Der Niedergang des Chavismus?

08.12.2015, Lesezeit 5 Min.
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Nachdem die Wahllokale schon einige Stunden geschlossen waren, veröffentlichte die nationale Wahlbehörde (CNE) das erste vorläufige Ergebnis. Laut diesem bekam die rechte Opposition 99 und der regierende Chavismus 46 Sitze im neuen Parlament. Die Wahlbeteiligung lag bei 74,25 Prozent.

Während diese erste Analyse verfasst wird – um Mitternacht von Sonntag auf Montag – wurde noch nicht in allen Staaten des Landes die Stimmen vollständig ausgezählt. Es müssen noch 13,17 Prozent der Sitze ausgezählt werden. Bisher bekam das rechte Wahlbündnis „Mesa de Unidad Democrática“ (Demokratischer Tisch der Einheit, MUD) 59,2 Prozent der Stimmen und die „Partido Socialista Unificado de Venezuela“ (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas, PSUV) 27,5 Prozent. Die Regierung erkannte die Niederlage an, indem Präsident Nicolás Maduro von „negativen Ergebnissen“ sprach.

Doch das Ergebnis ist nicht wirklich überraschend. Die Wirtschaftskrise trifft das Land hart und entzieht der Regierung ihre Stärke. Dieser Prozess begann schon vor zwei Jahren als die wichtigste Figur des Chavismus, Hugo Chávez, starb. Das Ziel der Regierung inmitten dieser ungünstigen Situation war es, die Differenz zu der Opposition so stark wie möglich zu verringern. Doch es gelang ihr nicht, die herbe Niederlage abzuwenden. Das könnte zu einer Verschärfung der politischen Krise, nicht nur in der Regierung sondern auch in den hohen Rängen des Chavismus, führen.

Wie wir schrieben war es angesichts der Situation im Lande abzusehen, dass die Rechte bei den Wahlen gewinnen würde. 17 Jahre Regierung hatten den Chavismus politisch erschöpft und der Fall der Ölpreise verband sich mit einer Wirtschaftskrise, die sich schon in den letzten Jahren unter Chávez entwickelte, die jedoch während Maduros Regierung explodierte. Das fand zu Zeiten statt, in denen enorme Mengen der Staatseinnahmen in Form von Schuldenzahlungen verschwanden, was den Handlungsspielraum noch weiter verringerte.

Die rechte Opposition bereitete sich auf einen Wahlsieg vor, indem sie demagogisch die Probleme der arbeitenden Bevölkerung aufgriff und sich das wirtschaftliche Scheitern des Chavismus zunutze machte, um ihre neoliberale Ideologie zu rechtfertigen. Die Regierung sagte, dass sie keine Regierung der Kürzungen sei und dass die Sparmaßnahmen von der neoliberalen Opposition durchgesetzt werden würden. Dabei musste die Regierung keine klassischen neoliberalen Maßnahmen treffen, sondern einfach nur der Krise freien Lauf lassen, um die Arbeiter*innen bezahlen zu lassen. Sie traf die Krise in Form des Verfalls der Kaufkraft, des Preisanstiegs, fehlender Nahrungsmittel, Medikamente, Autoersatzteile und vielem Anderem mehr. Es fanden außerdem große Entlassungswellen sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor statt.

Die Massenbewegung konnte die Putschversuche, Aussperrungen und Ölsabotagen von 2002 und 2005, die die Rechte zum Sturz von Chávez durchführte, zurückschlagen. Doch die Rechte konnte sich dank dem Chavismus erholen. Wie wir im Editorial der Zeitung En Clave Obrera Nr. 34 schrieben: „Chávez zählte immer auf eine ›produktive‹ und ›patriotische‹ Bourgeoisie und versuchte immer die Klasseninteressen zu ›versöhnen‹, ohne die bürgerliche Gesellschaft anzutasten. Nicht einmal während der brutalsten Angriffe der nationalen Bourgeoisie, als die arbeitende Bevölkerung große Energie und Kampfbereitschaft bewies, nahm sich Chávez vor, die Kapitalist*innen zu entmachten. Deswegen sagte er Dinge wie: ›Nur wegen dem Prozess der demokratischen und friedlichen Revolution, der in Venezuela stattfindet, erleben wir keine Massenerhebungen wie den Caracazo. […] Die Kapitalist*innen würden nicht so angenehm leben wie sie es jetzt tun.‹ So hat Chávez genau diese nationale Bourgeoisie beschützt, die heute die werktätige Bevölkerung erpresst, während sich ihre authentischsten politischen Vertreter*innen – die rechte Opposition – darauf vorbereiten, die Früchte der Unzufriedenheit zu sammeln und erneut zu regieren“.

Die Rechte nutzte die politische Abnutzung der Regierung und die Unzufriedenheit durch die herrschende Krise aus. Der Chavismus wusste natürlich, dass er sich in keiner aussichtsreichen Situation befand und benutzte seinen ganzen Apparat und sein Wahlbündnis „Gran Polo Patriótico“ (Großer Patriotischer Pol, GPP) und benutzte die Figur von Chávez, um die Lücke zu schließen und mit einem nicht allzu großen Unterschied zu verlieren. Doch die Regierung konnte die Situation nicht umdrehen und die Rechte konnte mit der qualifizierten Mehrheit gewinnen.

Das bedeutet auch, dass die Rechte nicht hauptsächlich durch die eigene Stärke, sondern durch die große Unzufriedenheit mit der Regierung gewann. Um es anders zu sagen, war der größte Feind der Regierung nicht die Stärke der Rechten, sondern die Schwäche der Regierung selbst. Das verkennt jedoch nicht die Tatsache, dass die Wählerschaft sich zu den rechten Parteien hinwandte.

Die Opposition besaß die Unterstützung der internationalen und kontinentalen Rechten, was wir als den „fieberhaften Aktivismus der kontinentalen Rechten angesichts der venezolanischen Parlamentswahlen“ bezeichneten. Sie waren viel mehr als nur Beobachter*innen, sondern befanden sich praktisch selbst in der Wahlkampagne. Das verstärkte sich noch durch den Wahlsieg von Mauricio Macri in Argentinien. In diesem Sinn bestätigt das Ergebnis der Wahlen in Venezuela eine lateinamerikanische Tendenz des Rechtsrucks.

Dieses Ergebnis wird eine große Krise im Chavismus auslösen, nachdem er mehr als 15 Jahre mit parlamentarischer Mehrheit regierte. Der Abstand zur Rechten war sehr groß, was zur politischen Schwächung der Regierung beiträgt. Das eröffnet ein Szenario der politischen Instabilität, auch wenn die kommenden Entwicklungen nicht klar sind. Es wird zu sehen sein, welche Schritte die Rechte ergreifen wird. Doch schon jetzt sagte Henry Ramos Allup der „Acción Democrática“, dass er „nicht glaubt, dass die Regierung ein natürliches Ende findet“ und andere Anführer*innen sagten, dass jetzt „der Wandel kommt“.

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