wie wir Beschäftigte – sind doch diejenigen, die den Mist in der Realität jeden Tag erleben müssen. Diejenigen, die dafür verantwortlich sind – der Senat und das Management – haben das Problem ja nicht selbst. Was die vielmehr selbst haben sind Neuwagen mit Chauffeur*innen.

Das „jetzt auch noch streiken“ macht nämlich gar keinen Sinn: Ja gerade weil unser Nahverkehr seit Jahrzehnten planmäßig gegen die Wand gefahren wird, streiken wir. Der Streik ist also für die Fahrgäste. Wir von der Basisgewerkschaftsgruppe ver.di aktiv haben das deshalb auf drei Parolen geeinigt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! ein Betrieb, eine Belegschaft! Rettet unseren Nahverkehr!

Was für eine Beteiligung am Streik erwartest du?

Ich rechne mit einer starken Beteiligung, auch bei der Kundgebung – trotz Halbtagsstreik. Die Kolleg*innen und im Fahrdienst – aber nicht nur da, sondern überall an der BVG-Basis – sind sowas von abgegessen von der Situation. Dass die BVG inzwischen so intensiv in eine PR-Maschinerie investiert macht das ganze nur noch schlimmer. Wenn die Offiziere der Titanic sich aus einem persönlichen Rettungsboot heraus intensiv um die Präsentation der Band an Deck kümmern, hilft das Passagieren und Besatzung auch nicht gerade, mit dem nahenden Eisberg klarzukommen.

Die BVG geht vor die Hunde und die in der Zentrale täuschen die Bevölkerung – der die BVG eigentlich gehört.

Kannst du etwas über deine Arbeitsbedingungen bei der BVG erzählen?

Wir haben vor allem an allen Ecken zu wenig Personal. Ganz besonders merkbar in Fahrdienst und Technik. Da wurde mächtig eingespart und jetzt klappt da logischerweise vieles nicht mehr. Das wird nach unten abgewälzt. Die BVG wurde, wie andere Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge, auf kapitalistische Pseudo-Effizienz ausgerichtet. Es wurde ohne Ende ausgegliedert – nicht nur die Fahrdiensttochter BT. Die Arbeit wurde verdichtet und die Kosten für unsere Arbeitskraft extrem gesenkt. Der Gott des des Fahrdienstes heißt „Dienstplanwirkungsgrad“. Den liebt die BVG wirklich.

Konkret habe ich als Zugfahrer im Tausch für etwa 1.700 Netto-Euro – Zuschläge inbegriffen –, eine Arbeitswoche von durchschnittlich 39,5 Stunden. Dabei sind die Dienste – auf halbe Minuten gerechnet – immer unterschiedlich lang und beginnen unterschiedlich. Die freien Tage, mal zwei, mal nur einer, wandern durch die Woche. Viele Kolleg*innen gehen ohne Lohnausgleich auf Teilzeit (36,5-Stunden), um mehr „Doppelfrei“ (zwei freie Tage am Stück) zu haben.

Welche Forderungen sind für dich am wichtigsten?

Am wichtigsten ist sicherlich die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 36,5 Stunden für alle bei vollem Lohnausgleich. Das muss sofort passieren. Aber auch die Wiedereingliederung der Pausen in den Arbeitstag ist zentral. Meine Pause wird in Lage und Länge vom Betrieb vorgegeben und dient der Erhaltung meiner Arbeitskraft während ich vor Ort bin – das ist keine Freizeit!

Die anderen Forderungen dürfen auch nicht ignoriert werden. Einzig auf die Sonderzahlung für Gewerkschaftsmitglieder würde ich verzichten können. Als Basisgewerkschaftsgruppe ver.di aktiv hatten wir letztes Jahr einen Katalog von Streikzielen formuliert. Die Tarifkommission, die von langjährigen freigestellten Personalräten dominiert wird, ist da sehr zurückhaltend.

Es ist schon erstaunlich: Die Manager*innen geben sich viel Mühe, um täglich zu zeigen, wie wenig sie sich um die Belange der Arbeiter*innen scheren – aber unter unseren Funktionär*innen ist der Glaube an die große Idee der Sozialpartnerschaft scheinbar unerschütterlich.

Alles, was die Tarifkommission an Verbesserungen vorschlägt, sind bereits Kompromissforderungen. Das sollte dem rot-rot-grünen Senat und seinem BVG-Management klar sein. Die ganze Verantwortung für die Situation bei der BVG liegt im Abgeordnetenhaus. Wir Verkehrsarbeiter*innen und Verkehrsarbeiter und Fahrgäste müssen mächtig Druck machen, damit verhindert wird, dass der Laden zusammenbricht.

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