Der Kampf gegen Personalmangel und für ein selbstbestimmtes Schulsystem müssen verbunden sein
Die Schule fängt wieder an. Nun werden Lehrer:innen, Schulsozialarbeiter:innen und Schüler:innen wieder mit schlechten Bedingungen, maroden Gebäuden und einem durch und durch überlasteten Schulsystem konfrontiert.
Am Montag beginnt in Berlin das Schuljahr mit mehr Schüler:innen als jemals davor, so gibt es mit 395.000 Schülerinnen gut 6.500 mehr als im Jahr zuvor. Gleichzeitig sind mit 3.225 neu eingestellten Lehrkräften immer noch deutlich zu wenig vorhanden. Die im Mai prognostizierten 1.460 unbesetzte Stellen werden es nicht ganz, genaueres lässt sich aber erst Ende September sagen. Viele Gebäude sind auch ohne die Mehrbelastung durch zu große Klassen bereits marode und eigentlich nicht geeignet, um angemessen zu unterrichten.
Die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch versucht jedoch davon abzulenken. Nicht zufällig findet ihre Pressekonferenz an der Maria-Leo-Grundschule statt, einem schicken Neubau, der als Berlins erste Compartmentschule natürlich Eindruck schinden soll. Die Klassenräume sind offen und lichtdurchflutet gebaut, die Schule verfügt über Tische, Stehtische, Sitzecken sowie WLAN und eine Schulküche. Auch ist die Technik der Schule auf dem neuesten Stand. Fast täuscht die Schule, die wenig erstaunlicherweise kein Problem mit Unterbesetzung hat, über das kaputte Schulsystem weg. Allerdings, auch das schönste Gebäude lässt einen Lehrermangel an anderen Schulen von bis 40 Prozent nicht verschwinden.
Die GEW möchte angesichts der Tatsache, dass viele Lehrkräfte unbezahlte Mehrarbeit leisten, nun die reale Arbeitszeit messen. Viele Arbeitgeber:innen geben als Arbeitsstunden lediglich die Unterrichtszeiten an, ohne dabei die Vorbereitung, die Korrektur von Prüfungen und andere Mehrarbeit zu berücksichtigen. Die zu ermittelnden Zahlen werden auch noch mal deutlich machen, dass eigentlich noch mehr Lehrkräfte fehlen, um alle auszulasten und für ihre tatsächliche Arbeitszeit zu bezahlen.
Um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken, braucht es grundsätzlich bessere Lehrbedingungen. Lehrkräfte müssen angemessen für jede Arbeitstunde bezahlt werden. Ein weiter Punkt der dazu beiträgt, dass wir zu wenige Lehrkräfte haben, ist die unzureichende Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen. Ohne diese rassistische Methodik gäbe es bereits mehr vorhandene Lehrkräfte sowie etliche mögliche Lehramtsstudent:innen.
Auch wenn wir das Problem des Lehrkräftemangels nicht hätten, über ausreichend sanierte Klassenräume verfügen würden und die Klassengröße anpassen würden, gäbe es noch unglaublich viel zu tun. Die derzeitige Aufgabe des Bildungssystems ist nicht etwa, uns etwas für unser Leben beizubringen, uns in unseren Fähigkeiten zu fördern und uns zu helfen, unsere persönlichen Ziele zu erreichen. So wünschenswert das wäre, besteht die derzeitige Aufgabe in erster Linie darin, uns zu verwertbaren Individuen zu formen, bereit unsere Arbeitskraft auf den Markt anzubieten und dieses System um Himmels Willen nicht in Frage zu stellen. Ein Beispiel hierfür ist das Benotungssystem. Dieses hilft den Schüler:innen nicht. Eine vermeintliche Vergleichbarkeit, die hier geschaffen wird, führt zu Konkurrenzkampf und kann durch den Vergleich nach oben psychischen Druck für die Schüler:innen bedeuten. Zudem ist die Notenverteilung oft unfair und undurchsichtig, häufig wird Unterdrückung darin auch reproduziert. Noten finden nicht im leeren Raum statt und so spielt natürlich auch das Verhältnis der lehrenden Person gegenüber der Lernenden eine Rolle. Dennoch gibt es weiterhin Noten, weil eine schlichte Zahl einfach ein besserer Vergleichswert für den Markt ist. Der Lehrplan ist häufig an die Interessen der kapitalistischen Wirtschaft gekoppelt und schreibt auch, wie vielen von uns wohl noch aus dem eigenen Unterricht bekannt ist, die Geschichte entsprechend den Ideen der Herrschenden um. Der Geschichtsunterricht wird beispielsweise oft als langweilig wahrgenommen, weil man nur die Geschichten der großen, starken Männer hört und ihre Daten auswendig lernen muss. Aber über die gesellschaftlichen Strukturen, die beispielsweise zum Faschismus geführt haben, erfährt man wenig. Stattdessen wird man schlecht benotet, wenn man die Daten und Zahlen nicht auswendig weiß, ob man wirklich etwas von Geschichte versteht, spielt eine untergeordnete Rolle. Das Bestrafungssystem an Schulen dient dazu, Abweichungen im Keim zu ersticken und einen an das bestehende System anzupassen. Gerade auch für neurodivergente Menschen ist das Bildungssystem eine einzige Belastung.
Wir möchten also nicht aufhören bei Forderungen wie mehr Lehrkräften und besserer Bezahlung. Das Schulsystem muss komplett überarbeitet werden. An den Streiks für mehr Personal können wir bereits lernen, wie Selbstorganisierung auch in der Schule funktionieren kann. Diese Kämpfe müssen auf das gesamte Bildungssystem ausgeweitet werden. Weg mit dem Benotungssystem! Es braucht selbstorganisierte Komitees aus Schüler:innen und fortschrittlichen Lehrkräften, die im Gegensatz zu derzeitigen Schüler:innenvertretungen über tatsächliche Macht verfügen. Gemeinsam sollten Lehrende und Lernende ihre Schule selbst verwalten und so ein Schulsystem errichten, in dem nicht unsere Verwertbarkeit, sondern wir als Menschen gefördert werden.