Der Kampf der SPD gegen die Obdachlosen: Weitere Unterkunft geräumt

29.11.2018, Lesezeit 6 Min.
1

Am Donnerstag rief die Kampagne "Wir wollen Wohnen" in München zu einer Kundgebung gegen die geplante Räumung des Obdachlosenlagers unter der Wittelsbacherbrücke auf. Die Polizei hatte die Räumung vorverlegt, um Solidarisierung aus der Bevölkerung zu verhindern.

Diese Räumung ist nur eine weitere in einer Folge von Repressionen und Kriminalisierungen gegen Obdachlose. Bereits im Sommer wurden immer wieder Obdachlosenlager von der Stadt geräumt, am 27.11.2018 wurde – nach massiven PR-Bemühungen im Vorfeld von Seiten der Stadt – bereits das Lager unter der Reichenbachbrücke geräumt, Donnerstagmorgen, am 29.11.2018, war das Lager unter der Wittelsbacherbrücke dran. Proteste der Obdachlosen selbst wurden ignoriert. Die Verantwortung für die Räumung trägt die Koalition aus SPD und CSU im Stadtrat.

Wir konnten mit Verantwortlichen der Stadt vor Ort reden, die darüber sprachen, dass die Obdachlosen in Unterbringungen gebracht werden und dass es ja auch nur darum ginge, ihnen Schutz vor der Kälte zu bieten. Wirklich überzeugt haben uns die Erklärungen der Verantwortlichen nicht, insbesondere weil die Gegenden der akuten Räumungen alle stark von Gentrifizierung betroffen sind. Es drängt sich uns der Verdacht auf, dass es eher darum geht, die Außenwirkung dieser Viertel zu retten als die Obdachlosen.

Und in der Tat, Gespräche mit den Betroffenen vor Ort vermittelten ein anderes Bild: So stellt die Stadt nur „Kälteschutz“ zur Verfügung, das heißt, Unterbringung von 10 Uhr abends bis 9 Uhr morgens, danach muss die Unterkunft verlassen werden. Stetigkeit und Stabilität bietet dieses Vorgehen nicht, auch sind die Zustände in den Unterkünften schlecht. Dazu kommt, dass die Kälteschutzeinrichtungen oft für Kriminalisierungen missbraucht werden, so kontrolliert die Polizei regelmäßig die Menschen beim Verlassen der Einrichtung.

In der Süddeutschen Zeitung erschien ein Artikel, in dem von den Räumung betroffene Obdachlose ausführlicher zu Wort kommen: Der Inhalt des Artikels deckt sich mit dem, was wir von Menschen vor Ort gehört haben.

Die Kampagne „Wir wollen wohnen“ fordert unter anderem Angebote der Stadt, die über den reinen Kälteschutz hinausgehen (Bilder des Aufrufs siehe unter dem Artikel).

Die Situation von Obdachlosen war schon immer prekär, aber in Zeiten von Rechtsruck und tief in der Gesellschaft verankerten neoliberalen Weltbildern spitzt sie sich immer weiter zu. So steigt die Zahl der Straftaten gegen Obdachlose, insbesondere Gewaltverbrechen und Sexualstraftaten seit Jahren enorm an. Inzwischen leben gut 9.000 Menschen in München ohne Obdach, die Zahlen steigen weiter.

Gerne wird auf Hilfsangebote der Stadt verwiesen. Es wäre schön und bequem, würden diese Angebote tatsächlich so gut und umfassend funktionieren, dass die sogenannte „unfreiwillige Obdachlosigkeit“ (*) damit beendet werden könnte. Die Realität ist eine andere – die Hilfsangebote der Stadt sind nicht ausreichend und gehen nichtig selten an der Lebenswirklichkeit der Obdachlosen völlig vorbei: es gibt zu wenige Unterbringungen, die meisten Schlafplätze werden nächteweise vergeben. Die für viele Obdachlose so dringend nötige medizinische Betreuung (auch in Bezug auf Suchterkrankungen und/oder weiterer, oft länger unbehandelter psychische Erkrankungen) ist nur punktuell vorhanden und reicht vorne und hinten nicht aus, ein Mitbringen von Hunden ist meistens nicht gestattet.

