Der Putsch in Chile 1973

11.09.2020, Lesezeit 7 Min.
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Der Putsch in Chile 1973 war das neoliberale Labor des Imperialismus in Lateinamerika. Organisiert von der chilenischen Bourgeoisie in Zusammenarbeit mit der CIA, der US-Botschaft und den chilenischen Streitkräften, sollte er den revolutionären Prozess im Keim ersticken, der sich unter den Arbeiter*innen und Jugendlichen nicht nur im Andenland, sondern in der ganzen Welt entwickelt hatte.

In Chile fand Anfang der 1970er Jahre ein Aufstieg der Massen statt. Er war Ausdruck der enormen sozialen Unzufriedenheit, die dadurch ausgelöst wurde, dass zentrale von der Bevölkerung geforderte Maßnahmen wie die Verstaatlichung der Kupferindustrie – einem zentralen Industriezweig in Chile –, von der Regierung in die unbestimmte Zukunft verschoben wurden, genauso die Agrarreform und das Wohnungsproblem. In den 1960er Jahren hatte die christdemokratische Regierung (DC) keine strukturellen Änderungen vorgenommen.

Ab 1971 begannen sich Forderungen zu verallgemeinern, was zu Streiks, Arbeitsniederlegungen und Landbesetzungen führte. Mit der Organisation und der Erfahrung der Massen wuchs auch die Idee, dass man den Bossen die politische Macht entziehen müsse, um sie zu besiegen.

Die politische Strategie der Unidad Popular

Die Arbeiter*innen waren hauptsächlich mit den beiden großen traditionellen Parteien der Linken in Chile verbunden, der Sozialistischen Partei (PS) und der Kommunistischen Partei (KP). Sie waren reformistische politische Organisationen, die die Arbeiter*innen organisierten, aber nicht um für ihre politische Unabhängigkeit auf dem Weg zur Machtübernahme zu kämpfen, sondern um sie den Vereinbarungen mit der nationalen Bourgeoisie unterzuordnen, mit einem auf den Kapitalismus beschränkten Reformprogramm.

So entstand die Unidad Popular („Volkseinheit“, UP), eine Koalition zwischen Salvador Allendes PS und der KP, sowie der kleinen Radikalen Partei, einer klassischen Vertreterin der liberalen Bourgeoisie, und weiteren kleineren Organisationen. Mit anderen Worten, eine Front der Klassenkollaboration. Die Movimiento de Izquierda Revolucionaria („Bewegung der revolutionären Linken“, MIR) beteiligte sich nicht daran und schwankte zwischen der Agitation der Massen und der Unterstützung Allendes, auf den sie „Druck von außen“ ausüben wollten.

Das Ziel der UP war nicht die Revolution, sondern die Stärkung des Staates durch die Verwaltung strategischer wirtschaftlicher Ressourcen und die Förderung der Entwicklung eines „nationalen Kapitalismus“. Diese Strategie, die als „friedlicher Weg zum Sozialismus“ bezeichnet wurde, ging von der Hoffnung aus, dass die Reichen und die Bosse auf ihren Besitz und ihre Privilegien verzichten und dass die Streitkräfte die „Demokratie“ respektieren würden.

Die Regierung von Salvador Allende

Die UP gewann die Präsidentschaftswahlen 1970 mit einem Aktionsplan, der die Verstaatlichung der Kupfer-, Eisen- und Salpeterbergwerke – die sich in den Händen imperialistischer Konzerne befand – sowie einiger Industriesektoren und großer Ländereien beinhaltete.

Die UP verstaatlichte mehrere Bergwerke und Fabriken, aber indem sie Aktienanteile kaufte oder den Bossen Entschädigungen zahlte. Sie kam bei der staatlichen Kontrolle des Außenhandels nur teilweise voran, die Verstaatlichung der Banken beschränkte sich auf den Kauf von Aktien von Privatbanken, die Agrarreform übergab einen Teil des Landes an Kleinbäuer*innen, respektierte aber dennoch die Agrarbourgeoisie, und so weiter.

Allendes Reformen haben keinen wirklichen Bruch mit dem Imperialismus erreicht oder zugelassen: die Verteilung des Landes in einer radikalen Agrarreform und die Liquidierung der Macht der Bourgeoisie.

1972: ein Schlüsseljahr

In diesem Jahr begann das Projekt der UP, Schwächen zu zeigen. Die Bourgeoisie trieb die Wirtschaftskrise mit Sabotage und Verknappung von Gütern voran und blockierte im Kongress jede Initiative der Regierung. Es entstanden faschistische Gruppen wie Patria y Libertad („Vaterland und Freiheit“), während die Bourgeoisie und das Militär unter anderem durch Zeitungen wie El Mercurio verschwörten. Die Krise verschärfte sich durch Aussperrungen von Seiten der Kapitalist*innen, wie bei den Lkw-Fahrer*innen, inmitten einer gewaltigen sozialen Polarisierung.

Von unten rückten die Arbeiter*innen vor und übernahmen Hunderte von Fabriken, und viele begannen unter Arbeiter*innenkontrolle zu produzieren, was in der Praxis bewies, dass sie ohne Bosse funktionieren können. Versorgungskomitees wurden organisiert, während Bäuer*innen und Obdachlose Land besetzten und sich organisierten.

Mitte des Jahres begannen die Arbeiter*innen ihre Kämpfe auf lokaler Basis zu koordinieren und überwanden dabei die Führung der CUT (Chilenischer Gewerkschaftsdachverband), die stark von der KP beeinflusst war. So entstanden die Cordones Industriales („Industriegürtel“), eine sehr fortschrittliche, Organisationsform ähnlich der Arbeiter*innenräte, die als Embryos der Macht der Arbeiter*innen und der Massen fungierten und es der Arbeiter*innenklasse ermöglichten, sich in Aktionen zu vereinen und demokratische Entscheidungen an der Basis zu treffen. Einer von ihnen, der Cordón Cerrillos-Maipú (im Südwesen von Santiago), der größte Zusammenschluss in Chile, umfasste 250 Betriebe.

Die lokale Koordination ermöglichte die Lösung von Fragen im Zusammenhang mit der Produktion und der Verteilung von Rohstoffen und Produkten, die unter der Kontrolle der Arbeiter*innen entstanden waren; und es wurden Kommandos organisiert, um die eroberten Positionen zu verteidigen.

Die Arbeiter*innen begannen zu fordern, dass die Regierung die Fabriken und Werkstätten an den Staat übertragen sollte, wodurch sie das Privateigentum in Frage stellten und sich als Alternative zur Macht des kapitalistischen Staates erwiesen. Bei diesen Diskussionen gerieten die Arbeiter*innen mit den Anführer*innen der KP und der Allende-Regierung aneinander. Denn diese rechtfertigten die Rückgabe von Unternehmen an ihre alten Besitzer*innen, unterstützten das Gesetz, das es dem Militär erlaubte, Fabriken auf der Suche nach Waffen zu überfallen, und befürworteten Pinochets Ernennung zum Armeechef, als der Putsch bereits in Sicht war.

Verhandlungen mit den Parteien der Bosse im Parlament und Vereinbarungen mit dem „institutionalistischen“ Oberkommando der Streitkräfte, die die Verfassung und die Institutionen des Staates respektieren, würgten den Prozess des sozialen Wandels im Korsett der bürgerlichen Demokratie ab.

Der Putsch

Ein erster Versuch, der „Tanquetazo“ vom Juni ’73, scheiterte. Trotz dieser Warnung riefen Allende, PS und KP die Massen dazu auf, auf die Festigkeit der chilenischen Demokratie, auf die Professionalität des Militärs zu vertrauen. Die in der Provinzkoordinierung der Cordones Industriales organisierten Arbeiter*innen schickten Anfang September einen Brief an den Präsidenten und forderten dringende Maßnahmen, um den sich anbahnenden Putsch zu verhindern. Allende weigerte sich nicht nur, die Arbeiter*innen zu bewaffnen, sondern seine Regierung förderte auc h Beschlagnahmungen in den Fabriken, um sie zu entwaffnen.

Desorientiert und von ihren eigenen Parteien und der CUT demobilisiert, waren die Arbeiter*innen nicht in der Lage, sich vorzubereiten. Der Putsch vom 11. September traf die Arbeiter*innenklasse und die Massen machtlos und unbewaffnet. Die chilenische Erfahrung war entscheidend für die Umsetzung der „Operation Condor“ in Südamerika, die international die Repression gegen die Massen in Lateinamerika koordinierte. Chile wurde zur Operationsbasis für die CIA und die Geheimdienste von Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay und Bolivien sowie für die DINA (Chilenische Nationale Geheimdienstdirektion).

Die Diktatur von Augusto Pinochet dauerte 17 blutige Jahre lang an, in denen die Bourgeoisie ihre Herrschaft über die Pfeiler des aufkommenden Neoliberalismus wiederherstellte.

Fragment des Briefes der „Coordinadora de Cordones“ an Salvador Allende (5.9.1973)

Am 11. September 1973 greifen die Streitkräfte den Palacio de la Moneda, das chilenische Regierungsgebäude, an.

„Drei Jahre sind vergangen, Genosse Allende, und Sie haben sich nicht auf die Massen gestützt, und jetzt sind wir Arbeiter misstrauisch.

Wir, die Arbeiter, fühlen eine tiefe Frustration und Entmutigung, wenn Ihr Präsident, Ihre Regierung, Ihre Parteien, Ihre Organisationen Ihnen immer wieder den Befehl zum Rückzug geben, anstatt die Stimme zum Voranschreiten zu erheben. Wir verlangen, dass wir nicht nur informiert, sondern auch zu Entscheidungen konsultiert werden, die schließlich für unser Schicksal bestimmend sind.“

Dies ist eine leicht überarbeitete Übersetzung eines Artikels vom 11. September 2020 bei La Izquierda Diario Chile.

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