Zwar gab es seit 2012 keine offiziellen Kältetoten unter Obdachlosen mehr in München – nicht zuletzt humanitären Projekten wie dem Münchner Kältebus sei Dank. Doch zum einen kann und darf es nicht die Aufgabe von Nichtregierungsorganisationen sein, die Versäumnisse der Stadt auszubügeln. Und zum anderen kann und darf der Kampf gegen die Obdachlosigkeit nicht zu einem reinen „Überleben möglich machen“ verkommen. Kälteschutz alleine ist nicht ausreichend: Uns geht es nicht darum, dem Problem der Wohnungslosigkeit ein weiteres Notpflaster aufzukleben, wir wollen das Übel an der Wurzel packen. Wir wollen eine politische Lösung, die nachhaltig und längerfristig Obdachlosigkeit bekämpft, ohne die Betroffenen zu kriminalisieren oder Repressionen auszusetzen.

Außerdem sprechen wir uns gegen jegliche Versuche aus, Geflüchtete und Obdachlose gegeneinander auszuspielen. Nicht Geflüchtete, sondern der Kapitalismus ist schuld an der Situation Obdachloser in einer reichen Stadt. Statt Spaltung in Nationalitäten und Ethnien treten wir für einen gemeinsamen Einsatz um ein besseres Leben ein.

* Wir fordern bezahlbaren und lebenswürdigen Wohnraum für alle Bewohner*innen der Stadt, und zwar unabhängig von Lebenssituation, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit und Gesundheitszustand.
* Wir fordern die Entkriminalisierung von Obdachlosen durch eine Änderung der entsprechenden Polizeiverordnungen, die z.B. ein Übernachten im öffentlichen Raum verbieten.
* Wir fordern menschenwürdige Behandlung von Obdach- und Wohnungslosen, es muss aufhören, dass die Mängel des Systems an denen ausgelassen werden, die darunter leiden. Es ist die Aufgabe der Stadt, nicht nur Notpflaster in Form von tage- oder sogar nur nächteweisen Unterbringungen zu liefern, ohne auf die Lebenswirklichkeit der Betroffenen einzugehen.
* Wir fordern eine umfassende medizinische Betreuung aller Bewohner*innen der Stadt, unabhängig von ihrem Wohnungsstatus und eine tiefgehende und an der Realität orientierte Betreuung. Es muss aufhören, Menschen anhand ihrer Lebenssituation zu bewerten und von außen zu entscheiden, welche Art von Hilfe sie verdient haben und welche nicht.
* Wir fordern die entschädigungslose Enteignung länger leerstehenden oder zur Spekulation verwendeten Wohnraums sowie ein staatliches soziales Wohnbauprogramm unter Kontrolle der Arbeiter*innen und Mieter*innen.

Weiterführende Artikel:
Eine Programmatische zur Wohnungssituation
Zur Mietsituation in München
Über eine Intervention der „Wir wollen Wohnen“ Kampagne, die auch die Kundgebung an der Reichenbachbrücke organisiert hat, von 2016

(*) Eine kleine Anmerkung zum Thema „freiwillige“ versus „unfreiwillige“ Obdachlosigkeit: Nach deutschem Grundgesetz ist es erlaubt, obdachlos zu leben. Werden Menschen allerdings durch wie auch immer geartete Umstände zur Obdachlosigkeit gezwungen, liegt eine sogenannte „unfreiwillige Obdachlosigkeit“ vor. Dies ist bei so ziemlich allen Obdachlosen Deutschlands gegeben, ein „Ich bin obdachlos, weil“ wird normalerweise nicht mit „ich finde, dass es die beste Lebensform ist und es meiner persönlichen Vorstellung eines guten Lebens entspricht“ vervollständigt, sondern mit Sachzwängen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird. Genaueres dazu zum Beispiel hier.

1

1

Mehr zum Thema